Äusserst unmoralisch ist die Geschichte, die uns Lorenzo da Ponte hier erzählt, und die Wolfgang Amadeus Mozart in Musik gesetzt hat. Aber nicht dies hat dafür gesorgt, dass die diesjährige Aufführung der Oper Così fan tutte zu einem Politikum wurde: Weder protestierten religös-konservativ Gesinnte darüber, dass hier dem Libertinismus Vorschub geleistet würde, noch standen feministische Demonstranten vor den Eingangstüren der Zürcher Oper, die sich über das Frauenbild erregten, das dieses Werk transportiert. Das Politikum war vielmehr die Person des Regisseurs Kirill Serebrennikov, der die Inszenierung in absentia leitete. Er sitzt, unter dem Vorwand staatliche Gelder veruntreut zu haben, in Moskau unter Hausarrest, den die rechts-nationalistischen Kreise um Putin über ihn verhängt haben – wie es sich für solche Kreise gehört, traditionsbewusst und in bester sowjetischer Manier, um einen aufmüpfigen, „modernen“ Künstler klein zu machen. Moderner Technologien wie Video-Konferenzen u.ä. sei Dank, hinderte ihn das nicht, in Zürich eine Aufführung zu leiten. In einem Interview meinte die Dramaturgin Beate Breidenbach, dass es sie und das Ensemble zwar freue, dass zwar auf diese ungewöhnliche Konstellation und auf das Schicksal Kirill Serebrennikovs hingewiesen werde, dass aber dennoch bis anhin die künstlerischen Leistungen aller in der Presse gewürdigt worden sei. Ich hatte den Eindruck, im Publikum noch selten so viel Russisch (und Englisch!) gehört zu haben, wie gestern Abend, aber das war vielleicht Zufall und ich will daraus keine Schlüsse ziehen. Jedenfalls war im Saal praktisch kein Platz mehr frei. Aber das ist bei Mozart immer so.
Nun denn: die Aufführung. Wie beim Zürcher Opernhaus üblich, verlegt auch diese Aufführung von Così fan tutte die Ereignisse durch Wahl der Kostüme und des Bühnenbilds in die Gegenwart. Das Bühnenbild ist bis fast ans Ende horizontal zweigeteilt, und auch wenn die Haupthandlung immer nur oben oder unten stattfindet, so gibt es doch auf der andern Ebene auch etwas zu sehen, was es manchmal schwierig macht, zu entscheiden, wo man denn nun zuschauen sollte. (Ich habe, wie zu erwarten, auch in der Pause Stimmen gehört, die sich über diese ungewöhnliche Zweiteilung beklagten.) Ich fand für einmal weder Bühnenbild noch Kostüme störend, im Gegenteil. Aber Serebrennikov erreichte dadurch, dass er die Oper – vor allem im Teil vor der Pause – zügig durchzog, auch, dass das Auge des Zuschauers gebannt an der Bühne haften blieb. Selbst für kleine Slapstick-Einlagen war man sich nicht zu schade. Im zweiten Teil verlor die Aufführung etwas von diesem Tempo, so, wie sie auch etwas von der Heiterkeit des ersten Teils verlor. Man spürte, wie nun der Regisseur versuchte, den tragischen Unterton ans Tageslicht zu fördern, der in der Geschichte der vier sich in der Liebe verirrenden Menschlein steckt. Etwas weniger Bemühung in dieser Richtung hätte dem Stück gut getan.
Zu den Sängern und Sängerinnen und zum Orchester brauche ich nichts zu sagen. Sie spielten und sangen alle mit gewohnt hoher Qualität. Und Mozarts Musik braucht sowieso kein Extra-Lob. Jedenfalls ging ich ungewohnt beschwingt nach Hause.
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Umsetzung Inszenierung, Choreographie: Evgeny Kulagin
Mitarbeit Bühne: Nikolay Simonov
Mitarbeit Kostüm: Tatiana Dolmatovskaya
Lichtgestaltung: Franck Evin
Video-Design: Ilya Shagalov
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Dramaturgie: Beate Breidenbach
Fiordiligi: Ruzan Mantashyan
Dorabella: Anna Goryachova
Guglielmo: Andrei Bondarenko
Ferrando: Frédéric Antoun
Despina: Rebeca Olvera
Don Alfonso: Michael Nagy
Sempronio: David Schwindling
Tizio: Mentor Bajrami
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Chorzuzüger
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Continuo Hammerklavier: Andrea del Bianco
Continuo Solo-Cello: Christine Theus