Kazuo Ishiguro: Der Maler der fließenden Welt

Ich muss gestehen: Ohne Nobelpreis wäre Ishiguro eine Name unter vielen geblieben, wahrscheinlich gemieden, weil ich mit japanischer (überhaupt asiatischer) Literatur nicht wirklich viel anfangen kann. Ishiguro ist allerdings Engländer, zog mit 6 Jahren in das Vereinigte Königreich und wurde von der westlichen Welt sicherlich ebenso sehr (stärker?) geprägt als durch seine japanischen Wurzeln.

Dieser Roman spielt gänzlich in Japan. Es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, man kämpft mit der nationalistischen Vergangenheit ebenso wie mit der amerikanisch geprägten Gegenwart und Zukunft. Ono, ein angesehener Maler, erzählt in der Ich-Form, beschreibt sein eher beschauliches Leben im Ruhestand, sorgt sich um die Verheiratung seiner zweiten Tochter und wird immer wieder von der Vergangenheit eingeholt. Denn er war – wie die meisten seiner Kollegen – ein Nationalist und Befürworter eines japanischen Großreiches und es fällt ihm schwer, so gänzlich den alten Idealen abzuschwören. Immer wiederkehrend die Rechtfertigung, dass man nur getan habe, wovon man zutiefst überzeugt war, dass man Idealen gefolgt sei, die zu jener Zeit nicht hinterfragt wurden. Aber den Preis für diese Haltung mussten unzähligen junge Japaner zahlen (auch der Sohn Onos war unter den Gefallenen, seine Frau wurde bei einem Bombenangriff getötet) und diese sind nun nicht mehr bereit, die Autorität der Älteren fraglos anzuerkennen.

Das Buch vermittelt einen ausgezeichneten Einblick in die traditionellen japanischen Strukturen von Autorität und einer alle gesellschaftlichen Aktivitäten durchziehenden Höflichkeit, einer Höflichkeit, die aber fast immer nur an der Oberfläche bleibt und deren enge Verbindung zur Heuchelei offenkundig wird. Paradebeispiel dafür sind die Verhandlungen, die schließlich – nach einigen Umwegen – zur Verheiratung der jüngsten Tochter Onos führen: Familientreffen werden abgehalten, die einzig dazu dienen, den Schein aufrecht zu erhalten, beide Partner engagieren Privatdetektive, die sich über die Verhältnisse der anderen informieren, jeder versucht die möglicherweise maßgeblichen Personen zu beeinflussen. Bei diesem seltsamen Gesellschaftsspiel kommt Ono einmal mehr seine Vergangenheit in die Quere: Einer seiner Schüler wird in dieses Spiel miteinbezogen und dieser hat – wie man später erfährt – allen Grund, Ono zu hassen und zu verachten: Hat dieser ihn doch während des Krieges als unpatriotischen Bürger angeschwärzt, was mit dessen Verhaftung und der Vernichtung aller seiner Bilder endete. Der Versuch, diese Beziehung wieder zu ordnen (aus durchaus egoistischen Gründen, ganz überzeugt kann man als Leser von den “Einsichten” Onos nie sein) scheitert: Der Schüler verweigert sich der Kontaktaufnahme, die Ehe wird aber trotzdem geschlossen.

Im Regelfall fällt es mir schwer, an den Figuren japanischer Romane irgendetwas Interessantes, Faszinierendes zu finden: Sie sind mir in ihrem Verhalten fremd, Unnahbarkeit verbindet sich mit schwer nachvollziehbarer Dramatik, alles erscheint holzschnittartig, ohne Facetten, subtile Zeichnungen. Dies ist im vorliegenden Buch nicht der Fall: Die Unsicherheit, Pseudohöflichkeit und Heuchelei im Gesellschaftsleben werden sehr eindrucksvoll geschildert, die Figuren sind nicht nur Fassade, sondern haben auch ein Innenleben, das dem Leser sehr subtil vermittelt wird. Vielleicht ist das gerade das spezifisch “Nicht-Japanische” dieses Buches – und vielleicht hat dieses Buch mir gerade deshalb gefallen, weil sein Autor in England sozialisiert wurde. Wie auch immer – ich habe diesen Roman (für mich überraschend) sehr gern gelesen – und es wird nicht der letzte gewesen sein. Eine angenehme (Weihnachts-)Überraschung.


Kazuo Ishiguro: Der Maler der fließenden Welt. Stuttgart: Klett 1988.

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