William Beckford: Träume, Gedankenspiele und Begebenheiten

Ausschnitt aus dem Buchcover, der Reproduktion eines Aquarells, das eine in Blau- und Grautönen gehaltene Landschaft darstellt. Im Ausschnitt ganz rechts außen ein Baum, im Hintergrund eine Bergkette. (Das ganze Cover zeigt, dass der Baum auf einem Hügel im Vordergrund steht und vor der Bergkette ein Meeresarm liegt - eine typisch romantische Landschaft also. Das Coverbild ist seinerseits ein Ausschnitt aus dem Gemälde "Die Bucht von Neapel von Capodimonte betrachtet" von John Robert Cozens aus dem Jahr 1790.)

William Thomas Beckford (1760-1844) war, wenn man das so sagen darf, von Beruf Sohn. Sein Vater gleichen Namens war ein bekannter englischer Politiker (u.a. zweifacher Lord Mayor von London). Nach dessen Tod 1770 erbte Beckford jr. ein riesiges Vermögen, das ihn zu einem der reichsten Männer des Königreichs (und damit der Welt) machte. Anders als seine Mutter es wünschte, setzte der hochbegabte junge Mann das Geld aber nicht dafür ein, sich einen Sitz im britischen Oberhaus zu sichern, sondern sagte offen:

Ich fürchte, ich werde nie halb so weise noch tauglich sein, zu irgend etwas als dem Komponieren von Melodien, Erbauen von Türmen, Anlegen von Gärten, Sammeln alten japanischen Porzellans und dem Verfassen einer Reise nach China oder zum Mond. [Life and Letters of William Beckford, 1910; S. 105]

Das umreißt denn auch sehr gut das Leben des Exzentrikers Beckford. Anstatt wie heutige ‚reichste Männer der Welt‘ (solche Frauen gab es zu Beckfords Zeiten kaum) einen Internet-Kurznachrichtendienst zu kaufen und ihn innerhalb weniger Monate moralisch und finanziell noch mehr zu korrumpieren, als dies sowieso schon der Fall war, ließ er für sich tatsächlich Türme hochziehen oder kaufte zum Beispiel die rund 2000 Bücher umfassende Bibliothek aus dem Nachlass von Edward Gibbon. Last but not least verdankt der Maler William Turner Beckfords Mäzenatentum viel.

Ein eigenständiger Künstler war er vor allem als Autor – nicht einer Reise nach China oder zum Mond – sondern des kurzen Romans Vathek, dessen Titelheld ein vorderorientalischer Kalif ist, der zum Schluss in eine Hölle fällt, wie sie vor Beckford noch keiner ersonnen hatte.

Was wir nun hier vor uns haben, ist der Bericht einer Reise, die der junge Beckford 1782 unternommen hat. Seine Mutter sah darin nur die damals übliche Grand Tour, die unterdessen auch bürgerliche Männer unternahmen, um ihre Bildung abzuschließen, bevor sie ins nützliche Leben stiegen. Beckford machte daraus mehr, nämlich die Krönung seiner kunsttheoretischen Ausbildung. Für ihn war von allem Anfang an Italien das Ziel der Reise, was macht, dass die Niederlande und die deutschen Städte, die er zwangsläufig zuerst passieren muss, bei ihm schlecht wegkommen. Selten hat ein Reisender soviel satirische Tinte über diese Gegend und ihre Einwohner:innen verspritzt wie Beckford. Der satirische Ton bricht praktisch gänzlich ab und äußert sich allenfalls noch als milde Ironie vom Moment an, wo der Autor in Venedig italienischen Boden betritt.

Dabei müssen wir dem Jüngling zu Gute halten, dass er trotz seines geringen Alters über ein breites kunsthistorisches Wissen verfügte und vor allem bei der Malerei bereits über ein geschultes Auge und eine treffsichere Beschreibungssprache verfügte. Er kritisiert zum Beispiel Rubens als Ganzen, hebt aber immer wieder gelungene Einzelheiten hervor. Ähnliches gilt in geringerem Ausmaß für die Gärten, die er besichtigt, die Statuen, die er sieht, die Sänger (viele Kastraten darunter!), die er hört. Auch Architektur weiß er zu schildern und zu beurteilen.

Formal stellt das Buch eine Mischung dar aus Reisebericht, Brief und Tagebuch – was sich aus seiner Entstehung erklären lässt. Beckford machte unterwegs zwar Notizen, arbeitete diese jedoch nicht aus. Das eine überlieferte Notizbuch von der Reise zeigt bloß stichwortartige Einträge – nicht viel mehr, als die Kapitelüberschriften des ausgearbeiteten Texts beinhalten. Erst später, wieder in England, hat er diese Notizen in einen literarischen Text umgearbeitet. Die Briefform ist dabei rein fiktiv. Allerdings scheint Beckford einen reellen Menschen als Adressaten im Kopf getragen zu haben, seinen Lehrer in der Malerei, den britischen Landschaftsmalter Alexander Conzens. Das Buch sollte 1783 veröffentlicht werden, keine Frage, denn es waren schon 500 Exemplare gedruckt und eine Ankündigung ebenfalls, als es Beckford (wohl auf Druck seiner Mutter) zurückzog. Er verbrannte alle Exemplare bis auf fünf, eines davon sein Handexemplar, aus dem er viel später (1834) ein in Ton und Inhalt bedeutend gemäßigteres Exzerpt formte: Italy: with some Sketches of Spain and Portugal.

Er erzählt seinem fingierten Adressaten im Original nicht nur von tatsächlichen Begebenheiten, sondern auch von seinen Gedankenspielen (auf Englisch Walking Thoughts, die deutsche Übersetzung bezieht sich wohl implizit auf Arno Schmidt, dessen Gebrauch des Worts Gedankenspiel hier durchschimmert: Beckford unternimmt immer wieder längere zusammenhängende gedankliche Expeditionen in die Landschaften und allgemein seine Umgebung, in der er sich in eine ganz andere Zeit versetzt und zum Augenzeugen alter Ereignisse wird – die er dann auch seinem Adressaten weitererzählt, sich dabei ironisch mit Don Quijote vergleichend, der sich beim Anblick von Windmühlen Riesen erträumt hätte, die er bekämpfen konnte. Aber Beckford erzählt auch von immer wieder auftretenden Attacken völliger Lustlosigkeit, bei denen er sich am liebsten irgendwo verkriecht, bis sie wieder vorbei sind – Attacken, die er im Jargon der Zeit Melancholie nennt. Wenn er aber einmal nicht melancholisch ist, kann er auch wie ein ausgelassenes Kind zu Fuß oder zu Pferd seiner Kutsche vorauseilen, den Berg hinauf, das Tal hinunter. Ein paar Male kommt er dabei erst kurz vor einem Abgrund zum Halt – so erzählt er jedenfalls.

Alles in allem aber durchlebt er in Italien ganz eindeutig eine wunderbare Zeit beim Betrachten der Gemälde, der Statuen und der Architektur – und dies, obwohl er im italienischen Winter dort ist. Entsprechend kurz fällt die Schilderung seiner Rückkehr aus (hierin sehr an die Kürze gemahnend, mit der ein anderer glücklicher Italienreisender seine Rückkehr behandelte – Johann Wolfgang Goethe).

Lesenswert? Auf jeden Fall. Wir erhalten hier ein Bild einer Veranlagung, die für jene Zeit vor allem in Deutschland und in England für viele Autor:innen und Intellektuelle typisch werden sollte: empfindsam, gefühlsintensiv und hochintelligent. Und nebenbei ein paar kunstkritische Bemerkungen, über die nachzudenken es sich lohnen könnte.


William Beckford: Träume, Gedankenspiele und Begebenheiten. In einer Reihe von Briefen aus verschiedenen Gegenden Europas. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Wolfram Benda. Mit Bildbeigaben und einem Nachwort von Norbert Miller. Berlin: Aufbau, 2022. (= Die Andere Bibliothek N° 454)

[Bei den Bildbeigaben handelt es sich vor allem um italienische Landschaften von John Robert Cozens, dem Sohn des supponierten Empfängers, die dieser in den 1820er Jahren gemalt hat und die die Gefühle Beckfords in dieser Landschaft ziemlich gut spiegeln.

Der (eigentlich ja renommierte!) Übersetzer Wolfram Benda frönt leider der Macke, bei gewissen, (aber nicht allen!) Wörtern, die wir heute mit ‚ei‘ schreiben das zur Zeit Beckfords im Deutschen allerdings übliche ‚ey‘ zu setzen (zwey, aber dann wieder bei) oder hie und da ein heute übliches ‚k‘ im Anlaut als ‚c‘ wiederzugeben (colossal) und Eigennamen gänzlich in veralteter Form zu buchstabieren (Coblentz). Wozu das gut sein soll, will sich mir nicht erschließen.

Und ja: Der seltsame bedruckte Karton-Umschlag um das Buch, aus dem man es kaum befreien und in das man es kaum wieder zurück praktizieren kann, wird wohl eine Macke der Anderen Bibliothek bleiben. Ich würde mir wünschen, dass sie darauf verzichtet und dafür mehr wie hier auf alte Fundstücke als Veröffentlichungen zurückgreift, und so halbwegs ihre Tradition aufrecht erhält.]

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 2

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