›Marginalien… 227. Heft

Gerade noch rechtzeitig vor den Festtagen ist Heft 227 der Marginalien (Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie der Pirckheimer-Gesellschaft) bei mir eingetrudelt. Für mich ein wenig ein Heft des Déjà-vu. Je m’explique.

Die m.M.n. wichtigsten Beiträge und Rezensionen:

Ein Essay von Ulrich Wannhoff: Expeditionszeichner und der Weg zur freien Kunst über jene Männer, die vor der Erfindung der Fotografie absolut unentbehrlich waren für jede Expedition (und es gab deren im 18. und 19. Jahrhundert viele!). Denn die aufgefundenen botanischen oder zoologischen Specimen wollten nicht nur verbal beschrieben sein, sondern auch visuell dem Leser vor Augen geführt. Von dem einen oder andern die allgemeine Stimmung vermittelnden Landschaftsbild ganz zu schweigen. Leider für den Autor des Essays (und auch für mich) gingen diese Künstler schon zu Lebzeiten eher vergessen hinter den ‚Taten‘ der Expeditionsführer. Man kennt heute vielleicht noch Peter Simon Pallas (1741-1811), den Deutschen, der in russischen Diensten Sibirien erforschte, aber wer kennt seinen wissenschaftlichen Zeichner Gottfried Heinrich Geissler? – Ein Thema, das ich gern in Buchform und im Grossen ausgeführt sähe.

Es folgt ein Artikel anlässlich einer Ausstellung zur Magdeburger Künstlervereinigung »Die Kugel«, einer losen Gruppe von Expressionisten in Mitteldeutschland, die allerdings dem Sog der Hauptstadt Berlin nicht widerstehen konnte und nie an überregionaler Bedeutung gewann.

Danach ein Artikel über die Kunst des Ex Libris: Wo sind die Bücher zu den vielen Exlibris? von Heinz Decker. Ich habe darin u.a. erfahren, dass auch der Student Goethe, gerade in die Kunst des Radierens eingeführt, seiner damaligen Angebeteten einen Kupferstich als Ex Libris gestaltet hat. (Nichts Besonderes, nebenbei.) Im Übrigen erstaunen den Autor nicht nur die Masse der Ex Libris, sondern auch deren Maße, wurden und werden doch auch Ex Libris gestaltet, die von der Grösse her allenfalls in Coffee-Table-Books geklebt werden könnten, also eher um des künstlerischen Gestaltens willen hergestellt sind als des praktischen Gebrauchs wegen. Ich persönlich halte es bei Ex Libris ja mit der am Schluss des Artikels zitierten Palma Kunkel von Chr. Morgenstern:

Ein Anonymus aus Tibris
sendet Palman ein Exlibris.

Auf demselben sieht man nichts
als den weißen Schein des Lichts.

Nicht ein Strichlein ist vorhanden.
Palma fühlt sich warm verstanden.

Und sie klebt die Blättlein rein
allenthalben dankbar ein.

Des weiteren finden wir einen Artikel von Eva Maurer zu russischen Drucken in der Schweiz. Die Schweiz war gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Exil für die aufmüpfigen jungen Russen der Zeit. Die Einbürgerungspraxis war liberal und so mancher Russe konnte unter dem Schutz der schweizerischen Staatsbürgerschaft regimekritische Schriften in der Schweiz erscheinen lassen.  Natürlich auf Russisch, so dass wohl in den meisten Druckereien, die die Schriften druckten, kein Mensch verstand, was da wirklich drin stand. Der Anarchist Bakunin, der Kommunist Lenin – beide und viele andere beteiligten sich an diesen Tätigkeiten. Haupterscheinungsort war zuerst Zürich (aber auch im verschlafenen Winterthur wurden solche Schriften publiziert), später Genf. Die Russische Revolution setzte dem Treiben ein Ende. Die liberale Haltung der Behörden gegenüber Anarchisten und Revolutionären fand ein beinahe jähes Ende.

Die typografische Beilage vermag mich diesmal gar nicht zu überzeugen: Goudy Old Style für den Text zu vermischen mit Unger-Fraktur für die Initialen ergibt m.M.n. ein unruhiges Bild als Ergebnis.

Ein Artikel über zwei Schriftstellerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts, Helene Böhlau al Raschid und Paula Buber sind interessant wegen der Vermengungen von esoterischen mit (pseudo-)islamischen und jüdischen Belangen – im Leben wie wohl auch im Werk der beiden.

Es folgen ein Bericht über die Jahresversammlung der Pirckheimer-Gesellschaft (in Potsdam kam man wohl um den alten Fritz nicht herum), eine (und das ist das erste Déjà-Vu) Rezension der letzten Nummer der Marginalien. Auch dem Autor dieser Rezension, Harald Kretschmar, ist offenbar aufgefallen, dass sich die Marginalien verblüffend häufig mit Kunst und Künstler der (ehemaligen) DDR auseinandersetzen, will aber im letzten Heft – im Gegensatz zu mir – Besserung gesehen haben.

Im Rezensionsteil folgt das zweite Déjà-Vu – eine Rezension von Jochen Strobels Schlegel-Biografie. (Es ist verblüffend, wie unterschiedlich zwei Menschen dasselbe Buch lesen können.) Die Rezension von Reimar F. Lachners »Friedrich, unser Held« – Gleim und sein König hat mich zwar nicht auf das Buch selber, aber durchaus aufs Thema neugierig gemacht. Eine Rezension über Bernd-Ingo Friedrichs Beiläufiges zur Wahrnehmung Chinas in der Literatur des Biedermeier legt mir das Gewicht ein wenig zu sehr auf Goethes Chinoiserien. (Nicht, weil ich seine Chinesisch-Deutschen Jahres- und Tages-Zeiten nicht für lesenswert hielte, sondern weil ich hoffe, dass Friedrichs Buch noch andere Informationen enthält, als die, wie Zelter und Eckermann den greisen Goethe zum Abschluss dieser Chinoiserie drängten.)

Von den am Ende des Hefts vorgestellten Aktivitäten der ‚Pirckheimer‘ hätte mich Vortrag zur Buchgestaltung von Rilkes Buch der Bilder und Goethes West-östlichem Divan interessiert, der über die Eisenbahn in der bildenden Kunst, sowie der über John Heartfield als Dadaisten. Zum Schluss folgen Geburtstage und Ausstellungen (u.a. eine über Kinderbücher von Italo Calvino oder Hans Fallada).

Alles in allem kein übles Heft und diesmal tatsächlich keineswegs DDR-lastig.

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