Cormac McCarthy: The Road [Die Straße]

Wenn ich bereits auf der ersten Seite eines Romans lese: And on the far shore a creature […] stared into the light with eyes dead white and sightless as the eggs of spiders, dann schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Auch wenn es sich um die Schilderung eines Alptraums handelt, aus dem der Protagonist soeben erwacht: Das Bild der nichts sehenden Spinneneier hängt so schief, dass es beinahe von der Wand fällt. Wenn es dann später vom Kopf des Sohns mit seinen blonden Haaren heißt, er schaue aus wie a golden chalice, good to house a god, dann ist die Metapher endgültig herunter gefallen und hat das Kind erschlagen, aus dessen Schädel nun die Barbaren einen neuen Heiligen Gral zimmern. Und dafür erhält ein Autor den Pulitzer-Preis … Ich habe aber hier meine Alarmglocken wieder abgestellt, weil es überhaupt einige wenige Metaphern in diesem Roman gibt, die dafür meist schief hängen. Ansonsten ist McCarthys Sprache – aber darauf komme ich noch.

Eine andere Alarmglocke – die für Kitsch nämlich – konnte ich hingegen nicht mehr ausstellen, nachdem sie auf der zweiten Seite des Romans zu klingeln begonnen hatte. Dort steht nämlich, während der Vater über den Sohn nachdenkt: He knew only that the child was his warrant. He said: If he is not the word of God God never spoke. Dies drückt sich später dann auch in der Überzeugung aus, dass man zu den „Guten“ gehöre (weil man anders als andere in dieser Katastrophe keine Menschen fresse), dass man Träger des Feuers sei. Religiöser Kitsch vom Feinsten.

Das alles hat die Kritik – ob nun professionelles Feuilleton, Amateur-Blogger oder auch ’nur‘ LeserInnen in Literaturforen – nicht daran gehindert, verschiedenste Vergleiche mit großen Themen und / oder großen Autoren heranzuziehen, um McCarthys angebliche literarische Qualität zu beweisen. Einiges stimmt mich ganz einfach misstrauisch gegenüber den literarischen bzw. literaturgeschichtlichen Kenntnissen der Schreibenden. Horror oder Gothic Novel wird der Roman genannt – ohne dabei zu berücksichtigen, dass gerade die Großen dieses Genres (es werden E. A. Poe und H. P. Lovecraft genannt – der Kritiker in diesem Fall ist US-Amerikaner, er kennt offenbar sowieso keine nicht-englischsprachigen Autoren, und überhaupt keine Autorinnen), dass die Großen des Genres wollte ich sagen, Horror und Grauen zu vermitteln mögen, ohne auf das plumpe Mittel zurück zu greifen, dass die ‚Bösen‘ sogar menschliche Babies grillen und essen. Dass heutzutage alles ‚Science Fiction‘ genannt wird, das in einer unbestimmten Zukunft handelt, mag ich Genusslesern verzeihen, ist aber nichtsdestotrotz falsch – ganz einfach, weil in diesem Roman kein einziges Stück Technik erwähnt wird, das wir nicht schon seit Jahrzehnten kennen. Selbst mit der Bezeichnung als ‚Dystopie‘ bin ich nicht ganz glücklich. Eine Dystopie ist für mich das Gegenstück einer Utopie. Eine Utopie wiederum schildert, eingebettet in eine erzählerische Fiktion, den Aufbau oder das Funktionieren eines idealen Staats. Eine Dystopie handelt erzählt meiner Meinung nach entsprechend von einem oppressiven, einem negativen Staat. Aber Staat haben wir hier keinen mehr – der ist offenbar völlig zusammengebrochen und verschwunden. Man mag ‚Dystopie‘ auf die ins Negative verkehrten sozialen Interaktionen des Romans beziehen, aber das ist nicht mein Gebrauch des Worts. Warum genügt nicht einfach der Begriff ‚postapokalyptischer Roman‘? (Und auch da, liebe Kritiker, tut man McCarthy keinen Gefallen, wenn man die Beispiele Wyndhams und Ballards herbeizieht, deren Postapokalypsen bedeutend farbiger und erzählfreudiger ausgemalt sind – was die Schwächen von wiederum deren Romanen nicht leugnen soll.)

Die Sprache zu besprechen, habe ich oben noch versprochen. McCarthy benützt eine sehr einfache Sprache. Meistens parataktische Reihungen; oft werden diese Hauptsätze jeweils abwechslungsweise mit zuerst ‚und‘ verbunden, als zweites mit ‚dann‘, es folgt ‚und‘ worauf Satz 4 wieder mit ‚dann‘ angehängt wird. Auch wenn der Autor dieses Stilmittel sehr bewusst verwendet und es (zumindest zu Beginn, bevor es anfängt, eintönig zu werden) einen gewissen makabren Sog entwickelt: Meine Lehrer hätten mir das schon in der fünften Klasse rot angestrichen. Wozu haben wir gelernt, die elaborierten Sätze (hinter denen auch elaborierte Gedanken stecken!), die elaborierten Sätze also eines Thomas Mann zu lesen, eines Joyce oder eines Proust? Mit seiner Sprache steht McCarthy sicher näher bei Hemingway, der für eine ähnlich einfache Sprache plädierte, als bei Faulkner, in dessen Nähe man ihn wohl vor allem stellt, weil der Roman ziemlich sicher (genau wird die Geografie nie erklärt) irgendwo in den östlichen Südstaaten der (ehemaligen) USA spielt.

Ganz schlimm wird es mit seiner Sprache, wenn der Autor Dialoge zwischen Vater und Sohn darstellt. Nun hat McCarthy das Buch seinem Sohn gewidmet und er soll irgendwo einmal gesagt haben, dass dieser eigentlich als Ko-Autor aufs Cover gehört hätte, weil die Dialoge wortwörtlich aus Gesprächen mit ihm übernommen worden seien. Sie klingen tatsächlich genau so (und als solche klingen sie tatsächlich sehr echt!). Nur, ich meine: Der Sohn im Roman muss etwa sechs oder sieben Jahre alt sein. In diesem Alter sind solche Gespräche, die in einfachem Ton schwierige weltanschauliche Verhältnisse explorieren, natürlich sehr wichtig – für den Sohn. Ich als erwachsener Leser erwarte mehr. Diese Gespräche – und a fortiori dann das ganze Buch – erinnern fatal an ähnliche Versuche, Weltanschauliches in einfacher Form zu übermitteln, wie wir es vom Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry kennen. Hm … wenn ich es mir genau überlege: auch Der Kleine Prinz, auch Saint-Exupéry, haben ihre Fan-Base. Der Unterschied zwischen dem US-Amerikaner und dem Franzosen ist höchstens, dass die Welt Saint-Exupérys farbiger ist das das Grau-Schwarz, in das McCarthy seine Welt gehüllt hat.

Last but not least: Was bleibt, wenn wir die Geschichte ihrer verschwurbelten Metaphysik und ihres postapokalyptischen Gewands entkleiden? Der nackte Erzählstrang ist doch folgender: Wir haben ein Paar. Ein Kind kommt zur Welt – und eine undefinierte Katastrophe bricht über das Paar herein. Eines Tages verschwindet die Mutter aus der Familie. Der Vater kämpft einen verzweifelten Kampf darum, das Kind weiterhin an sich binden zu können. Doch er muss miterleben, wie sich sein Sohn ihm mehr und mehr entfremdet. Schließlich gibt er auf. Er bleibt am Rand des Lebenswegs des Kleinen liegen, der seinerseits in eine intakte Familie aufgenommen wird, die wohl die zweite Familie der Mutter ist. (Dass der Vater an der Wunde eines aus dem Hinterhalt abgeschossenen Pfeils liegen bleibt, kann man, meiner Meinung nach, sogar so sehen, dass hier Amor den Mann verwundet hat und er sich deswegen vom Sohn ab und einem neuen Leben mit einer anderen Frau zu wendet.) Ich mag Interpretationen ad hominem nicht, aber meines Wissens ist McCarthy drei Mal geschieden, unter anderem auch von der Mutter eben jenes Sohnes, dem er eine Ko-Autorschaft zuspricht.

Wir haben hier also doch wohl einen Roman für frisch geschiedene Väter. Und für kleine Prinzen und Prinzessinnen, die der Gothic-Kultur verfallen sind, es aber doch nicht allzu düster möchten. Für das eine ist meine Scheidung zu lange her; für das andere bin ich zu alt. Kein Roman für mich also.

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