Jonathan Balcombe: Tierisch vergnügt

Balcombes Anliegen ist offenkundig: Sofern Tiere alle Gefühle des Menschen mutatis mutandis zu empfinden imstande sind, dann muss sich auch unsere Haltung gegenüber den Tieren ändern, muss ihnen Individualität, Personalität zugestanden werden – und mit diesen Konzessionen ändern sich auch die Rechte der in Frage stehenden Tiere. Wenn auch bei Balcombes Buch aufgrund fehlender Fußnoten bzw. vieler Einzelbeobachtungen ein Mangel an Wissenschaftlichkeit konzediert werden muss, so sind m. E. die Indizien mehr als überzeugend: Es werden sich kaum menschliche Eigenschaften finden, für die es im Tierreich nicht eine Entsprechung gäbe.

Balcombe geht es vor allem um die Freude, das reine Vergnügen am Leben, das er bei fast allen Tieren zu entdecken glaubt. Die englische Originalausgabe ist 2006 erschienen – und tatsächlich haben diesbezüglich in den vergangenen 13 Jahren tiefgreifende Änderungen eingesetzt: Die letzten Reste eines kruden Behaviorismus sind im Verschwinden begriffen und Fragen (wie von Balcombe hier gestellt), ob denn Tiere beim Sex, der Nahrungsaufnahme oder im Spiel Freude empfinden, werden nicht nur nicht mehr geächtet, sondern aufgrund überragender Evidenz schlicht und einfach bejaht. Im Gegenteil – es mutet eher seltsam an, dass jemals die Empfindung solcher Gefühle bei Tieren in Abrede gestellt worden ist: Für jedermann, der mit Tieren privat oder beruflich zu tun hat, ist es unmittelbar einsichtig, dass diese Launen unterworfen sind, individuelle Eigenarten haben, auf Verluste reagieren oder Freude ob der Anwesenheit anderer Tiere, Menschen empfinden. Dies festzustellen wird Balcombe hier nicht müde – und ich würde ihm auch in jenen Bereichen zustimmen, die er mit ein wenig Zurückhaltung vor seinem Leserpublikum ausbreitet: Bei Fragen der Moral, Gerechtigkeit, Liebe oder Eifersucht.

Leider lesen sich viele Passagen in diesem Buch missverständlich: Denn immer wieder hat man den Eindruck, dass der Autor die beschriebenen Gefühle als eine Art Ziel der Evolution auffassen würde: „Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass Raben eine Partnerschaft nicht deswegen eingehen, weil sie die Weitergabe ihrer Gene optimieren wollen. Vielmehr werden sie durch die angenehme Emotion einer engen Partnerbindung motiviert – Belohnung durch Liebe.“ Hier wird die Vorstellung geweckt, als ob die positive Emotion der Liebe das Ziel dieser Entwicklung gewesen wäre. Das aber ist ein offenkundiges Missverstehen der blinden Evolution: Vielmehr waren diese positiv konnotierten Gefühle eine Art von Selektionsvorteil bei der Aufzucht des Nachwuchses. Die Liebe und die damit verbundenen Gefühle (wie auch bei der Fortpflanzung) unterstützen einzig das „egoistische Gen“, wäre ein Selektionsvorteil durch Hass zu erzielen, so hätte die Evolution jene Individuen bevorzugt, die aufgrund ihrer Körperchemie ein solches Gefühl ausgebildet hätten. Und wir Menschen bilden hier keineswegs eine Ausnahme: Es ist kein Zufall, dass gerade Sex mit den stärksten Gefühlen verbunden ist und dass wir zur Befriedigung dieses Bedürfnisses (und damit der Zeugung von Nachwuchs) fast alle anderen Dinge hintan stellen. Und auch die auf Zuneigung basierende Paarbindung hat ihre wahre Ursache in diesem Drang nach Fortpflanzungserfolg: Je nachdem, ob es für diesen Erfolg eines männlichen Partners bedarf, der sich (auch) um die Kinder kümmert (es gibt nur wenige Arten, in denen die Hauptlast der Aufzucht dem männlichen Teil zufällt – etwa das Blatthuhn), bilden sich entsprechende Partnerschaften aus (deren Haltbarkeit durch Gefühle der Liebe, Zuneigung gestärkt wird). Die Belohnung durch das Gefühl der Liebe, die die oben erwähnten Raben (wahrscheinlich) empfinden, ist nur ein zusätzlicher Anreiz, der sich ob der Wichtigkeit der Fortpflanzung für die Lebewesen herausgebildet hat. Tatsächlich im Mittelpunkt steht aber aus evolutionärer Sicht einzig die Vermehrung, die „Optimierung“ der Gene; Gefühle (jedweder Art) sind nur Mittel zum Zweck.

Das Buch liest sich sehr leicht – manchmal zu leicht. Es gibt zwar ein umfangreiches Literaturregister, aber keine Fußnoten; häufig wird – ein wenig problematisch – von Einzelbeobachtungen ausgegangen. (Wobei ich durchaus der Meinung des Autors bin, dass man solche Einzelbeobachtungen aus der Wissenschaft keineswegs ausschließen sollte: Allerdings muss man beim Ziehen von Rückschlüssen große Vorsicht walten lassen.) Auch sein Plädoyer für die Rechte von Tieren im abschließenden Kapitel kann ich voll und ganz unterstützen: Tatsächlich tragen solche Bücher (bzw. die Ethologie als ganzes) zu einem verfeinerten Verständnis der Tierwelt bei. Wird das Tier als Individuum betrachtet (jeder Haustierbesitzer kennt das), sind Rücksichtnahme und Anerkennung des Tierwohls eine Selbstverständlichkeit. Und dann ist es nur noch ein kleiner Sprung zum Gedanken, dass es sich bei den unzähligen, in Tierfarmen dahinvegetierenden Lebewesen auch um eigenständige Individuen handelt – mit Rechten, Ansprüchen, Empfindungen. Über deren Schicksal wir nicht befinden sollten als handle es sich um seelenlose, für uns produzierte Fleischklöße.


Jonathan Balcombe: Tierisch vergnügt. Ein Verhaltensforscher entdeckt den Spaß im Tierreich. Stuttgart: Kosmos 2007.

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