N° 5/1797 der Horen ist ein eher durchschnittliches Stück. ‚Durchschnittlich‘ bezogen auf die Horen selber – weder ragt diese Nummer aus den übrigen heraus, noch ist sie so schlecht, dass man versucht ist, eine Literaturpolizei zu gründen und zu rufen.
Als erstes finden wir Lenz‘ Waldbruder weitergeführt. Allerdings wird in dieser Fortsetzung klar, warum Lenz die Arbeiten daran abgebrochen hat. Der Waldbruder nämlich bleibt keiner, sondern geht erst zurück in die kleine Stadt mit ihrem kleinen Hof, von da lässt er sich als Soldat anheuern, der in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ziehen soll. Der Krieg wird allerdings weder politisch noch sonst wie behandelt, sondern ist im Grunde genommen nur Würze in einer komplexen Intrigen-Suppe, in der dem Waldbruder übel mitgespielt wird – einer Intrigen-Suppe, in der im Übrigen Goethe, Wieland und Klopstock die hauptsächlichen Ingredienzien sind, und die tatsächlich so komplex ist, dass Lenz zu einem Trick greifen muss, um das Gebräu dem Leser zu erklären: Er schaltet – weil er offenbar die Struktur des reinen Briefromans nicht verlassen will – drei Briefe einer unbeteiligten Bewohnerin der Hauptstadt an einen ebenso unbeteiligten Pfarrer auf dem Land ein, in denen der Verlauf der Geschichte, der aus den Briefen der Beteiligten nicht gänzlich erraten werden konnte, dem Leser expliziert wird. Leider sind die drei Briefe störende Fremdkörper, weil der Leser merkt, dass sie eine Verlegenheitslösung darstellen, sie im Grunde genommen – bis hin zu der Art und Weise des Erzählens – dann doch nur den auktoriellen Erzähler ersetzen sollen.1)
Es folgt Phaeton, ein Auszug aus Ovids Metamorphosen, übersetzt von Johann Heinrich Voß. Voß durfte ja schon ein paar Mal Übersetzungen zu den Horen beitragen; das hier ist seine bisher gelungenste. Epen scheinen Voß mehr zu liegen als elegische oder lyrische Töne. Da das Schicksal des Phaëton, der von seinem Vater Helios für einen Tag den Sonnenwagen erbettelt, dann aber die Kontrolle darüber verliert und – wenn er nicht von Zeus im wahrsten Sinne des Wortes abgeschossen worden wäre – einen Weltuntergang provoziert hätte, auch in sich spannend ist, Ovid dazu ein guter Erzähler, kann man diesen Auszug aus den Metamorphosen mit einigem Spass lesen.
Danach aber sinkt die Qualität dieser Nummer. Caroline von Wolzogens Agnes von Lilien findet eine weitere Fortsetzung. Der Roman driftet zusehends in eine romantische Horror-Story ab; mehr und mehr sind es Samuel Richardsons Pamela oder Ann Radcliffes The Mysteries of Udolpho, die das Vorbild abzugeben scheinen, nicht mehr Goethes Wilhelm Meister. Für einmal führt das Sätzchen Die Fortsetzung folgt am Ende des Beitrags in die Irre: In den Horen wird es keine Fortsetzung der Agnes von Lilien mehr geben, weshalb auch immer. Caroline von Wolzogen wird den Roman nichtsdestotrotz rund zwei Jahre später veröffentlichen und damit einigen Erfolg haben. Weshalb auch immer.
Den Schluss der Horen bildet ein dreiseitiges Elaborat Der Volksrath, offenbar von Pfeffel, auch wenn er damals nicht als Autor genannt wurde. Ein Versehen, oder weil sich Pfeffel schämte? Das Gedicht kommt im Gewand einer Tierfabel daher und will zeigen, dass in einem Volksrat jeder nur seinen eigenen Vorteil verfolgen würde – womit Pfeffel zugleich impliziert, dass es den (quasi über den Parteien stehenden und deshalb unabhängigen) König oder Fürsten brauche. – Dafür, dass die Horen offiziell unpolitisch sein sollten, finden wird darin doch recht viele konservative Spitzen gegen die Volkserhebung im Allgemeinen und im Besonderen…
Alles in allem, wie schon gesagt: Es gab schon bedeutend bessere Nummern der Horen, aber auch schon bedeutend schlimmere.
1) Lenz fühlte das auch selber und liess die Verfasserin am Ende des dritten Briefes sogar sagen: Nicht wahr, ich habe eine gute Anlage zur Romanenschreiberinn? (Welche Selbstironie leider die Sache auch nicht rettet.)