William Beckford: Vathek

Beckford gehört wohl zu den bekanntesten der unbekannten Autoren, was phantastische Literatur betrifft. Er verdankt diesen seinen etwas seltsamen Ruhm einem einzige, etwas seltsamen Roman: Vathek. Was immer er sonst geschrieben hat (und es war so einiges – unter anderem hat er auch einige Märchen des Musäus ins Englische übersetzt), ist beim großen Publikum in Vergessenheit geraten. Vathek aber wird nicht nur bis heute immer wieder gelesen, der Roman hat auch so manchen schriftstellerischen Kollegen Beckfords inspiriert: Poe und Lovecraft auf der mehr phantastisch-gruseligen Seite; aber auch einige Werke von Byron, de Quincey, Baudelaire, Huysmans oder Benn wären ohne ihn nicht möglich gewesen – Romantik, Symbolismus und Expressionismus verdanken ihm also so einiges.

Der Roman kommt seinerseits vom Märchen her – dem Märchen im exotisch-orientalischen Gewand nämlich, wie es die Übersetzung der Geschichten aus tausendundeiner Nacht durch Antoine Galland zu Beginn des 18. Jahrhunderts populär gemacht geworden ist. Wobei Vathek auf die erotischen Aspekte jener Märchen-Sammlung völlig verzichtet, dafür Aspekte des ebenfalls gerade florierenden Schauerromans übernimmt (Das Schloss von Otranto war 1764 erschienen, 22 Jahre vor Vathek. Beide Autoren, Walpole wie Beckford, waren übrigens hauptberuflich Sohn eines politisch und finanziell (einfluss-)reichen Vaters.)

Die Geschichte, wie der Kalif Vathek (der auf einem real existierenden Kalifen der Abbasiden beruht), wie der Kalif also immer mehr dem Bösen verfällt, kann im Internet nachgelesen werden. Er war – und das ist wichtig – eigentlich schon immer ‘böse’, hat aber seinen Zorn und sein aufbrausendes Wesen im Zaum gehalten, weil sein zorniger Blick, der im Stande war, einen Menschen zu töten, sonst seinen ganzen Palast, ja sein ganzes Reich von Menschen geleert hätte.

Dann aber kommt ein hässlicher und anmaßender Fremder in die Stadt. Er scheint Händler zu sein, jedenfalls verkauft er dem Kalifen ein paar Schwerter mit Inschriften, die zunächst kein Mensch lesen kann. Damit weckt er im Kalifen den Wunsch nach mehr Wissen und damit nach mehr Macht. (Eine wissenschaftsfeindliche Grundhaltung Beckfords scheint es tatsächlich gegeben zu haben.) Mehr und mehr wird es den Lesenden klar, dass dieser fremde Händler in Tat und Wahrheit ein Abgesandter des Teufels war, der den Kalifen nunmehr seiner gerechten Bestimmung in der Hölle zuführen wird.

Mit der Beschreibung dieser Hölle nun übertrifft Beckford sowohl die orientalischen Märchen wie Walpole. Der klassische Schauerroman behielt für sich ja immer ein Residuum realer Geschehnisse und Situationen – eine Hölle im eigentlichen Sinn zu beschreiben, wäre Walpole nicht in den Sinn gekommen. Die Märchen ihrerseits kennen zwar durchaus ‘böse’ Menschen und ‘böse’ Geister, aber auch sie verzichten in Normalfall auf eine detaillierte Schilderung der Hölle, wie wir sie zum Schluss des Romans Vathek finden. Sein einziger Vorgänger von Rang in dieser Beziehung war Dante.

Dazu möchte ich aus dem Vorwort Jorge Luis Borges zitieren:

Saintsbury und Andrew Lang erklären oder deuten an, dass die Erfindung des Alcazár des unterirdischen Feuers die größte Ruhmestat Beckfords darstellt. Ich behaupte, dass es sich um die erste wahrhaft grässliche Hölle in der Literatur handelt. Ich wage das Paradox, dass die berühmteste aller literarischen Unterwelten, das dolente regno der Commedia kein schauriger Ort ist; sie ist ein Ort, wo schaurige Dinge geschehen.

Natürlich beurteilt Borges hier Dantes Inferno aus der heutigen Sicht. Ob Dante, ob Beckford: Wir sehen heute in beiden Fällen nur großartige Erfindungen eines phantasievollen Schriftstellers. Der Intention seiner Autoren nach war das aber nur bei Beckford so; Dante glaubte an die Realität seiner Hölle – wenn sie auch im Detail anders aussehen mochte.

Ein wenig später in seinem Vorwort kommt Borges nochmals auf Beckfords und Dantes Höllen zurück:

[…] es hätte vielleicht genügt zu bemerken, dass die Hölle Dantes die Vorstellung von einem Kerker übersteigert, die Beckfords hingegen die Höhlengänge eines Alptraums. Die Divina Commedia hat die größte Existenzberechtigung und Geschlossenheit aller Literatur; Vathek ist eine bloße Rarität, the perfume and suppliance of a minute; dennoch glaube ich, dass Vathek, wenn auch gewissermaßen im Keim, die satanische Pracht Thomas de Quinceys und Poes, Charles Baudelaires und Huysmans’ vorausahnen lässt.


Damit tut Borges Beckford insofern Unrecht, als er ihn als reinen Vorläufer besserer Autoren darstellt. Mag sein, die Genannten (und noch ein paar andere) haben wirklich von Beckford gelernt und ihn gar verbessert. Aber eines habe ich bei keinem gefunden: Bei Beckford ist die Hölle nicht nur äußerlich schauerlich und so beschrieben – sie besteht vor allem in einer körperlich-seelischen Bestrafung, indem das Feuer nicht (nur) außen brennt. Es ist vor allem ein Feuer im Herzen oder an Stelle des Herzens, das macht, dass die Bestraften nicht nur keine menschliche Gesellschaft mehr kennen oder mögen (sie haben ja kein Herz mehr für andere Menschen), sondern dass sie durch dieses innere Feuer erst die wahren Höllenqualen leiden. Da wird die Darstellung der Teufel, selbst des Oberteufels Eblis, zur Nebensache.

Fazit: Eine erstklassige Hölle, die man einem Dilettanten (wie es Beckford im Grunde genommen ja war) nicht zutrauen würde.


William Beckford: Vathek. Aus dem Englischen von Hans Schiebelhuth. (= Die Bibliothek von Babel, Band 3)

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