Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser: Streitbare Brüder

Karl Kraus meinte, dass es die gemeinsame Sprache ist, die Österreicher und Deutsche trennt. Die Autoren versuchen noch einiges mehr auszumachen: Kulturelles, Politisches, Historisches, Gesellschaftliches. Oder sind die Österreicher nicht im Grunde doch Deutsche – und sogar, wie manchmal unterstellt, die besseren Deutschen?

Etwa die Hälfte des Buches ist den geschichtlichen Entwicklungen gewidmet. Allerdings sind dieselben mit Vorsicht zu genießen: Denn es ist selbstredend Unsinn, eine zweitausendjährige Kontinuität von Österreichern und Deutschen anzunehmen. So wird (wohl nicht ganz ernst gemeint) bis auf die Varus-Schlacht zurückgegangen und der Cherusker Arminius (Hermann) für die Deutschen in Anspruch genommen, während man die Österreicher jener Zeit eher den Markomannen zuordnen wollte. Ein vernünftiger Antagonismus zwischen den beiden Völkern ist aber bestenfalls (und frühestenfalls) im 18. Jahrhundert anzusiedeln: Als sich der große Friedrich mit Maria Theresia um Schlesien balgte und sich – erfolgreich – des Krieges bediente für eine territoriale Abrundung. Zuvor kann man Österreich (mit viel Nachsicht) dem Reiche der Babenberger oder der Habsburger gleichsetzen, die Deutschen selbst aber sind nicht ausfindig zu machen. Wer sollte sie denn repräsentieren – die Schwaben, die Bayern (nicht selten als Nordösterreicher angesehen), die – noch nicht vorhandenen – Preußen, die Hannoveraner (die mehr zu England gehörten)? Und auch das, was heute ur-österreichisch sich ausnimmt, war keineswegs immer mit den Habsburgern verbunden: Salzburg war noch zur Zeit Mozarts selbständig (was die Vereinnahmung des Wunderkindes durch beide Seiten nach sich zog), auch Tirol war (und in anderen Grenzen) immer wieder mal autonom, während so mancher süddeutsche (sogar schweizerische) Bereich dem Einflussgebiet der Habsburger unterstand.

Ergo beschränkt sich das prekäre Verhältnis (wenn es denn ein solches war) auf etwa 250 Jahre. Und die tatsächliche Gegnerschaft hatte mit der Schlacht von Königgrätz ohnehin ein Ende: Nachher betrachtete man sich als befreundet und zog Seit an Seit in zwei Weltkriege (welche – wenn man den Deutschen Glauben schenken will – ohne die österreichische Beihilfe vielleicht sogar zu gewinnen gewesen wären, zumindest der erste der beiden). Eine weitreichende Entscheidung fiel einzig in das Jahr 1848 (was die Vormachtstellung im Deutschen Reich anlangt); damals bestand zumindest die theoretische Möglichkeit einer „großdeutschen Lösung“ unter Führung der Habsburger und so könnte Wien heute die Hauptstadt aller Deutschen sein. Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung durchzudenken kann anregende Spielerei sein – aber auch nicht mehr.

Nach dem Ersten Weltkrieg wünscht sich Österreich nichts mehr als den Anschluss an den großen Bruder: Was von den Alliierten aber verwehrt und knapp 20 Jahre später und auf etwas andere Art und Weise zur Realität wurde. An den nochfolgenden Zweiten Weltkrieg erinnerte man sich anschließend beim kleineren Bruder gar nicht gerne: Unterstützt durch die Moskauer Erklärung von 1943, die Österreich als „erstes Opfer“ der Naziexpansion bezeichnete, kultivierte man im Anschluss diese Opfertheorie, bis in den 80er Jahren selbst einigen Österreichern auffiel, dass der zur Bundespräsidentenwahl stehende (und später auch gewählte) Kurt Waldheim eine SS-Vergangenheit hatte. So kam dem österreichischen Volke gut 40 Jahre nach Ende des großen Schlachtens zu Bewusstsein, dass man sich an demselben auch beteiligt hatte – und häufig in führender Funktion. Denn zuvor hatte man gerade den Opferstatus dazu verwendet, sich von den bösen Deutschen abzugrenzen und so etwas wie ein Österreichselbstverständnis zu entwickeln.

Mittlerweile scheinen die Animositäten zwischen Österreichern und Deutschen aber weitgehend verschwunden zu sein: Sie sind nicht größer als jene zwischen Kärtnern und Steirern oder den Wienern und dem Rest Österreichs. Man spottet über den jeweils anderen, tritt Klischees breit und bedient das dankbare Kabarettpublikum mit dem einen oder anderen Vorurteil. Ob Königgrätz durch Cordoba (3:2 – und „i wea narrisch“) tatsächlich kompensiert wurde, bleibt fraglich: Vor allem weil ich bezweifle, dass der gemeine Österreicher diese Schlacht historisch richten zu verorten weiß (und so nebenbei: Venetien hat Österreich auch nicht zurückbekommen, trotz der gewonnenen Schlachten von Lissa und Custozza). Allerdings ist das Bedürfnis des Österreichers, sich abermals dem großen Bruder anzuschließen (wofür noch nach dem Ersten Weltkrieg eine überwältigende Mehrheit war), mittlerweile ein marginales Phänomen: Gerade 7 % können so einer Idee noch etwas Positives abgewinnen.

Das Buch liest sich leicht und angenehm, birgt für den autochtonen Österreicher allerdings nicht viel Neues (und wäre daher vielleicht eher dem Deutschen anzuempfehlen). Es verzichtet wohltuend auf Klischees und betrachtet die mittlerweile in Abendshows ausgetragenen Auseinandersetzungen mit Abstand – bzw. Humor. Ob sich aufgrund des generellen Rechtsrucks in allen Ländern je wieder eine engere Verbindung zwischen den beiden Ländern anbieten wird, ist schwer abzusehen: Derzeit scheint die Entwicklung eher in Richtung von noch mehr Kleinstaaterei zu gehen. Das allerdings ist Kaffeesudleserei: Ich persönlich würde überhaupt für eine sukzessive Abschaffung aller Grenzen plädieren. Die zwischen Österreich und Deutschland sollte dabei aufgrund der Sprache noch leichter durchlässig sein als alle anderen: Obwohl – was habe ich da einleitend von Karl Kraus zitiert?


Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser: Streitbare Brüder. Österreich – Deutschland. Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft. St. Pölten, Salzburg: Residenz 2010.

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