John Steinbeck: Logbuch des Lebens [The Log from the Sea of Cortez]

Etwas ungewöhnlich ist es ja schon, wenn sich ein gestandener Autor von Belletristik für die Fauna des Litorals der Baja Calofornia interessiert und für deren Erforschung sogar eine kleine wissenschaftliche Expedition organisiert. Der 1902 geborene John Steinbeck war 1940, zum Zeitpunkt der Reise von Monterey nach Puerto Refugio und zurück, immerhin schon beinahe 40 Jahre alt und kein unbekannter Autor mehr. Sein Interesse an der Fauna des Litorals war genuin. Anders als für den fast gleichaltrigen Hemingway, für den Tiere vor allem als Objekte seiner Jagdbegierde existierten, und da war es umso besser, je grösser und exotischer sie waren – anders als Hemingway also, interessierten Steinbeck auch und vor allem die unscheinbareren Bewohner der kalifornischen Küstengewässer. Nicht nur Fische, sondern auch Muscheln, Würmer, Seesterne oder Seegurken werden auf dieser Expedition gesammelt und wissenschaftlich klassifiziert. Man untersucht die geografische Verteilung der Arten; und ganz nebenbei will Ed Ricketts, der eigentliche Wissenschafter der Expedition, seine Sammlung an wissenschaftlichen Präparaten aufstocken, denn vom Verkauf von Präparaten an Schulen und andere Lehrinstitutionen lebt er.

Das klingt alles nach einem wenig faszinierenden Buch. Doch so ist es nicht. Steinbecks Bericht beschränkt sich ja nicht auf die Beschreibung all der Lebewesen, die die Crew der Western Flyer (so hiess der Fischkutter, mit dem sie die Expedition unternahmen) antraf oder einfing. Er schildert ebenso den Alltag der Crew, die oft über Tage hinweg keine andere menschliche Gesellschaft traf, und deshalb auch mit sich selber und den grösseren oder kleineren Macken jedes einzelnen umgehen musste. Er schildert auch das Leben der Indios, jener Bevölkerungsklasse, die schon immer verloren hat, wenn sie auf Weisse trafen.

Heute ist die Baja California nicht mehr jene menschenverlassene Gegend, die Steinbeck noch antraf. Weshalb sollte man das Buch heute noch lesen? Nun, einerseits ist es, wie oben angedeutet, ein Zeugnis einer grossen Männerfreundschaft. Eigentlich müsste vor allem jener Freund als Co-Autor genannt werden, mit dem Steinbeck über Jahre hinweg die Pläne für diese Expedition gewälzt hat: Ed Ricketts. Zwar wird auch noch aus dem Tagebuch des Skippers, Tony Berry, zitiert, aber Ricketts war ein alter Freund und Vertrauter Steinbecks. Der Autor hat ihm in der Figur des Doc in der Strasse der Ölsardinen ein literarisches Denkmal gesetzt. Ricketts müsste im Grunde genommen als Co-Autor genannt werden, habe ich gesagt: Viele Teile des Berichts stammen nämlich von ihm und sind, anders als der deutlich als Zitat gekennzeichnete Auszug aus Berrys Tagebuch, nirgends speziell markiert. Zu nennen ist vor allem der philosophische Part des Logbuchs, wo sich der Text gegen das teleologische Denken wendet. Ich würde eher von ‚monokausalem‘ Denken sprechen, denn was Rickett meint, ist, dass wir bei allen Erscheinungen nicht nur nach einem Grund, nach einer Ursache suchen sollen. Es mag sein, dass ein Zuviel oder Zuwenig eines bestimmten Hormons beim Menschen zu Riesenwuchs führt, aber ist dieses Zuviel oder Zuwenig die einzige Ursache? Heute würden wir wohl davon sprechen, dass Ricketts eine ganzheitliche Betrachtung der Dinge verlangte. Und wenn die Schleppfischerei vor Mexikos Küsten – Steinbeck und Ricketts durften an Bord eines japanischen Schleppfischers, der im Auftrag der mexikanischen Regierung auf Garnelenjagd war, dafür Schleppnetze brauchte, und so alles auflas, was da kreuchte und fleuchte, aber, was nicht Garnele war, wieder über Bord warf, leider meist schon verendend oder verendet – wenn also die Schleppfischerei kritisiert wird, dann aus dem Grund, dass das völlige Leeren des Bodengrunds das ökologische Gleichgewicht nachhaltig stört, weil in vielen Fällen die leer gefischten Gründe nicht mehr von denselben Arten repopularisiert werden können, sondern Eindringlinge von aussen deren Lebensnischen besetzen. (Andererseits allerdings scheint es Steinbeck nichts auszumachen, dass sich im Ausgangshafen der Expedition nicht nur zu Hauf Orangenschalen auf der Wasseroberfläche tummeln, sondern nach dem ausgiebigen Abschiedstrinken auch jede Menge Bierbüchsen.)

Ein eher ungewöhnlicher Text also, aber nicht uninteressant.


John Steinbeck: Logbuch des Lebens. Aus dem Amerikanischen neu übersetzt und mit einem Vorwort von Henning Ahrens. Hamburg: mareverlag, 2017.

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