David Foster Wallace: Unendlicher Spaß

David Foster Wallace wurde nach seinem Selbstmord 2008 zum Inbegriff des gescheiterten Intellektuellen und Künstlers, er erfuhr eine Verehrung, wie sie solchen Existenzen post mortem von ihrer Fangemeinde des öfteren zuteil wird – vor allem dann, wenn deren Probleme dergestalt sind, dass sie die Verehrenden zu kennen glauben. Wallace war depressiv, von allem abhängig, was nur entfernt als Droge bezeichnet werden kann und neigte zu Exzessen in jeder Hinsicht: Neben Betäubungsmitteln waren auch seine Beziehungen von Abhängigkeiten geprägt, sexuelle Eskapaden mischten sich mit depressiven Phasen, deren Behandlung dann Medikamentenabusus zur Folge hatte. Wenn der Betreffende dann auch noch eine Rede („This is Water: Some Thoughts, Delivered on a Significant Occasion, about Living a Compassionate Life“, dt.: „Das ist Wasser“) mit buddhistisch angehauchtem Unterton hält (die ich nicht gelesen habe), ist die Heiligsprechung fast unumgänglich.

Sein opus magnum „Unendlicher Spaß“, ein über 1500 Seiten umfassender Roman (mit rund 150 Seiten an Endnoten), passt in dieses Narrativ vom gescheiterten, unglücklichen, unverstandenen Genie. Ein „postmoderner“ Roman – soll heißen: Man ignoriert die Konventionen der Gattung Roman – und darf alles. In der Regel hält sich mein Vergnügen an solchen Experimenten in recht engen Grenzen, mir geht es da wie Friedrich Wilhelm Korff in einem Essay über Ingeborg Bachmann: „Undeutlichkeiten sind im modernen Roman erlaubt; leider hat bisher selten einer davon einen Nutzen gehabt […]“. Die Voraussetzungen für uneingeschränktes Wohlgefallen sind demnach bescheiden zu nennen – dennoch: Das ist ein wahrlich großartiges, geistreiches, witziges Epos, das – wenn auch nicht unendlichen (denn der führt im Roman ohnehin zu Tod oder fundamentaler Verblödung) – so doch ungeheuren Spaß bereitet beim Lesen.

Die Handlung zu erzählen wäre ein ziemlich zeitraubendes Unterfangen (der Leser sei auf die Wikipedia-Seite verwiesen: Hilfreich auch dann, wenn man während des Lesens mit der Zuordnung der Personen nicht zu Rande kommt). Und es erschiene auch nicht sinnvoll, denn dieser Roman lebt nicht bzw. kaum von einer Spannung aufbauenden Handlung, sondern vielmehr von den unzähligen, subtil-konzisen Beschreibungen seiner Protagonisten: Den Heranwachsenden einer Tennisakademie (der Autor war selbst in seiner Jugend Profi-Tennisspieler), der Drogenszene und jener Gruppe von Separatisten und US-Geheimdienstlern, die allesamt auf der Suche nach einer Filmpatrone sind, von der man sich (in Endlosschleife) nicht mehr losreißen kann und entweder vor dem Bildschirm verhungert und verdurstet oder als völliger Idiot zurückbleibt (den kanadischen Separatisten schwebt vor, den Film ins Kabelnetz einzuspeisen und dadurch die USA völlig lahmzulegen).

Hauptfigur ist Hal Incandenza (das alter ego des Autors?), dessen Vater als Regisseur für den inkriminierten Film verantwortlich ist (dieser Vater begeht Selbstmord, in dem er in eine entsprechend adaptierte Mikrowelle seinen Kopf steckt: Laut Autor eine zielführende Methode, aber auch eine ziemliche Sauerei für die Nachwelt). Die gesamte Familie Incandenza ist ein Fall für die Psychiatrie, ihre Mitglieder sind verrückt, hochbegabt und drogensüchtig, sie sind einander in Hass-Liebe verbunden und überleben – wenn überhaupt – nur zum Preis psychischer Verstümmelungen. Überall sind Drogen ein Thema (der Vater etwa ist Alkoholiker, Hal marihuanaabhängig), sie sind (nicht nur für die Familie Incandenza) unabdingbar, um in der Welt irgendwie zu bestehen. Und die Schilderungen dieser Exzesse, der verzweifelten Versuche davon loszukommen, gehören zum eindrucksvollsten, was je zu diesem Thema geschrieben worden ist. Wenn etwa der Entzug von „Poor Tony“, einem Transvestiten aus der Drogenszene, geschildert wird: In einem Müllcontainer lebend (oder auf öffentlichen Klos), sein Verfall, sein Versinken in den körperlichen Schmerz und den Wahnsinn der Entzugserscheinungen, so ist das von einer Eindrücklichkeit – gänzlich ohne Effekthascherei – die unglaublich nahe geht, die der Leser selbst körperlich zu spüren glaubt (wenn denn der p. t. Leser wenigstens ein paar Erfahrungen in dieser Richtung vorweisen kann). Überhaupt ist es die Authentizität des gesamten Romans (trotz irrwitziger Einfälle en masse, verrückter Konstruktionen, die man einem anderen, weniger begabten Autor nicht hätte durchgehen lassen), die so sehr beeindruckt: Nie hat man den Eindruck, dass da jemand um aufgesetzter Originalität willen die Handlung ins Absurde abgleiten lässt, das alles ist durchkomponiert, bedacht und zum Teil von sarkastischem Humor, der in dieser – gelungenen – Form eine große Seltenheit darstellt.

Verrückt, skurril, absurd, ohne Rücksicht auf die Lesbarkeit und gerade deshalb phantastisch: Die postmodernen Freiheiten, die sich Wallace beim Schreiben nimmt, sind nicht – wie sonst so oft – Selbstzweck, pseudointellektuelle Nabelschau, sondern Resultat akribischer Arbeit und einer außergewöhnlichen Begabung. Um das alles zu lesen sollte man schon einige Liebe zur Literatur mitbringen (auch die 150 Seiten Endnoten, mit denen man mich ansonsten sehr leicht vergrämen kann, haben eine Funktion, lassen Metaebenen zu, in denen man den Autor und seine Protagonisten vernimmt). Doch es lohnt sich unzweifelhaft, es ist ein Buch, das wiedergelesen werden will: Und es gibt kaum ein größeres Lob für einen Roman – vor allem dieses Umfangs. Ich bin froh, meine anfängliche Skepsis überwunden zu haben – und auf den Vergleich mit Pynchon und Joyce, den ich mit ein wenig Unbehagen im Forum geäußert habe, sind auch andere schon gekommen: Der Verfasser des Wikipedia-Artikels zu Wallace hat auf genau diese beiden ebenfalls hingewiesen. Wallace hält diesen Vergleich aus. Einfach lesen!


David Foster Wallace: Unendlicher Spaß. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011.

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