Herausgegeben von Ulrich Joost und Udo Wargenau. Göttingen: Wallstein, 2015. – Eine geballte Ladung Kompetenz steht also hinter dieser Ausgabe, war doch Ulrich Joost schon mitverantwortlich bei der Herausgabe des Briefwechsels eines anderen (Wahl-)Göttingers derselben Epoche, Georg Christoph Lichtenberg, und auch beim Wallstein-Verlag kennt man sich mit Briefwechseln aus jener Zeit sehr gut aus, man vergleiche z.B. den Briefwechsel Johann Heinrich Mercks. Auf Seiten der Herausgeberschaft wie des Verlags ist also hohe Qualität zu erwarten, und es sei vorweg genommen: Beide werden dieser Erwartung gerecht. Es handelt sich hier um den ersten und bisher einzig erschienenen Band einer auf 5 Bände angelegten Briefausgabe.
Interessanterweise spielen übrigens sowohl Lichtenberg wie Merck eine Rolle in dieser Ausgabe von Bürgers Briefwechsel, interessanterweise beide, ohne dass Bürger direkten Kontakt mit ihnen hatte. Bei Lichtenberg ist es so, dass Bürger zwar mit dem Amtskollegen des Professors für Physik, Kästner, Briefe wechselte; Lichtenberg selber aber wird von den Herausgebern immer wieder zitiert, wenn es darum geht, zusätzliche Informationen zu lokalhistorischen Göttinger Ereignissen beizubringen, die beide in ihren Briefen (bzw. Lichtenberg auch in seinen Tagebüchern) erwähnt haben. Bei Merck liegt die Sache nochmals anders. Ich weiss nicht, ob Bürger überhaupt von der Existenz Mercks wusste. Immer mal wieder aber ärgern er und seine Freunde sich über nicht ganz so vorteilhafte Rezensionen ihrer Werke in Wielands Teutschem Merkur. Bürger schreibt diese zwar jeweils Wieland persönlich zu, nach heutigem Wissen stammen sie von Merck. Das Ganze hindert übrigens Bürger nicht daran, mit Wieland persönlich zu korrespondieren, und auch einige seiner Werke im Teutschen Merkur zu veröffentlichen.
Mit Ausnahme von Merck aber scheint Bürger ungefähr jeden gekannt zu haben, der in der damaligen deutschen Literaturszene eine Rolle spielte. Er war dabei, als der Göttinger Hainbund gegründet wurde, wenn er auch offenbar eher ein ephemeres Mitglied blieb. Immerhin nahm er Teil an der Sitte, sich gegenseitig mit pseudo-altdeutschen Bardennamen anzureden – Namen, die die Hainbündler aus heute unbekannten Werken Klopstocks nahmen. (Klopstock ist in Bürgers Korrespondenz natürlich auch vertreten.) Als er sich dann allerdings anlässlich einer seiner Balladen (nicht der Lenore, die man heute noch als einzige kennt) in Briefen an die Hain-Freunde als Über-Kondor bezeichnete, der so viel über dem Rest der übrigen stehe, reagierten die Hainbündler eher verhalten. (Neben der Bezeichnung durch altdeutsche Bardennamen regierte bei den Hainbündlern nämlich noch die Sitte, sich gegenseitig mit Titeln anzureden, die von den grossen Greifvögeln abgeleitet waren.) Dabei hatte Bürger mit dem Über-Kondor gar nicht so Unrecht: Mit Ausnahme vielleicht von Hölty, der der bessere Lyriker war, konnte ihm keiner der Hainbündler das Wasser reichen, schon gar nicht auf dem Gebiet der Ballade. (Hölty nun wiederum einer der Hainbündler, mit denen Bürger eher weniger Kontakt hatte – auch wenn er dessen Tod bedauerte.)
Allerdings war Bürger keineswegs überzeugt, dass die Ballade sein Elexier sei. Er sah sich mehr als Lyriker und als Übersetzer. Er versuchte sich sogar an Homer – den er in Jamben übersetzen wollte. Goethe organisierte ihm prominente finanzielle Unterstützung, falls er sein Vorhaben ausführen würde, viele Mitglieder des Weimarer Musenhofs waren zu einer Spende bereit, und sogar Carl August hätte sich nicht lumpen lassen. Bürger war sich des Risikos seiner jambischen Übersetzung wohl bewusst und verfasste gar eine Art theoretischer Rechtfertigung, die er dem ersten Teil seiner Übersetzung voranstellte. Das hinderte den Co-Hainbündler Stolberg nicht daran, die Reklametrommel für eine eigene Übersetzung zu rühren, eine Übersetzung in Hexametern diesmal. Der einzige Hainbündler, der nichts dazu sagte und sich vorläufig auf Gedichte und Übersetzungen aus dem Lateinischen konzentrierte, war ausgerechnet – Voß. (Weder Bürgers noch Stolbergs Übersetzungen wurden je vollendet.)
In seinen Briefen kann man sehr schön nachverfolgen, wie Bürger je nach Briefpartner seinen Stil ändert. Bei Goethe fragte er zuerst sorgfältig nach, wer jener Philipp Seidel sei, der in seinem Auftrag geantwortet habe, bevor er sich ans Schreiben mache. Goethes Antwort ist offenbar nicht überliefert. Mit Goethe parlierte er ansonsten im genialischen Stil des ‚Sturm und Drang‘ und nannte ihn Bruder (was auch zeigt, dass der Göttinger Hainbund so weit nicht vom ‚Sturm und Drang‘ entfernt war); mit Listn, dem Vorvorgänger in seinem Amt, sogar in derb-fäkalischem Ton, den er wiederum beim (O-Ton der Herausgeber) keuscheren Boie völlig wegliess. Mit Goeckingk konferierte er seitenlang in sachlichem Ton über die notwendigen Vorbereitungen zu einem gemeinsamen Verlag bzw. einer gemeinsamen Druckerei, in der Werke auf Subskription publiziert werden sollten. Obwohl die beiden diese Idee über Jahre pflegten und hegten, wurde daraus nichts. (Angesichts der Erfahrungen, die rund 100 Jahre später ein anderer Schriftsteller mit einer ganz ähnlichen Idee sammelte, war das vielleicht auch ganz gut so.) Mit Herder und seiner frisch angetrauten Frau verkehrten die Hainbündler eine Zeitlang persönlich, man besuchte sich auch gegenseitig. Neben Boie war Johann Erich Biester in der Zeit zwischen 1760 und 1776 hauptsächlicher Korrespondenzpartner. Von Gleim scheint sich Bürger relativ rasch entfremdet zu haben, ich vermute, dass er dessen Abgleiten in die Empfindsamkeit nicht nachzuvollziehen vermochte. Als der Streit um die Musenalmanache ausbrach, hielt sich Bürger im Hintergrund, auch wenn er im Göttinger Musenalmanach immer wieder veröffentlichte – das wenige, das er neben einer aufreibenden Tätigkeit als Amtmann in Altengleichen zu schreiben vermochte.
Eine philologisch sorgfältig aufbereitete Ausgabe, die jedem, der am intellektuellen Leben Deutschlands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts interessiert ist, nur empfohlen werden kann. Sie soll in Band 5 auch Bürgers amtliche Briefe bringen, darauf bin ich schon sehr gespannt, verlief doch Bürgers Tätigkeit als Amtmann in Altengleichen nicht ganz problemlos. Leider sind die Briefe aus Bürger’s Nachlass heute verloren, und die Herausgeber müssen sich für viele Briefe auf nicht ganz zuverlässige Editionen aus dem 19. Jahrhundert stützen. Das tut dem Lesevergnügen allerdings keinen Abbruch.
4 Replies to “Gottfried August Bürger: Briefwechsel. Band I: 1760 – 1776”