Steven Pinker: How the Mind Works [Wie das Denken im Kopf entsteht]

1997 ist dieses Buch zum ersten Mal erschienen; noch 2009 hielt es Steven Pinker, wie er in einem neuen Vorwort festhielt, für sein bis dato bestes Buch. Es ist sicherlich ein Buch, in dem Pinker eine große Bandbreite an Informationen und Themen bringt. Manchmal will mir scheinen, fast eine zu große…

Denn auch ein Steven Pinker kann nicht alles wissen, über alles gleichermaßen gut und kompetent schreiben. Das Buch überzeugt dort und ist dort informativ, wo der Autor den aktuellen (natur-)wissenschaftlichen Stand referiert. Das Buch wird dort zweifelhaft, wo er – was er vor allem gegen das Ende häufig tut – in soziologische oder gesellschaftspolitische Bereiche vorzudringen versucht.

Pinker beginnt mit der Frage: „Warum gibt es bis heute diese freundlichen, liebenswerten und hilfsbereiten Roboter noch nicht, wie sie uns die Science Fiction in den Geschichten Asimovs oder in Lieutenant Commander Data des Star-Trek-Universums darstellt? “ (Die weniger freundlichen Roboter eines Lem scheint er nicht zu kennen.) Seine Antwort, dass es bis dahin noch Jahrhunderte dauern würde, wage ich zwar anzuzweifeln; das rasante Tempo in der Entwicklung künstlicher Intelligenz konnte Pinker 1997 noch nicht vorhersehen. (Andererseits ist das mit den Prognosen für die Zukunft immer so eine Sache – wir können beide Unrecht haben, was die Zeit bis zur Realisierung betrifft; vielleicht entwickeln wir auch etwas völlig anderes, das die Funktion dessen übernimmt, wo wir heute Roboter und künstliche Intelligenz sehen; vielleicht haben wir die Erde auch schon früher in die Luft gejagt.) Das spielt aber an und für sich keine Rolle, braucht doch Pinker diesen Einstieg vor allem, um dann darauf hinzuweisen, welche komplizierten Prozesse im irgendwo im Hirn ablaufen müssen, um nur schon das menschliche Gehen zu ermöglichen. Routinen und Sub-Routinen, die ineinander greifen, ohne dass irgendein Master-Prozess (das ‚Bewusstsein‘) einzugreifen scheint. Und damit ist er bei seinem Thema.

Denn nun geht es weiter zu den mehr oder weniger ‚bewussten‘ Erkenntnis-Prozessen. Im Mittelpunkt steht bei Pinkers Darstellung dabei das Sehen – als zugleich der komplizierteste und der einleuchtendste Prozess. Pinker moniert, dass die Psychologie bis heute, wenn es um Erkenntnis geht, nicht über die Theorien von Mill, Locke, Hume oder Berkeley hinaus gekommen ist: Zusammensetzen auf Grund von Ähnlichkeit (wie wird diese festgestellt?) oder der Tatsache, dass gewisse Abläufe repetitiv zu sein scheinen (auch hier: wie erkenne ich „Wiederholung“?). Pinker stellt die These auf, dass unser Hirn durch die Evolution so konstruiert wurde, dass gewisse Erkenntnis-Prozesse automatisch ablaufen, weil deren Ablauf den so ausgerüsteten Individuen die besseren Überlebenschancen garantierte. (Nicht, weil das Individuum als solches überleben soll, sondern weil ein totes Individuum seine Gene nicht weiter geben kann. Die Evolution interessiert nicht das Überleben eines Einzelnen, nicht einmal einer Art. Was durch die Evolution gesichert oder verworfen wird, ist immer das Gen. Was zu überleben sucht, ist das Gen. Der Mensch „Pinker“ mit seinem ganzen Bewusstsein, seinem psychologischen Wissen etc., dient nur dazu, dass gewisse Gene sich kopieren und so weiterleben können.)

In diesem Zusammenhang bespricht Pinker auch die evolutionären Vorteile (und das Zustandekommen!) gewisser menschlicher Erkenntnis-Instrumente, so z.B. des stereoskopischen Sehens, oder er räumt mit dem Vorurteil auf, dass der Mensch an sich über kein vernünftiges statistisches Denken verfüge. Wenn jemand im Casino am Roulette-Tisch auf Rot setzt, weil nun schon sieben Mal hintereinander Schwarz gekommen ist, und Rot nun einfach kommen muss, dann steckt dahinter nicht ein falsches statistisches Denken. Sondern: Die Situation am Roulette-Tisch ist eine künstliche, evolutionär nicht vorgesehene. Im Casino ist jedes Ereignis, jedes Werfen der Kugel, vom vorhergegangenen Ereignis völlig unabhängig, und ob Rot oder Schwarz kommt, hat jedes Mal von Neuem dieselbe Wahrscheinlichkeit. Aber ursprünglich stand der Savannen-Läufer Homo Sapiens Sapiens nicht vor dem Roulette-Tisch, sondern am Eingang seiner Hütte und vor einem ganz anderen Problem: dem Wetter, das seinen Jagd- wie seinen Ernte-Erfolg in hohem Masse mitbestimmte. Und da ist es tatsächlich so: Mit jedem Tag, an dem es regnet, steigt auch statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, dass am folgenden Tag die Sonne scheint, weil die heutige Lage von Hoch- und Tiefdruckgebieten anders als beim Roulette nicht völlig unabhängig von der gestrigen ist, und weil sich die Druckverteilung auf Grund meteorologischer Gesetzmäßigkeiten tatsächlich ändert. Diese kannte der Savannen-Läufer natürlich nicht und im Grunde genommen interessierten sie auch die menschliche Evolution nicht. Aber mit dieser Art von statistischer Erwartung konnte der Mensch ursprünglich einmal überleben. Heute geht er damit an den Roulette-Tisch – wo sie ihm nichts hilft. Aber dafür kann die Evolution nichts.

Wie bereits gesagt: Die naturwissenschaftlichen Teile des Buchs sind die interessanten. Leider lässt sich Pinker dazu verführen, zwei Schlusskapitel hinzuzufügen, in denen es um Family Values und um nichts Geringeres als The Meaning of Life geht. In Family Values will Pinker mit statistischen Berechnungen u.a. beweisen, warum ich weder meine Mutter noch meine Schwester sexuell begehre, obwohl doch damit die Chance meiner Gene, weiter gegeben zu werden, am größten wäre, und warum andererseits ein schon beinahe mafiöser Familien-Zusammenhalt von der Evolution forciert wird. Er will auch festmachen können, dass der männliche Homo Sapiens Sapiens von Natur aus promisk ist, d.h., mit jeder Frau schlafen will, um seine Gene möglichst breit zu streuen; während das Weibchen monogam ist, da es für die Brutpflege verantwortlich ist und auch, wenn es mal ein Kind an der Backe hat, für längere Zeit aus dem Geschäft der Weitergabe von Genen raus ist. Er überzeugt hier allenfalls halb, weil er im Grunde genommen wenig Daten vorweisen kann, dafür aber viel Interpolation. Das allerletzte Kapitel wiederholt dann, was er schon zu Beginn festgehalten hat: Die Evolution konzentriert sich aufs Gen, nicht auf dessen Träger.

Trotz dieser Schwächen am Schluss würde ich das Buch aber unbedingt empfehlen. Es ist zwar nicht eigentlich für ein Laien-Publikum geschrieben, kann aber auch von Laien problemlos verstanden werden. Fachleute und interessierte Laien finden ganz am Ende eine ausführliche Literaturliste, sowie den obligaten Sach-Index.

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