In der Bibliothek von Babel des Argentiniers Jorge Luis Borges durfte natürlich Edward John Moreton Drax Plunkett, 18th Baron of Dunsany, (1878-1957) nicht fehlen. Borges‘ Auswahl aus Lord Dunsanys Werk nennt sich Das Land des Yann nach einer der ausgewählten Kurzgeschichten.
Lord Dunsanys Werk hinterlässt dem Leser immer ein bisschen den Eindruck, dass hier einer seine Visionen im Haschisch- oder Opiumrausch niedergeschrieben hätte. Er selber soll einmal gesagt haben: „Ich schreibe niemals über Dinge, die ich gesehen habe, nur über die, von denen ich geträumt habe.“ Von solchem auf Dunsanys Person zu schliessen, wäre nun aber verkehrt. Aus ältestem irischen Adel stammend, war er passionierter Grosswildjäger, ein ausgezeichneter Pistolenschütze und Schachspieler, im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Offizier an vorderster Front mit und wurde verwundet. Tierschützer, Cricketspieler, Pfadfinder, Exzentriker … die Liste ist lang. Daneben hat er – man sagt ihm nach: mit einer Gänsefeder! – über 80 Bücher geschrieben. Zu den von ihm beeinflussten Autoren zählen Bekanntheiten wie H. P. Lovecraft oder Robert E. Howard. Er selber war ganz offenbar beeinflusst von u.a. Poe und den Märchen der Brüder Grimm und Hans Christian Andersens.
Ich habe Das Land des Yann in der Büchergilden-Ausgabe der Bibliothek von Babel gelesen. Die kleinen Bändchen sind relativ teuer, aber gut gemacht. Die Sammlung umfasst acht Geschichten verschiedenen Stils. In Am Rand der Gezeiten erzählt ein Toter, wie er am Ufer der Themse, in der Nähe Londons, verscharrt wird und nun im Laufe der Gezeiten erlebt, wie die Grossstadt wieder in einem Dschungel verschwindet. Das Schwert und das Idol führt zurück in eine prähistorische Zeit und schildert den Sieg der Religion über die alltagspraktische Tatkraft. Carcassonne schildert ein Queste, die nie am Ziel ankommt. Die Geschichte, die der ganzen Sammlung den Titel gegeben hat, Das Land des Yann, erzählt von einer fiktiven Flussfahrt eines Träumers. Er erlebt dabei keine grossen Abenteuer, sondern nur eine Reihe kleinerer Wunder. Einmal flieht er auch vor der Gefahr. (Lovecrafts The Dream-Quest of unknown Kadath ist eine Hommage an diese Art von Geschichten Dunsanys, oder auch das hier nicht besprochene The White Ship und mehr.) Die Wiese könnte auch dem deutschen Expressionismus entsprungen sein, bei der Art und Weise, wie hier Idylle in Horror umkippt. In Die Bettler hat der Ich-Erzähler eine Vision unheimlicher Gestalten, die durch London wandern und alles und jeden segnen, selbst Kanaldeckel. Im Bureau d’Echange de Maux können die Leute ein Übel, das sie gern loswerden möchten, gegen ein anderes, das sie als harmloser einstufen, tauschen. Der Ich-Erzähler lässt sich durch seine Neugierde dazu verführen, ein harmloses Übel (seine Angst vor Seekrankheit) gegen ein seiner Meinung nach noch harmloseres zu tauschen, die Angst, im Lift stecken zu bleiben oder nach unten zu fallen. Erst im Nachhinein entdeckt er, dass er den Teufel gegen Beelzebub getauscht hat, doch das Bureau d’Echange de Maux ist nicht mehr dort, wo er es gefunden hatte. Eine Nacht im Pub schliesslich ist ein kurzes Drama, in dem erzählt wird, wie ein Idol einen Diamanten zurückholt, der ihm als Auge diente und von drei Halunken gestohlen wurde.
Dunsanys Geschichten sind oft märchenhaft, manchmal ein bisschen gruselig. Der ganz grosse Horror eignet ihm nicht. Hierin übertrifft ihn Lovecraft mit seinem Supernatural Horror. Dafür ist die Spannbreite von Dunsanys Erzählungen bedeutend grösser, seine Pointen sind subtiler und besser gesetzt.
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