Johann Heinrich Merck: Gesammelte Schriften. Band 7: 1783-1791

In seinen letzten Lebensjahren, die der vorliegende Band der Gesammelten Schriften abdeckt, hat Johann Heinrich Merck kaum noch geschrieben, geschweige denn publiziert. Daraus zu schließen, dass Band 7 deswegen nun dünner sein würde, als seine Vorgänger, ist aber falsch. Er entpuppt sich im Gegenteil als mit knapp 800 Seiten sehr dick. Von diesen 800 Seiten sind die ersten 250 Text; der Rest ist Kommentar.

Auch thematisch ist Mercks Schreiben schmaler als früher. Nachdem 1783 ein Versuch scheiterte, in der Landespolitik von Hessen-Darmstadt eine größere Rolle zu spielen (mit einem als Anti-Necker betitelten Pamphlet), ließ er politische Schriftstellerei praktisch sein. Das Pamphlet hatte zwar insofern keine negativen Konsequenzen, als Merck weiterhin beim Staat angestellt blieb, das aber nach wie vor im subalternen Rang eines Kriegsraths. Sein mickriges Gehalt wurde zwar nicht gekürzt, aber auch nicht erhöht. Die einzige weitere politische Schrift Mercks, die erhalten ist, kam 1791 aus Paris an den Herausgeber dieses Journals. Gemeint ist Wieland als Herausgeber des Teutschen Merkurs, der einzigen Zeitschrift, in der Merck damals noch publizierte. Von Hessen-Darmstadt nach Paris geschickt, um die nachrevolutionären Verhältnisse dort zu analysieren, konnte er sich einer positiven Einschätzung der Errungenschaften der Französischen Revolution nicht enthalten. (Der radikaldemokratische Terror der Revolutionsregierung sollte ja erst im Folgejahr einsetzen.) Dass sich Merck damit bei seinen Vorgesetzten in die Nesseln setzte, bleibt ohne Zweifel, auch wenn keine direkten Dokumente dazu auffindbar sind. Seine nun unmögliche Position in Hessen-Darmstadt ließ Merck weiter vereinsamen und war wohl der letzte Auslöser für den noch im selben Jahr erfolgenden Selbstmord. (Obwohl die Herausgeberin der Gesammelten Schriften die These diskutiert, dass der Schuss ins Herz, mit dem Merck seinem Leben ein Ende setzte, ein Unfall war. Er wurde allerdings schon von Mercks Zeitgenossen nicht als solcher interpretiert.)

Ein 1788 ebenfalls im Teutschen Merkur Wielands veröffentlichter Brief aus Rom war hingegen Fiktion. Merck war nie in Rom, und der kurze Text hatte wohl nur die Funktion, den Namen zweier seiner Brieffreunde, Wilhelm Tischbein und Aloys Hirt, wieder ins Gedächtnis der deutschen Leserschaft zu rufen. Beide waren ja schon länger in Rom und liefen Gefahr, in der Heimat vergessen zu gehen.

Ansonsten kennt Merck zwischen 1783 und 1791 praktisch nur noch drei Themen, zu denen er schreibt. Da sind zum einen die vorsintflutlichen Knochen, von denen er unterdessen eine ansehnliche Sammlung selber besitzt. Er reist nach Holland, um bei Pieter Camper das Skelett einer Giraffe zu studieren und abzuzeichnen. Er vergrätzt aber auch immer wieder Camper und Soemmerring, weil er Kupferstiche nach deren oder eigenen Zeichnungen – entgegen seinen Versprechungen – nicht immer zuerst ihnen zukommen lässt. Im Gegenteil, er streut diese weit; so ist z.B. Joseph Banks, der Präsident der Royal Society in London, regelmässiger Empfänger solcher Bilder. Merck möchte sich damit in Position bringen, um Mitglied dieser grössten Gesellschaft naturwissenschaftlicher Forscher zu werden. Aber Banks reagiert kaum auf Mercks Briefe; einmal nennt er dessen Methode unwissenschaftlich. Daneben sind Mercks sog. Knochenbriefe auch indirekt schuld an seinem Zerwürfnis mit dem alten Freund Goethe. Der war damals gerade damit beschäftigt, die Existenz des Zwischenkieferknochens auch beim Menschen zu nachzuweisen – etwas, das Menschen noch mehr in ein und dieselbe Reihe mit den Tieren stellen würde und deshalb von allen seriös-professionellen Osteologen a priori verworfen wurde. Merck, in seinem Eifer, selber als seriös-professionell akzeptiert zu werden, ließ seinen Freund im Stich und schloss sich in Bezug auf den Zwischenkieferknochen Camper und Soemmerring an. Auch bei diesem Thema zeigt sich Mercks mit dem Alter offenbar nur zunehmende Begabung, sich allzeit zwischen Stuhl und Bank zu setzen.

Ein anderes, harmloseres Thema, mit dem sich Merck noch beschäftigt, ist die bildende Kunst. Da schreibt er über antike Münzen, über Gemmen, über die Echtheit von Dürer’schen Kupferstichen – das meiste davon für eine Deutsche Enzyklopädie.

Die einzigen ‘Literaturkritiken’, die der einstige Großkritiker des Teutschen Merkur noch verfasst, betreffen Reiseberichte – seine alte Liebe. Die Reise eines gewissen D. Sparmanns […] nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung wird ebenso besprochen, wie die von seinem Sohn Georg herausgegebene und übersetzte Schrift Johann Reinhold Forsters, die das Resultat seiner Weltumsegelung mit Cook ist. Merck schätzte Georg Forster sehr. Demensprechend wird die Rezension ziemlich lang; sie wird aber auch Anlass zu einem Mikro-Zerwürfnis mit Wieland, der moniert, dass Forster sen. (und Mercks Auszüge) die Eingeborenen mit einem sehr rassistischen und kolonialistischen Auge betrachten. Merck korrigiert den Fokus für den zweiten Teil der Rezension, wird aber eine Zeitlang den Teutschen Merkur nicht mehr mit Beiträgen beliefern. An eigenen Reisen kann er nur einen Artikel über seinen Aufenthalt in Amsterdam vorweisen – und das ist kein eigentlicher Reisebericht.

Als Anhang finden wir noch einige undatierte Schriften Mercks, darunter ein Fragment eines Katalog[s] der [privaten, Merck’schen] zoologischen Sammlung, dessen Faksimile auch den Schutzumschlag ziert. Ein ausführlicher (und in dieser Ausführlichkeit keineswegs zu lang geratener) und wissensreicher Kommentar der Herausgeber, sowie ein Namens- und Werkregister schließen Band 7 ab. Auch bei diesem Band bleiben dem Leser kaum mehr Fragen; auch dieser Band erschlägt ihn beinahe mit seinem Einblick in die Situation eines deutschen Intellektuellen am Ende des 18. Jahrhunderts. Chapeau.


Johann Heinrich Merck: Gesammelte Schriften. Band 7: 1873-1791. Herausgegeben von Ulrike Leuschner in Zusammenarbeit mit Eckhard Faul und Amélie Krebs. Göttingen: Wallstein, 2019

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