Frank Rudolph: Cyrano de Bergerac. Poet – Fechter – Freigeist – Philosoph

Bis heute gibt es auf Deutsch keine brauchbare Biografie über Cyrano de Bergerac. Der Name selber ist hierzulande kaum bekannt. Fontane, Keller, Kapitän Nemo – ihrer aller Geburtstag wird zelebriert. Natürlich will ich zumindest Fontane und Keller die Ehren nicht vorenthalten, die ihnen zu Teil werden. Aber dass 2019 Cyranos 400. Geburtstag gefeiert werden kann, hat man im deutschen Sprachraum offenbar nicht so richtig mitbekommen…

Und nun also diese erste deutschsprachige biografische Abhandlung (so der Text auf dem hinteren Buchdeckel), die darüber Auskunft gibt, wer die historische Figur des Cyrano de Bergerac [war]. Ein vollmundiges Versprechen angesichts der Tatsache, dass das Büchlein im Taschenbuchformat gerade mal 126 Seiten umfasst. Um es vorweg zu nehmen: Frank Rudolph und der Palisander-Verlag, in dem das Büchlein 2019 erschienen ist, können ihr Versprechen nicht halten.

Das liegt zum Teil am geringen Umfang (der Text wurde mit vielen Illustrationen, die zum Teil ganzseitig sind, noch gestreckt). Das liegt aber vor allem daran, dass dem Autor offenbar selber nicht klar war, was er denn nun schreiben wollte. Von den im Untertitel versprochenen Funktionen des Poeten, des Freigeists oder des Philosophen erfahren wir so gut wie gar nichts. Ich bin nicht sicher, ob Rudolph Cyranos Reisen zum Mond und zur Sonne wirklich gelesen hat – über deren Inhalt (der auch etwas über den Philosophen und den Freigeist hätte verraten können) erfährt der Leser so gut wie nichts. Außer, dass Cyrano zu den frühesten bekannten Autoren von Science Fiction zu zählen wäre. Das wiederum kann man ja schon aus dem Titel der Romane erraten.

Über den Freigeist erfahren wir, dass Cyrano als libertin bezeichnet wurde, was im 17. Jahrhundert noch nicht (ausschließlich) sexuelle Promiskuität und Verantwortungslosigkeit bedeutete, sondern in etwa dem entsprach, was später in England free thinker genannt wurde: Personen, die sich durch die (bei Cyrano: katholische) Kirchen-Doktrin nicht einschränken ließen, wenn es um den Umgang mit Gott ging. Cyrano deshalb zum Agnostiker oder gar Atheisten zu machen, wie es Rudolph tut, ist eine interessante Position. Sie müsste aber am Text bewiesen werden. Arbeit am Text ist Rudolphs Sache nun leider nicht.

Ähnlich beim Philosophen, wo wir en passant erfahren, dass Cyrano mit Gassendi und eventuell Molière befreundet war, aber primär von René Descartes beeinflusst worden sein soll. (Auch hier: Textliche Nachweise fehlen.) Und das, nachdem Rudolph seinen Cyrano zuerst im Barock verortet hatte! Später in dieser biografischen Abhandlung werden als weitere Einflüsse genannt: Giordano Bruno, Tommaso Campanella, Cardanus, Sokrates, Platon, Epikur, Aristophanes und Lukrez. Wer mir hier reines Name-Dropping vorwirft: Genau so ist es in Rudolphs Text zu finden. Keinerlei Erklärungen, warum nun gerade diese Autoren so wichtig für Cyrano de Bergerac gewesen sein sollen. Für jemand, der – gemäß Vorsatzblatt – (auch) über Philosophie veröffentlicht haben will, im Grunde genommen ein Armutszeugnis.

Einzig der Fechter, der Raufbold Cyrano de Bergerac, wird in extenso vorgestellt. In dieser Beziehung lebte Cyrano tatsächlich ein barockes Leben. Bei derselben Truppe und in etwa zur selben Zeit tätig wie das Vorbild zu Alexandre Dumas‘ Musketier d’Artagnan, hat er zum Teil Ähnliches vollbracht, wie es Dumas eben seinem Raufbold zuschreibt. (Man geht heute davon aus, dass Cyrano viele seiner Schlägereien anzettelte aus enttäuschter oder verratener Liebe. Homosexueller Liebe.) Cyrano lebte in einer Zeit, als der Buchdruck seine erste Blütezeit erlebte. Er selber besaß eine Bibliothek von etwas über 120 Büchern, was für damalige Verhältnisse eine große Zahl ist. So weit kommt Rudolph auch. Was das für Bücher waren, interessiert ihn aber weniger, als die Frage, ob denn nun der Schläger Cyrano tatsächlich in einer Nacht mit 100 Gegnern gleichzeitig gefochten hätte. (Und selbst dazu sind seine Ausführungen so verworren, dass der Leser zum Schluss nicht weiß: Hat er nun oder hat er nicht?)

Mein hauptsächlicher Kritikpunkt ist aber folgender: Zeitgenössische Dokumente über Cyrano de Bergerac sind rar. Selbst sein Geburtsjahr ist nicht zu 100% gesichert. Unser heutiges Bild von ihm – sofern wir ihn im deutschsprachigen Raum überhaupt kennen – ist geprägt von Filmen (so genannten ‚Bio-Pics‘), wo zum Beispiel ein Gérard Depardieu seine eigene große Nase für die von Cyrano hinhält. Alle diese Filme gehen ihrerseits praktisch immer auf ein Theaterstück von Edmond Rostand zurück. Meine Kritik nun: Mangels genuiner Dokumente greift Frank Rudolph auf solche fiktiven zurück. Wir erfahren also sehr, sehr wenig über den “echten“ Cyrano de Bergerac, mehr über das Bild, das sich vor allem die Franzosen von ihm machen. Das wäre sogar legitim, wenn nicht eine biografische Abhandlung versprochen worden wäre.

Aber dafür ist das Büchlein doch reichlich illustriert? Stimmt. Auch mit Reproduktionen alter Stiche von literarischen Nebenfiguren der Zeit? Stimmt. Allerdings ist der Abbildungsnachweis auf dem Vorsatzblatt allzu verräterisch: Alle Abbildungen sind gemeinfrei. Stimmt. Sie sind nämlich als solche gemeinfreien praktisch alle im Artikel über Cyrano de Bergerac der französischsprachigen Wikipedia zu finden. Offenbar rechneten Autor und Verlag nicht damit, dass jemand, der eine deutschsprachige Biografie Cyranos liest, einen französisch geschriebenen Artikel lesen oder auch nur anschauen würde.

À propos „anschauen“: Die Homepage des Verlags erklärt so einiges. Der in Chemnitz beheimatete Palisander-Verlag publiziert im Normalfall – neben einer Indianer-Roman-Hexalogie mit dem Titel Die Söhne der großen Bärin – zu diversen Kampfkünsten. (So lacht mich aktuell auf der Startseite ein Buch an mit dem Titel Judo mit Vladimir Putin.) In der Rubrik Autoren finden wir auch Frank Rudolph. Gemäß der dortigen (Selbst-?)Auskunft ist er u.a. Mitbegründer eines Albrecht-Rudolph-Institute of Martial Arts Research (ARIOMAR). Das erklärt wohl den Schwerpunkt der vorliegenden biografischen Abhandlung.

Fazit: Vielleicht etwas für einen an der Geschichte der Fechtkunst Interessierten. Für jemand, der den Autor oder den Denker Cyrano kennen lernen oder der Fakten aus dem schon fast zum Mythos gewordenen Leben Cyranos erfahren möchte, unbrauchbar. Zumal sie, zu allen andern Schwächen, recht wirr geschrieben ist und der Leser kaum einen roten Faden darin findet.

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