Erwin Schrödinger: Was ist Leben?

Der Physiker Schrödinger auf Abwegen: In diesem Buch (auf Englisch erstmals 1944 erschienen) widmet er sich der Frage nach den grundlegenden Strukturen des Lebens. Und das Buch wurde nicht nur zu einem Erfolg, sondern hatte auch auf den späteren Nobelpreisträger James Watson einen entscheidenden Einfluss in Bezug auf dessen Entdeckung der Doppelhelix.

Aber Schrödingers Blick ist der eines Physikers – und genau das macht dieses Buch so lesenswert und auch für Biologen so wertvoll. Kein Geschwafel über die Seele, über die Besonderheiten des Geistes, sondern die reduktionistische Frage, welche Bestandteile für die Vererbung von Bedeutung sind. Das es sich hierbei um Materielles handelt, um der Chemie bekannte Substanzen, steht für ihn außer Diskussion: Auch die Biologie kann die grundlegenden Gesetze der Physik oder Chemie nicht ignorieren – im Gegenteil: Nur auf dieser Basis ist eine umfassende Erklärung möglich.

Trotz einiger (selbstverständlicher) Irrtümer besticht Schrödinger durch enorme Weitsicht (sodass die Anregungen für Watson und Crick mehr als verständlich werden): Er weist darauf hin, dass es nur einiger grundlegender chemischer Verbindungen bedarf (man vermutete damals, dass es sich um Proteine handeln würde, die Desoxyribonukleinsäure war noch nicht der erste Anwärter für die Codierung der Erbvorgänge), um durch deren mögliche Kombinationen auch so hochkomplexe Strukturen hervorzubringen, wie wir sie bei allen Lebewesen finden. Dabei werden Vererbungsmechanismen oder Mutationen grosso modo richtig vorhergesehen und als Physiker verweist er auch auf die Wichtigkeit von Quantentheorie und Entropie für das Modell des Lebens (das mit der „klassischen“ Physik nicht immer zu erklären wäre). Selbst als er sich gegen Ende des Buches an philosophischen Fragestellungen versucht, sind seine Thesen denen professioneller Philosophen durchauch gleichwertig (und er scheitert wie diese an Problemen der Willensfreiheit, während er für das „Ich“ eine sehr stark an Mach erinnernde Konzeption wählt).

Diese überaus kluge Herangehensweise hat damals die Kritik herausgefordert (man hat Schrödinger kruden Materialismus vorgeworfen). Aber genau dieser materialistische Ansatz hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen (im Gegensatz zu allen metaphyischen Konzepten, die einen elan vital (Bergson) oder eine Form der Entelechie (Driesch) postulierten). Insofern muss man auch ältere materialistische Konzepte (die heute „primitiv“ anmuten) eigentlich rehabilitieren: La Mettries Maschinenmensch ist eine solche stark vereinfachte Konstruktion – aber für die damalige Zeit sehr viel klüger und der Realität näher als die Entwürfe, die einen Demiurgen bemühen und – wie teilweise auch heute noch – für den Geist des Menschen den Supernaturalismus bemühen. Ein ausnehmend lesenswertes Buch, das durch seine weise Voraussicht besticht.


Erwin Schrödinger: Was ist Leben? München, Zürich: Piper 2008.

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