Kann man, darf man im 21. Jahrhundert Rossinis Oper Il turco in Italia überhaupt noch aufführen? Seit ihrer Uraufführung an der Mailänder Scala sind über 200 Jahre vergangen, und wir sind heute bedeutend sensibler, wenn es um Themen geht wie: „Es kommt ein Fremder in unser Land und verführt uns unsere Frauen.“ Was heute als Schreckens-Szenario von xenophob-rassistischen Parteien an die Wände unserer demokratischen Verfassungen gepinselt wird, war für Rossini 1814 noch Stoff für ein musikalisches dramma buffo, eine komische Oper. Natürlich war der xenophobe Hintergrund schon bei Rossini gegeben; aber Rossini macht sich gleichzeitig über eine gerade grassierende Turkomanie, eine Türken-Mode, seiner Zeit lustig.
Der exotische Touch eines nach Neapel kommenden Sultans kam der Restaurations-Zeit gerade recht, sollte man meinen. Dennoch war Il turco in Italia alles andere als ein Erfolg für Rossini und verschwand sehr rasch von den Repertoires der Opernbühnen. Vielleicht, weil dem Publikum das zögerliche Schweben zwischen Barock und Romantik des Komponisten nicht gefiel? Erst in den 1950ern, der Wirtschaftswunder-Zeit, als ‚Kultur‘ Allgemeingut wurde und man sich auf die Suche nach seltener aufgeführten Werken ‚der großen Meister‘ machte, wurde der Türke wieder ausgegraben und wird seither regelmäßig aufgeführt.
Angesichts seines Themas gibt es meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten, wie so eine Aufführung im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Da wäre einerseits eine konzertante Aufführung, ein Verzicht also auf jedwede Darstellung der Handlung. Dafür sind aber, um offen zu sein, vor allem die Solo-Arien nicht gut genug. Die andere Möglichkeit wäre wohl, dass die Oper im Stil der Entstehungszeit aufgeführt würde, wo sich dann der xenophobe Hintergrund selber lächerlich machen würde. Nun, das Zürcher Opernhaus hat eine weitere Variante vorgezogen: Man hat die Handlung ins 21. Jahrhundert verlegt, in ein Mietshaus, in dem sich lauter untereinander identische und identisch möblierte Einzimmerwohnungen befinden. Der Türke bleibt ein Türke, ist aber kein Sultan mehr, sondern trägt Lederjacke und Adidas-Trainerhose, wie es unter den jungen Männern, die aus dem Balkan stammen, üblich ist, und was in deren Tradition als Zeichen der Männlichkeit gilt. Die ebenfalls vorkommenden Zigeuner („Wenn schon exotisch, dann gerade richtig!“, wird sich Rossinis Librettist gedacht haben) – die Zigeuner also haben zu einer türkischen Großfamilie mutiert. Das löst zwar die Frage, wie zum Kuckuck ein türkischer Sultan an eine Zigeunerin als Geliebte gekommen ist, bedient aber dadurch, dass diese junge Frau mit Kopftuch auftritt, noch schlimmere Klischées als die Adidas-Trainerhose des ehemaligen Sultans.
Die Aufführung als solche war durchaus gelungen. Allen voran Nahuel Di Pierro als Selim, der türkische Fürst, überzeugte mit seinem virtuosen ‚Koloratur-Bass‘. Das Publikum war im Schnitt schon etwas älter. Es war gekommen, eine Komödie zu sehen, und lachte an allen von Rossinis Librettisten Felice Romani vorgesehenen Stellen. Das dies genau die Stellen sind, an denen heute nicht mehr gelacht werden dürfte, weil sie praktisch allesamt xenophobe und / oder misogyne Untertöne aufweisen, hat es offenbar nicht gestört.
Alles in allem also eine Aufführung, an der es – aus technischer Sicht – nichts zu mäkeln gäbe. Dennoch sollte man meiner Meinung nach Il turco in Italia auf dem Müllhaufen der Musikgeschichte liegen und in aller Ruhe verrotten lassen.
Il turco in Italia. Dramma buffo in zwei Akten von Gioachino Rossini (1792-1868). Libretto von Felice Romani
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Jan Philipp Gloger
Bühnenbild: Ben Baur
Kostüme: Karin Jud
Lichtgestaltung: Martin Gebhardt
Video-Design: Sami Bill
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Dramaturgie: Claus Spahn
Selim, ein türkischer Fürst: Nahuel Di Pierro
Donna Fiorilla, Gemahlin von Don Geronio: Julie Fuchs
Don Geronio: Renato Girolami
Don Narciso, Fiorillas Liebhaber: Edgardo Rocha
Prosdocimo, ein Dichter: Pietro Spagnoli
Zaida, eine Zigeunerin: Rebeca Olvera
Albazar, Zaidas Gefährte: Nathan Haller
Philharmonia Zürich
Zusatzchor des Opernhauses Zürich
Chorzuzüger
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Hammerklavier: Anna Hauner