Barthold Heinrich Brockes: Hrn. B. H. Brockes, L., Com. Palat. Caes. und Rahtsherr der Stadt Hamburg, Irdisches Vergnügen in GOTT, bestehend in Physicalisch⸗und Moralischen Gedichten, Erster Theil, nebst einem Anhang etlicher übersetzten Fabeln Des Herrn de la Motte.

Der Hamburger Ratsherr Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) stellte zu Lebzeiten einen hell leuchtenden Stern am literarischen Himmel dar. Doch schon bald nach seinem Tod war auch der literarische Stern erloschen. Weshalb dies?

Nun, ich denke, dass sein Hauptwerk, Irdisches Vergnügen in Gott, eine Antwort gibt. In den 1740er Jahren (in zum Schluss 9 Teilen) erschienen, weist schon der Titel auf diese Antwort hin: Eingeklemmt zwischen barockem Schwulst und Simplizität der Empfindsamkeit, überlieferter Gläubigkeit und neuzeitlicher Skepsis, war Brockes der typische Vertreter seiner Zeit, der sehr kurzlebigen Epoche, die dem Barock folgte und Gottesfurcht und -glaube mit der Freude am Irdischen, an der Natur, verband. Die Natur war schön, aber sie war auch dem Menschen nützlich, von Gott expressis verbis als dem Menschen nützliche kreiert.

Diese Strömung wird Physikotheologie genannt, und Brockes gilt als einer ihrer wichtigen Vertreter. Der Gedanke, Gottes Existenz aus den Schönheiten der Natur beweisen zu können, war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr im Schwange. Kopernikus, Bruno, Galilei, Kepler: Sie alle hatten das Weltbild vergangener Jahrhunderte einschneidend verändert und dem Menschen erst einen Eindruck von der Grösse des Alls gegeben. Wie gross(artig) musste also erst Gott sein, wenn schon seine Schöpfung so riesig war? Die Physikotheologie erlaubte Naturwissenschaften und Theologie eine Symbiose, die die Entwicklung der Naturwissenschaften begünstigte, nachdem ihre oben genannten Initianten ja noch mit dem Ruch des Atheisten behaftet waren – sehr zum Nachteil ihrer Lebensqualität.

Brockes, das ist wahr, ist kein Philosoph und kein Theologe. Er will Gottes Existenz nicht aus der Natur beweisen. Sie ist für ihn simple Tatsache, die zu betonen und in der Natur darzustellen er allerdings nicht müde wird. Dass im deutschsprachigen Raum schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dem physikotheologischen Gottesbeweis durch Immanuel Kant der Garaus gemacht wurde, und Brockes’ Werk schon vor Kant von den Platt-Aufklärern Breitinger und Gottsched niedergemacht wurde, zeigt die Kurzlebigkeit der physikotheologischen Weltauffassung. Die in ihr zwar auch schon enthaltene Aufklärung hat keinen Platz mehr für Gott – ausser vielleicht als schönes Extrazückerchen für die Sonntagspredigt.

Der Dichter Brockes verschwand also noch schneller, als er gekommen war. Dabei hat er durchaus Verdienste vorzuweisen. Leser, die jenseits des Inhalts auch auf die Form achten können, werden feststellen, dass die deutsche Sprache, die Sprache der deutschen Literatur, dem Hamburger Ratsherren sehr viel verdankt. Bis heute berühmt ist die im vorliegenden Ersten Theil stehende Schilderung eines Gewitters, wo Brockes zuerst das Gewitter mit vielen rollenden und donnernden R’s abschildert, um dann über viele Zeilen hinweg die Nach-Gewitterstimmung mit sanften, lispelndens S’s (und ganz ohne R’s!) darzustellen.

Aber auch sonst ist Brockes’ Sprachkunst immer wieder erstaunlich. So, wenn er – fast wie den richtigen Ausdruck suchend – zwei, drei Zeilen lang Verb um Verb aneinanderreiht, um den Gesang der Frösche darzustellen. Nicht nur, dass er dafür Verben nimmt, die ich jedenfalls zum ersten Mal in Zusammenhang mit dem Quaken der Frösche gefunden habe – er erfindet auch durchaus eigene, lautmalerisch-komische.

Der Schluss des ersten Teils gehört Brockes, dem Übersetzer. Für Brockes ist die Übersetzung immer eine Gelegenheit, seine satirisch-aufklärerische Ader auszuleben, über die ja auch er schon durchaus verfügte. Hier hat er ein paar (auch obrigkeitskritische) Fabeln des um weniges älteren Zeitgenossen Antoine Houdar de La Motte (1672-1731, schon zu jener Zeit allgemein nur “La Motte” genannt) übersetzt. Künstlerisch weniger wertvoll, aber das Bild Brockes’ abrundend.

Der erste Teil von Brockes’ Irdischem Vergnügen ist auch der erste Teil des zweiten Bandes der Werkausgabe, die im Wallstein-Verlag zur Zeit erscheint (hier Band 1), und die von Jürgen Rathje betreut wird. Dann sind wir mal auf die nächsten 8 Bände dieses Vergnügens gespannt.

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