Christoph Martin Wieland: Schriften zur deutschen Sprache und Literatur II

Band II der von Remtsmaa und andern herausgegebenen Schriften zur deutschen Sprache und Literatur bringt vorwiegend Äusserungen Wielands zur Literatur – also Literaturkritik im weitesten Sinn.

Der Band beginnt mit der ungeheuerlichen Kritik Wielands an Uz und mit ihm an den Anakreontikern (von 1752), wo Wieland – noch völlig der bigotte Christ – Uz nicht nur aus poetischen oder poetologischen Gründen angreift, sondern ihn ganz persönlich verunglimpft, ja zur Anzeige bringt. Es wird einem, wenn wir ehrlich sein wollen, ziemlich übel bei der Lektüre dieses Pamphlets. Auf die Anklage folgt – als einer der wenigen Texte in den drei Bänden, die nicht von Wieland stammen – die Reaktion Christoph Friedrich Nicolais (Wir schämen uns wirklich für Herrn Wielanden, daß er sich von einer blinden Leidenschaft zu so unwürdigen Ausschweifungen verleiten läßt.), danach weitere Entwürfe Wielands, in denen er die Fehde weiterführen wollte. Zum Glück für seinen Nachruf hat er darauf verzichtet. Als Gegengewicht zu dieser Jugendsünde finden wir die Unterredung zwischen W** und dem Pfarrer zu *** von 1775, wo Wieland in einem fiktiven Dialog eine ästhetisch-moralische Rechtfertigung dafür findet, dass erotische Tändeleien, wie auch er, Wieland, sie in der Zwischenzeit verfasst hat, und wie er, Wieland, sie seiner Teenager-Tochter auch nicht in die Finger drücken würde, dennoch ein Recht auf Existenz haben. Nun ja – er hat mittlerweile die Seiten gewechselt und sieht sich ähnlichen Anklagen ausgeliefert, wie er sie seinerzeit gegen Uz äusserte.

Einige der folgenden Texte segeln unter der Überschrift Zur Literaturgeschichte, aber wir dürfen uns darunter nicht Literaturgeschichte vorstellen, wie sie heute an Universitäten gelehrt und betrieben wird. Wieland fasst z.B. ganz einfach zusammen, welche deutschen Singspiele mit dem Motiv der Alceste es schon vor seinem eigenen gegeben hat. Des weiteren referiert er über die Edda oder über Sebastian Brands (sic!) Narrenschiff. Der Abschnitt Zu literarischen Zeitfragen beschäftigt sich mit verschiedenen Themen, so dem Problem des Übersetzens, der in Schwang geratenen Nachahmung von Laurence Sterne, oder der Frage, wie die deutsche Literatur im fremdsprachigen Ausland (England, Frankreich) aufgenommen werde – wobei er da einige herrliche Perlen englischer oder französischer Überheblichkeit an Land geholt hat.

Last but not least dann die Rezensionen und Anzeigen, also der eigentliche Literaturkritiker Wieland. Jan Philipp Remtsmaas Auswahl gibt uns nicht nur einen Einblick in Wielands Tätigkeit als Literaturkritiker (vorwiegend ja für die eigene Zeitschrift, den Teutschen Merkur), sie gibt zugleich einen Einblick in das rege literarische Leben seiner Zeit. Wen hat Wieland nicht gelesen oder rezensiert? Wir finden Kritiken und Anzeigen zu Johann Georg Sulzer (dem Ästhetiker seiner Zeit), zu Gleim, Lessing, Johann Georg Jacobi, Klopstock, Heinse, Rabener (der postum herausgegebene Briefwechsel), Christian Felix Weiße, Lavater, Ramler, Diderot und Salomon Gessner oder Albrecht von Haller. Goethe wird mit seinen grossen Jugend-Dramen rezensiert, aber auch das Pamphlet Götter, Helden und Wieland. Eine Farce wird derart gekonnt pariert, dass sich der junge Rabauke Goethe völlig entwaffnet sieht. Wir finden Wezel wieder (den Wieland vor dessen Exzess im Belphegor sehr schätzte), Lenz‘ Lustspiele nach dem Plautus und auch den Hofmeister; nach und nach werden auch Anthologien und Almanache einbezogen (einmal in ein- und demselben Jahr gleich drei sog. Musenalmanache – den von Voß, den von Schiller und einen dritten), allerdings verleidet das Wieland rasch, er beendet die Rezension der Almanache in einem summarischen Verfahren, und dies, obwohl er den Lyriker Voß eigentlich mag, nur den Homer-Übersetzer nicht. Überhaupt zeigen Wielands Urteile oft, dass er den Vor- und Misslieben seiner Tage nur zu gern nachgab, Hölty oder Friederike Brun lobte er über den grünen Klee, Asmus (d.i. Matthias Claudius) hingegen weniger. Selbstverständlich findet die Zeitschrift Pamona seiner Jugendfreundin Sophie von La Roche lobende Erwähnung. Eher unerwartet kommt eine Rezension von Bertuchs Pandora oder Kalender des Luxus und der Moden für das Jahr 1788 – aber das zeigt einmal mehr Wielands breit gefächertes Interesse. Von den uns schon aus den Horen-Beiträgen bekannten Literaten der Zeit finden wir Johann Jacob Engel wieder, mit Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten, aus deutschen Mustern entwickelt, Alxinger mit Doolin von Maynz. Ein Rittergedicht und auch Daniel Jenisch mit einem merkwürdigen Heldengedicht in der Nachfolge Klopstocks: Probe eines Heldengedichts, Borussias, oder der siebenjährige Krieg, in acht Gesängen (selbst vom äusserst toleranten Wieland verrissen). Schiller wird mit seinem Dom Karlos und der Geschichte des Dreissigjährigen Kriegs rezensiert (wobei Wieland in verschiedenen Rezensionen insistiert, dass es nicht ‚Dom, sondern ‚Don‘ heissen müsste!). Rezensionen von Werken Johann Heinrich Campes und Herders gehören dann in diesem Band zu den letzten aufzufindenden.

Und das sind nur die bekannteren der namentlich Rezensierten. Wenn man dann noch die nur in den Fussnoten (Wielands und Remtsmaas) Erwähnten hinzunähme, würde die Liste der Rezensierten und Erwähnten noch viel länger. Hier sei nur noch einer erwähnt. Immer wieder wird in Wielands Rezensionen auf eine Instanz der Kritik zurückgegriffen, die Wieland bestens kennt, weil er ihn selber übersetzt hat: Horaz, den Wieland immer wieder zitiert. Aber natürlich kennt Wieland auch seinen Vergil; ja, selbst der zu Wielands Zeiten bereits praktisch verschollene Barthold Heinrich Brockes ist ihm nicht unbekannt.

Wielands Literaturkritiken: ein intellektuelles Wimmelspiel.

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