Dass nun auch Vögel nicht mehr nun als simple Flugmaschinen betrachtet werden, dass sie – für viele überraschend – zu ausnehmend intelligentem Verhalten fähig sind, gehört zu dieser Entwicklung. Keine Rede mehr von „Spatzenhirn“: Einige Gruppen – so die Raben- und Papageienvögel – haben sich in Tierversuchen als ausnehmend klug erwiesen, sie besitzen eine Art Zahlbegriff (der bis fünf und darüber hinaus geht) und – nach manchen Untersuchungen – sogar so etwas wie eine „Theorie des Geistes“ (von Ackerman (bzw. der Übersetzerin) als „naive Theorie“ bezeichnet: Ein Begriff, den ich bisher ausschließlich den Konzepten von Piaget und den von ihm entworfenen kindlichen Vorstellungen zugeordnet habe), also einen Begriff davon, was ein anderes Lebewesen denken, empfinden könnte (solche „Beweise“ sind allerdings mit Vorsicht zu genießen und werden – nicht unberechtigt – häufig auch in Frage gestellt).
Ackerman, eine Ornithologin und Wissenschaftsjournalistin, beschreibt in diesem Buch für ein breites Publikum die neuesten Erkenntnisse, die sich aus der Verhaltensforschung mit Vögeln in den letzten Jahren ergeben haben. Dabei werden Bereiche thematisiert, die man bislang kaum mit den fliegenden Zeitgenossen assoziiert hat: Komplexes Sozialverhalten, der Gebrauch von Werkzeugen, die sprachlichen (gesanglichen) Ausdrucksmöglichkeiten und natürlich auch – mit Bezug auf den Webervogel – ihren Hang zur Ästhetik (das erwähnte Tier ist berühmt für den Bau farbenfroher, höchst komplizierter Lauben, mit dem das Männchen seinem potentiellem Geschlechtspartner zu imponieren sucht). Bei all diesen Leistungen (und als intelligent wird betrachtet, was dem Tun der Menschen nahe kommt) ist es höchst interessant, dass das Gehirn von Vögeln dem der Primaten nur teilweise ähnelt: Die letzten gemeinsamen Vorfahren dürften vor etwa 300 Millionen Jahren existiert haben. Offensichtlich gibt es grundsätzlich verschiedene neuronale Realisierungen von „Intelligenz“, die bislang einzig mit der spezifischen Gehirnstruktur von Säugetieren verbunden wurde.
Das Buch ist keineswegs – wie manch andere Sachbücher in diesem Genre – rein anekdotisch aufgebaut, sondern achtet auf die Belegbarkeit des Dargestellten (dass man allerdings die Endnoten von sich aus nachschlagen muss, weil man im Text auf Hinweise verzichtet hat, ist – von der hier öfter schon erwähnten Problematik von Endnoten abgesehen – ein zusätzliche Erschwernis, so dass man mit zwei Lesezeichen arbeiten muss und ständig am Blättern ist); außerdem wirkt sie keineswegs wie eine jener Wissenschaftsjournalistinnen, die ohne viel Fachwissen und aus rein ökonomischen Gründen Bücher veröffentlichen. Inwieweit sie eine Ausbildung als Biologin absolviert hat, entzieht sich meiner Kenntnis, in jedem Fall hinterlässt ihr Schreiben beim Leser das Gefühl, dass sie mit dem Fachbereich vertraut ist und Zweifel an ihrer Kompetenz unberechtigt sind. – Das Buch wurde für zahlreiche Preise nominiert (und hat auch einige gewonnen), allerdings ist der (us-amerikanische?) Stil des unterhaltsam-humoristischen Sachbuches mein Geschmack nicht: Ich hätte auf den „Witz“ in der Schreibweise auch verzichten können. Wobei ich mir dessen bewusst bin, dass mein Empfinden diesbzüglich nicht repräsentativ ist. Insgesamt aber ein unterhaltendes, sehr angenehm zu lesendes Buch, das ich nur empfehlen kann.
Jennifer Ackerman: Die Genies der Lüfte. Die erstaunlichen Talente der Vögel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2017.