Götz Aly: 1968 – ein irritierter Blick zurück

Das vorliegende Buch ist eine gelungene Abrechnung mit dem Mythos der 68er, mit ihrer bornierten und dogmatischen Dummheit (die ich selbst annodazumal in unzähligen Diskussionen erleben durfte, wobei derartige Auseinandersetzungen auf immer diesselbe Weise endeten: War das logisch-argumentative Ende der Fahnenstange erreicht, wurde man auf das fehlende „richtige“ Bewusstsein hingewiesen (das einem nicht zueigen sei), auf den Bourgeois, wobei ich kraft meiner Abstammung nichts weniger war als bürgerlich). Das alles wäre ja halb so schlimm, man neigt in der Jugend zu intellektuellen Schnellschüssen, vor allem dann, wenn derlei auf eine entsprechende, moralisch Unterfütterung zurückgreifen kann (diese Gefahr besteht auch für die „Fridays for Future-Bewegung“ und ihre pseudo-anarchischen Ableger). Tatsächlich wurde das aber nie aufgearbeitet, nie thematisiert, einzig der ehemalige grüne Außenminister musste sich Fragen über die Legitimität des Steine-Werfens gefallen lassen.

Das, was dieses Buch zu einem kleinen Skandal machte, war der Vergleich der 68er-Bewegung mit der nationasozialistischen Studentenbewegung. Aly beschreibt diese Bewegung, ihre Maximen und – wer da einmal nicht darauf achtet, in welchem Kapitel er sich befindet, kann die Parolen tatsächlich nicht unterscheiden. Auch die national Bewegten wandten sich gegen den „Muff von 1000 Jahren“, der sich unter den Talaren verbirgt, gegen eine verknöcherte Altherrengesellschaft, die hinweggefegt gehört und deren Eliminierung notfalls auch mit Gewalt erfolgen sollte. Hierbei sind in den Aussagen Unterschiede nicht auszumachen, was bei den 68ern hingegen dhinzukam, war der Widerstand gegen die Eingliederung alter Nazibonzen in das Leben der Wirtschaftswunder-BRD. Doch Aly weist hier zurecht darauf hin, dass den Linken nicht an einer historischen Aufarbeitung gelegen war (im Gegenteil, die geschichtliche Unkenntnis war – und das kann ich aus eigener Diskussionserfahrung bestätigen – stupend), wobei der inflationäre Gebrauch der Vokabel „faschistisch“ das ihre dazu tat. Denn wenn nahezu alles, was der marxistischen Doktrin nicht entspricht, als faschistoid gebrandmarkt wird, bleibt für jene, die diese Bezeichnung zurecht verdienen, nur noch ein Allerweltsattribut.

Der Autor zitiert aus den Schriften Dutschkes (die im übrigen noch immer nicht freigegeben sind), die in ihrer Radikalität und Intoleranz paradigmatisch für diese Zeit sind. Man hatte keine Berührungsängste mit totalitären Machthabern (Maos rote Bibel war ebenso populär wie sein Konterfei auf einem Sticker – und das attraktive Antlitz Ches schmückt noch heute linke Jugendzimmer), war angetan vom kubanischen Weg, zumeist aber doch froh über die monatliche Überweisung seitens des kapitalistischen Vaters oder partizipierte an den finanziellen Unterstützungen jenes Staates, dessen faschistischen Unterdrückungsapparat man zu bekämpfen entschlossen war. (In den 70ern dienten dann die Universitäten zu einem nicht unerheblichen Teil als Ort zur Versorgung der Revolutionäre: Immer wieder mal konnte man mit der entsprechenden Unterstützung eines aufgeschlossenen Professors zu Assistentenstellen gelangen, deren Besetzung offenkundig nicht von der wissenschaftlichen Qualifikation der Betreffenden abhing.) Neben diesem Liebäugeln mit der Gewalt war es auch mit dem Demokratieverständnis nicht weit her: Denn eigentlich berechtigt zum Mitreden war man nur unter der Voraussetzung des richtigen Klassenbewusstseins (und was da als „richtig“ bezeichnet wurde, dekretiert und bei Bedarf geändert), ebenso wie die nationalsozialistischen Studenten träumten man von einem „neuen Menschen“ (da der herkömmliche und bereits vorhandene offenkundig defizient war) und folgte damit den linken Vordenkern wie Herbert Marcuse, der einen solchen Menschen in seinen Büchern ebenfalls explizit forderte. Diese Forderung ist so einfältig wie billig: Utopien für nicht vorhandene Wesen haben keinerlei Aussagekraft.

Aly schont sich dabei selbst nicht, betont, wie peinlich ihm eigene Bekenntnisse wie auch die völlige Kritiklosigkeit gegenüber den Führungszirkeln der Studentenbewegung im nachhinein sind. Aber er sieht in dieser Blindheit etwas spezifisch Deutsches: Auch die deutschen 68er waren wie 35 Jahre früher ihre Kommilitonen davon überzeugt, dass die Welt am deutschen Wesen zu genesen hätte. Ich habe zwar starke Zweifel an einer spezifisch deutsch-totalitären Eigenschaft, sehe aber den Vergleich zwischen den beiden Bewegungen als berechtigt an: Zweimal glaubten Nachkriegsgenerationen sich im Besitze einer politischen Wahrheit und nahmen für deren Durchsetzung Gewalt in Kauf. Und beide Male gab es eine vehemente Demokratiekritik, wollte man sich eines Parlamentes (oder auch der Parteien) entledigen, es existierte nur ein dümmliches Freund-Feind-Schema (das dem des Kalten Krieges entsprach), wobei alle „egalitären Errungenschaften als Sozialklimbim“ abgetan wurden (von dem zu profitieren man aber doch nichts dagegen hatte: Als „Argument“ für ein derartiges inkonsequentes Verhalten ließ man verlauten, dass man dadurch den bürgerlichen Staat schädigen und die Heraufkunft des wahren Paradieses beschleunigen könne).

Ich selbst bin für einen 68er ein wenig zu jung, habe aber in den 70ern und Anfang der 80er noch diverse Auseinandersetzungen über den kommunistischen Idealstaat geführt. Dabei war ich stets in einem Zwiespalt: Einerseits war mir der Widerstand gegen jede Art von Autorität überaus sympathisch, auch die Verquickung des Widerstandes mit sozialen Anliegen aller Art, andererseits erinnerten mich die doktrinären Vertreter der Linken in ihrer Orthodoxie frappant an die Auseinandersetzungen mit der katholischen Umgebung, in der ich groß geworden war. Und ich konnte auch nicht begreifen, dass man allen Ernstes behaupten konnte, im von der Sowjetunion beherrschten Ostblock freier leben zu können als im Westen. Ich war mir nur allzu sicher, dass meine Unangepasstheit in solchen Ländern keinesfalls geduldet werden würde und war deshalb froh (und betonte dies auch), in einer demokratischen, kapitalistischen Welt zu leben, in der es zwar viel zu kritisieren gab (und gibt), in der aber eine solche Kritik auch ausgesprochen werden konnte (auch wenn das unerfreuliche Folgen haben konnte).

Die Thematisierung dieser gewaltverliebten und demokratiefeindlichen 68er-Zeit ist eines von Alys Verdiensten: Denn tatsächlich gibt es – vergleichbar den Kameradschaftsbundtreffen – altlinke Stammtische, die verträumt von den revolutionären Jugendzeiten schwärmen und nicht ansatzweise die Fragwürdigkeit dieser Bewegung und ihrer Anführer zur Sprache bringen. Während die einen von der Kameradschaft an der Ostfront faselten, treffen sich die Söhne der Zurückgekehrten (mittlerweile im Staatsdienst pensioniert), um ihre Revolutionsträume zu glorifizieren. Gerade deshalb (weil eine kritische Betrachtung dieser Zeit so selten ist) stellt das Buch eine mehr als empfehlenswerte Lektüre dar.


Götz Aly: 1968 – ein irritierter Blick zurück. Frankfurt a. M.: Fischer 2008.

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