Letztes Jahr (2020) jährte sich der Geburtstag von Paul Celan zum 100. Mal, und sein Todestag zum 50. Mal. Aus diesem Anlass erschien damals die vorliegende Auswahl aus seinen Gedichten bei der Büchergilde. Es handelt sich um lauter Liebesgedichte, weil – so der Herausgeber Joachim Seng – Celan zwar im Bewusstsein der Mehrheit der Lesenden verankert sei als der Lyriker, der gegen das Vergessen des Holocaust geschrieben hatte, nicht aber als Verfasser von Liebeslyrik. Dies möchte er mit seiner Auswahl ändern. Nun täuscht sich entweder Joachim Seng – oder ich darf mich einmal mehr nicht zur Mehrheit der Lesenden zählen. Denn neben dem Verfasser der Todesfuge existiert für mich, seit ich Celan überhaupt kenne, sehr prominent Celan als Verfasser von Liebesgedichten.
Celans Liebesgedichte sind dabei, nebenbei gesagt, keineswegs fröhlich. Ein Grundton von Melancholie färbt alle: eines der am häufigsten verwendeten Substantive in dieser Auswahl ist das Wort Schwermut. Die Auswahl bringt Gedichte aus Celans Anfängen, aber auch späte Lyrik, chronologisch geordnet. Vor allem in seinen späten Gedichten macht Celan klar, dass Liebe nicht nur nicht fröhlich ist – im Gegenteil. Sie geschieht dem Menschen eigentlich schon fast gegen seinen Willen. Denn die conditio humana, die schon von jeher nie fröhlich war, ist es seit dem Holocaust schon gar nicht mehr. Und den Holocaust – ob angesprochen oder nicht – finden wir auch in Celans Liebeslyrik immer als Grundton einer jeden Liebe. Gleichzeitig ist Liebe aber auch lebensnotwendig – überlebensnotwendig. Umso präsenter ist dann auch die Angst, sie (bzw. die geliebte Person) wieder zu verlieren. So eine Liebe schmerzt die Liebenden, und doch wollen sie nicht darauf verzichten. So steht das lyrische Ich, was die Liebe betrifft, immer irgendwo zwischen Eigentlich-nicht-Wollen und Doch-nicht-anders-Können.
Die am meisten verwendete Farbe bei Celan ist blau. Sein Blau hat aber mit der blauen Blume der Romantik, wie sich unzweifelhaft aus Obigem ergibt, wenig zu tun. Celan kommt vom (französischen) Symbolismus her, seine frühen Vorbilder waren Rilke und Trakl. So ist sein Blau das Dunkelblau der Abenddämmerung – schön, aber ganz klar ein Phänomen, das das Ende des Tages ankündigt. Im Übrigen ist Celans Sprache (vor allem in der späteren und spätesten Lyrik) schlicht und elegant. Nach ersten Versuchen mit Reimen sind es vor allem die späteren, in freien Versen gehaltenen Gedichte, die die Lesenden zu packen vermögen.
So viel dazu. Noch mehr über Celans Gedichte schreiben, hieße, ihre Schönheit und ihre Einzigartigkeit zerreden. Man kaufe diese oder irgendeine Ausgabe seiner Gedichte und lasse sich selber verzaubern …