Marc Frey: Geschichte des Vietnamkriegs

Im deutschen Sprachraum gibt es wenig Literatur zum Vietnamkrieg, bis zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bandes (1998) scheint es keine einzige zusammenfassende Darstellung gegeben zu haben. Das ist umso überraschender, weil dieser Krieg auch auf Westeuropa einen enormen kulturellen Einfluss ausübte, die 68er-Bewegung und viele mit ihr verbundene Themen sind ohne einen Bezug zu Vietnam kaum denkbar. Was man hierzulande zu wissen glaubt, wurde von der Filmindustrie bereitgestellt: Von „Rocky“ über „Platoon“, „Full Metal Jacket“ und „Apocalypse Now“ reicht die Palette, mir persönlich blieb „Die durch die Hölle gehen“ am stärksten in Erinnerung (und ja, ich habe mal in meiner Jugend in einem Kino gearbeitet).

Frey bietet eine gediegene und informative Darstellung, im Anfangskapitel wird die koloniale Geschichte Indochinas beschrieben, die Auseinandersetzungen mit Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg und das beginnende Engagement der USA in Asien: Der Koreakrieg wurde zum Inbegriff jener Politik, die dann später mit dem Wort „Dominotheorie“ umschrieben wurde und deren Problematik erst nach dem Ende des Vietnamkriegs hinterfragt wurde. Und so wird die Verwicklung der USA in Indochina zu einer Anhäufung politischer Dummheiten und Fehleinschätzungen, sie zeugt von der Selbstgefälligkeit der damaligen Führungselite, von Überheblichkeit und Borniertheit.

Der ganze Krieg beleuchtet ein Grundproblem us-amerikanischer Außenpolitik: Egal, wie grausam, undemokratisch oder gewalttätig sich ein Regime auch immer darstellt, wichtig war (und ist – siehe Saudi-Arabien) einzig, dass man einen Verbündeten gegen einen vermeintlich noch schlimmeren Gegner gewinnt. Der Gottseibeiuns wurde damals stets mit Hammer und Sichel gedacht (heute sind es Mullahs und Taliban), weshalb man sich gegen linke (häufig demokratisch legitimierte) Regierungen der obskursten Personen bediente (im Falle Vietnams waren das Ngô Đình Diệm, ein abgehobener, eitler Guru, dem dann das eigene Militär den Garaus gemacht hat und der General Nguyễn Văn Thiệu, der seine Stellung zur persönlichen Bereicherung nutzte und vor dem Untergang Saigons in den Westen floh). Mit solchen Verbündeten (die im eigenen Volk bzw. bei der eigenen Armee kaum Rückhalt genossen) war dieser Krieg nicht zu gewinnen, wobei mir bei der Lektüre des Buches erst klar wurde, dass man eigentlich zu keinem Zeitpunkt von einem südvietnamesischen Staat sprechen konnte (die Karte im Buch von 1966, also zwei Jahre nach dem – möglicherweise provozierten – Zwischenfall im Golf von Tonkin zeigt, dass diese Regierung immer nur schmale Bereiche um die Großstädte kontrollierte).

Für die USA war dieser Krieg in mehrfacher Hinsicht überaus bedeutend: Man verlor jeglichen moralischen Anspruch, mit dem man bislang Politik betrieben hatte, erkannte, dass die politische Elite die Öffentlichkeit bewusst über ihr Handeln täuschte (von Kennedy über Johnson bis Nixon) und verlor den Nimbus der Unbesiegbarkeit. (In den USA selbst waren die Auswirkungen des Vietnamkrieges in gesellschaftlicher Hinsicht enorm, im Rahmen der Proteste wurden die Forderungen nach Gleichberechtigung von Rassen und Geschlechtern thematisiert, entstand eine Gegenkultur, die ohne das vietnamesische Desaster niemals so großen Einfluss hätte gewinnen können.) Frey glaubt (im Jahre 1998) feststellen zu können, dass die USA aus dieser Katastrophe gelernt hätte und weist diesbezüglich auf den ersten Irakkrieg hin, der nicht mit dem Sturz des Regimes geendet und keinen nachfolgenden Bürgerkrieg hinterlassen hatte. Wenige Jahre später waren diese Lehren längst vergessen, die „Befreiung“ des Irak hatte ein Machtvakuum zur Folge, dass den IS erst entstehen ließ, in Afghanistan verstrickte man sich in einen Endloskrieg, der einige Parallelen zum Vietnamkrieg aufweist. Und auch in Lybien hinterließ man einen „fallen state“, indem man einen Diktator eliminierte, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was denn darauf folgen sollte. Insofern kann man kaum behaupten, dass aus der Geschichte gelernt wurde (denn auch die Verbindungen mit „ihren“ Autokraten, den hauseigenen Tyrannen wird nach wie vor gepflogen).

Das Buch stellt eine neutrale, faktenbasierte Information über einen wahnwitzigen und völlig sinnlosen Krieg dar, in dem mehr Bomben abgeworfen wurden als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Und es stimmt nachdenklich, weil die Welt offenbar nicht sehr viel aus diesen Ereignissen gelernt hat (nicht sehr viel: Denn einiges wäre in dieser Form heute nur schwer möglich, schon weil die Öffentlichkeit auf Abertausende tote Zivilisten heute sensibler reagiert). Lesenswert.


Marc Frey: Geschichte des Vietnamkriegs. München: Beck 1998.

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