Solche enzyklopädisch anmutenden Bücher gibt es unzählige: Und auch wenn das vorliegende Buch von Rozanskij durchaus anspruchsvoll und geistreich sich dieser Deskription nähert, so bleibt es doch in einem bloßen Aufzähen stecken. Von den Vorsokratikern und den Atomisten über Aristoteles zu den großen hellenistischen Kompilationen eines Euklid wird alles brav abgehandelt, das Wesen der Wissenschaftlichkeit oder besser: Der Unterschied zwischen philosophischen und naturwissenschaftlichen Ansätzen, ihre methodologischen Differenzen werden bestenfalls gestreift (hier ist Nestles „Vom Mythos zum Logos“ trotz andere Setzung der Prioritäten sehr viel ergiebiger).
Auch die soziologischen Hintergründe der Trennung von Theorie und Praxis (die als einziger Archimedes überschritten hat) wird mit einem kurzen Hinweis auf die „Sklavenhaltergesellschaft“ abgetan. Dass die ökonomische Struktur in einer Gesellschaft durch die reichlich zur Verfügung stehenden, billigen Arbeitskräfte beeinflusst wird, ist selbstverständlich richtig, es gab in dieser Hinsicht keinen Effizienzdruck auf die Produktionsweise. Andererseits hat sich diese Theorie-Praxis-Dichotomie auch in der Spätantike erhalten (als es durchaus einen Mangel an Arbeitskräften gab) und auch die Kriegstechnik war von dieser Trennung (von Archimedes‘ Kriegsmaschinen einmal abgesehen) betroffen. Und da der Krieg für das römische Imperium bzw. die militärischen Machtmittel sehr wohl von allergrößter Bedeutung waren, lässt sich diese Vernachlässigung der Praxis nicht einfach mit dem Hinweis auf die „Sklavenhaltergesellschaft“ erklären.
So ist das eher eine antike Geschichte der Naturphilosophie denn eine Untersuchung über Entstehung und Funktion der Wissenschaften im Altertum. Lesbar trotz allem, aber der Anspruch einer kritischen Wissenschaftsgeschichte konnte nicht wirklich eingelöst werden.
Ivan D. Rozanskij: Geschichte der antiken Wissenschaft. München: Piper 1984.