Walter Kempowski: Uns geht’s ja noch gold

Der fünfte Teil der Deutschen Chronik: Der Krieg ist vorbei und die Hoffnung, es würden die Engländer sein, die das Gebiet um Rostock besetzen, erfüllt sich nicht. Bruder und Vater gelten als vermisst, die Ernährungslage ist prekär, von Osten strömen Millionen Flüchtlinge in das Restdeutschland. (So nebenbei und ganz allgemein, auf Walter Kempowski trifft dies nicht zu (Jahrgang 1929): Es gab glücklichere Schicksale als in Ostdeutschland um 1900 geboren zu werden. In der Jugend der erste Weltkrieg, dann Inflation, bald darauf Hitler, der Zweite Weltkrieg, Hungersnot, Enteignung und weitere 40 Jahre Diktatur. Ob man sich da mit 89 noch freute über den Mauerfall?)

Trotzdem – es ist wie auch im Krieg immer noch die Jugendzeit Walter Kempowskis – und es sind auch die jugendlichen Gedanken, die im Buch zum Ausdruck kommen. Walter erfährt alsbald, dass die neuen Autoritäten sich von den alten nicht wirklich unterscheiden, seine langen Haare finden bei den kommunistischen Machthabern ebenso wenig Anklang wie bei den faschistischen zuvor. Man hat überlebt – und man versucht jetzt zu leben: Indem man sich nach Mädchen umguckt, sich besäuft, manchmal eher verzweifelt wirkende Anstrengungen unternimmt, sein Leben wieder zu ordnen. Klappt nicht, die Schule irgendwie unerträglich, eine Lehrstelle nicht zu bekommen und die Zukunftsaussichten triste. Und so bleibt der Weg in den Westen (obwohl man dann doch Arbeit gefunden hatte), im Gepäck zahlreiche, vom mittlerweile heimgekehrten Bruder zur Verfügung gestellte Papiere, die belegen, dass so gut wie alles irgendwie Wertvolle in die Sowjetunion verschifft wird. Unterlagen, für die der amerikanische Geheimdienst dankbar ist, sich dankbar zeigt: Walter bekommt eine Stelle bei den Amerikanern, endlich genug zu essen, endlich ein wenig Sicherheit. Aber er unterschätzt die Tragweite seines Tuns und kehrt – vermeintlich – auf einen Urlaub nach Rostock zu seiner Familie zurück: Wo er alsbald verhaftet wird.

Das Großartige an den Büchern ist – wie schon bei den anderen Bänden erwähnt – die Beschreibung aus dem spezifisch jugendlichen Blickwinkel: Konzentrationslager bleiben unerwähnt, der Prozess in Nürnberg ist nur eine Randnotiz, man versucht zu leben zwischen Besatzungsmacht, Abenteuerlust und hormoneller Getriebenheit. Im Hintergrund immer die Hoffnungslosigkeit, an eine Zukunft ist nicht wirklich zu denken, außer man biedert sich bei den neuen Machthabern an. Das Verhalten Walters – sowohl unter den Faschisten als auch den Kommunisten – wirkt authentisch und nachvollziehbar: Die politischen Implikationen sind weitgehend belanglos, man versucht zu leben, trotzt den Autoritäten – unabhängig von deren politischer Gesinnung. Nicht aus einer Überzeugung heraus, sondern weil man selbst zu leben versucht – auf seine Weise. Kein Widerstandskampf, getragen von Idealen, sondern ein Widerstand, der seinen Grund im „Leben-Wollen“ findet, im Wunsch nach Unabhängigkeit und gegen alle Bevormundung. Wobei Walter spürt, dass es mit der Freiheit im Westen dann doch besser bestellt ist, trotz aller Widrigkeiten, denen er sich auch dort ausgesetzt findet. – Wieder ist es diese weitgehend unpolitische, jugendliche Perspektive, die ein sehr viel besseres Abbild dieser Zeit liefert denn irgendwelche moralinsauren Darstellungen nebst aufdringlichen, politischen Botschaften.


Walter Kempowski: Uns geht’s ja noch gold. München: Hanser 1972.

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