Durch einen Zufall bin ich auf oben genannte Veranstaltungsreihe gestossen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich beim Durchblättern der Homepage schon bald wegklicken wollte: Paul Auster liest aus einem unveröffentlichten Text? Könnte interessant sein, aber: ausverkauft. Gertrud Leutenegger, die seit ihrem Auftauchen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 wieder ein wenig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geraten ist, trifft sich mit einer literarischen Persönlichkeit? Dazu ist sie in meinem persönlichen Bewusstsein selber zu wenig als literarische Persönlichkeit verankert. Dann aber stiess ich auf folgende Ankündigung:
Steampunk-Fantasy mit Stefan Bachmann,
und ich wusste, da muss ich hin. Nicht, weil ich Bachmann nun für einen grossen Autor halte (er hat allerdings das Zeug, in seinem Genre einer zu werden). Aber weil ich gerade anhand seines Beispiels ein wenig aus der Nähe nachverfolge, wie ein Autor „gemacht“ wird.
Also pilgere ich hin zur Stadtbibliothek Winterthur. Draussen ist’s kalt, drinnen schön warm. Die Lesung findet in einem Saal im 2. Untergeschoss statt. Der Saal ist nicht riesig, aber hoch; er wird sich auch im Laufe des Abends nicht ganz füllen, die Lüftung hat also keine Probleme. Ich bin relativ früh da, Bachmann auch. Er albert ein wenig mit der Moderatorin des Abends, Barbara Tribelhorn, herum – ich darf nicht. Der Saal füllt sich langsam; ich merke, man kennt und begrüsst sich. Offenbar hat die Stadtbibliothek Winterthur fleissige Leser (meist: -innen!), die auch deren öffentliche Veranstaltungen besuchen. Im Übrigen ist das Publikum recht gemischt, sowohl was das Alter betrifft (man sieht viele Grauköpfe, aber auch noch nicht ausgewachsene Menschlein, und alles dazwischen – vielleicht mit einem kleinen Überhang in Bachmanns eigener Kategorie, den Anfangs-Zwanzigern), als auch die Geschlechter (auch wenn die Frauen in der Überzahl sind – aber das ist praktisch in jedem Leseforum so). Es ist kein Schicki-Micki-Publikum; eher der Typ ‚Gymnasiallehrer, der sich ein künstlerisches Flair geben möchte‘ – Birkenstock-Sandale kombiniert mit Jacke aus Manchester-Stoff und/oder Selbstgestricktem. (Bachmann hat dasselbe Outfit gewählt wie am zweiten Tag in Frankfurt: dieselbe Hose, dasselbe blau gestreifte Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, dieselbe schwarze, runde Wollmütze auf dem Kopf. Vielleicht sollte er einen guten Coiffeur [Friseur, für meine deutschen Leser] konsultieren, der ihm eine weniger brave Frisur verpasst, damit er die Kappe, die doch – nach Bachmanns Gesichtsfarbe zu schliessen – recht einzuheizen scheint, zumindest in-door weglassen könnte.)
Kurz nach 20.00 Uhr beginnt die Veranstaltung; der Saal ist etwa zu ⅔ gefüllt.
Bachmann, und man glaubt es ihm, gibt als erstes zu, dass es ihn immer noch ungeheuer unter Stress setzt, vor Publikum lesen zu müssen / dürfen – einerseits, weil Deutsch nicht seine Erst-Sprache ist, andererseits, weil er sich unterm Lesen auch immer wieder der Dinge bewusst wird, die er heute anders schreiben würde. Ich denke aber auch, Bachmann hat unterdessen seine Rolle gefunden: der leicht linkische, schüchterne, aber immer höfliche junge Mann, der in seinen Aussagen zwischendurch allerdings sehr wohl die Verbissenheit und Zielstrebigkeit des echten Autors durchschimmern lässt. (Er schreibt zum Beispiel, gemäss eigenen Aussagen, täglich mindestens eine Stunde – auch wenn er nachher alles Geschriebene wieder verwirft. Ich meine, über Thomas Mann und Gerhart Hauptmann Ähnliches gelesen zu haben.) Ob er seinen Akzent ebenfalls pflegt, weiss ich natürlich nicht, aber er liest das vom Schweizer ‚Hochdeutsch‘ genannte Standarddeutsch immer noch mit einem amerikanischen und einem Schweizer Akzent zur gleichen Zeit.
Bachmann liest zwei Ausschnitte aus seinem ersten Buch, Die Seltsamen, und zwei Ausschnitte aus seinem zweiten, Die Wedernoch. Die Ausschnitte sind diesmal besser gewählt als bei seiner Lesung in Frankfurt, an der Buchmesse. Dort hat er eine eher schwächere Passage erwischt. Die will er zwar diesmal auch vorlesen, findet sie aber nicht (sagt er). So liest er diesmal u.a. aus den Prologen beider Werke vor – und die Prologe sind in beiden Fällen die wohl gelungensten Teile des Werks. Er stolpert freilich ständig über irgendwelche Wörter und liest recht monoton. Nun, auch Autoren, die in ihrer Muttersprache lesen, können oft zwar schreiben, aber nicht lesen.
Im Anschluss an die Lesung durfte das Publikum noch Fragen stellen. Von diesen Fragen sind mir zwei in Erinnerung geblieben. Da war das 10- oder 12-jährige Mädchen, das ihn fragte, ob er vor The Peculiar schon andere Romane geschrieben habe. Man hatte sofort den Eindruck, dass die Kleine selber zu Hause fleissig schrieb und nun wissen wollte, ob das denn nicht für die Katz sei, weil sie noch keinen Verlag gefunden habe. Bachmann konnte sie beruhigen: The Peculiar sei sein vierter oder fünfter Roman gewesen, den er zu Ende geschrieben habe. Und dann natürlich noch meine eigene Frage. Nein, er habe bis heute Philip Pullmans His Dark Materials nicht gelesen. Die auffallenden Parallelen der ersten Bücher Pullmans und Bachmanns müssten also reiner Zufall sein.
Beim Signieren der Bücher dann fragte ich ihn – der ja ‚hauptberuflich‘ Komposition studiert – nach seinem Lieblingskomponisten. Anton Dvorak.
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