John Stuart Mills Autobiographie ist das Muster einer Autobiografie, die für einmal nicht das eigene Ich in den Mittelpunkt stellt, sondern dieses Ich in die gesellschaftlich-politisch-philosophische Entwicklung der Zeit einbettet. Sehr ruhig und fast neutral erzählt Mill aus seinem Leben – ein Stil, den ich eigentlich nur noch in jener andern Autobiografie eines britischen Denkers angetroffen habe, in derjenigen von Bertrand Russell.
Mill hatte eigentlich keine Kindheit oder Jugend. Er wurde früh schon von seinem Vater daraufhin gedrillt, eines Tages die Nachfolge zu übernehmen – nicht eines Königreichs oder auch nur einer mickrigen Grafschaft, sondern John Stuart Mill sollte als Vertreter jener Strömung weiterarbeiten, die man heute Utilitarismus nennt. Mills Vater arbeitete eng mit Jeremy Bentham an der Entwicklung dieser Denkrichtung zusammen, und nichts wünschte er sich sehnlicher, als einen Sprössling, der das Panier aufnehmen und weitertragen würde.
Das tat Mill denn auch geraume Zeit widerspruchslos – bis er eines Tages durch einen physischen und psychischen Zusammenbruch gebremst wurde. Der zwang ihn, seine rastlose Tätigkeit für den Utilitarismus zu überdenken, was beinahe zwangsläufig dazu führte, dass er die Doktrin des Utilitarismus selber überdachte. Nicht, dass er sich nun davon gänzlich löste, aber er begann eigene, teils abweichende Gedanken zu vertreten. Das tat er, indem er Ideen von Coleridge und Wordsworth integrierte, aber auch welche der deutschen Denker (genannt werden Goethe und Wilhelm von Humboldt). Zwar glaubte auch er an die Malthusische Katastrophe, aber anders als die klassischen Utilitaristen vertrat er die Meinung, dass eine kulturelle, intellektuelle, spirituelle, geistige Befriedigung (wie immer man das nennen will) mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger war, wie die Befriedigung rein körperlicher Bedürfnisse.
Das alles wird in dieser Autobiografie nur angedeutet; sie ist kein philosophisches oder ökonomisches Lehrbuch, sondern zeigt einfach die Stationen in Mills Leben auf. (Und wer von Sittenverrohung in der heutigen Politik spricht, sollte Mills Bericht darüber lesen, wie er ins Unterhaus gewählt, bzw. 3 Jahre später wieder abgewählt wurde. Es war schon damals nicht anders.
Sehr kühl, man könnte fast sagen, an seinem Objekt / Subjekt uninteressiert – und gerade deshalb faszinierend.