H. S. Eglund: Nomaden von Laetoli

Eigentlich mag ich diese Frage ja gar nicht, weil ich der Meinung bin, dass es, wenn der Text einmal beim Publikum ist, keine Rolle spielt, was der Autor oder die Autorin damit sagen wollten, sondern nur noch wichtig ist, was der Text (zum Beispiel: mir) wirklich mitteilt. Im Fall des vorliegenden Romans aber stelle ich mir diese Frage tatsächlich: Was will mir der Autor mitteilen? Oder vielleicht eher: Aus welchem Grund und zu welchem Zweck hat er diesen Roman geschrieben? Sie wollen sich mir nicht erschließen und von sich aus teilt mir der Text auch nichts mit. Vielleicht gibt uns ja der Text auf der hinteren Buchklappe die Antwort:

Der junge Wissenschaftler Martin Anderson steht vor einer glänzenden Karriere. Auf Grönland hat er die versunkene Hafenanlage des Wikingerfürsten Eirik entdeckt. Dafür wird er von der Fachwelt gefeiert. Ihn erreicht ein Ruf von Professor Miller, einer Koryphäe der Archäologie. In Laetoli forscht Miller an Millionen Jahre alten Fossilien menschlicher Vorfahren. Der alte Kauz behauptet: Ich habe den ersten Menschen gesehen, leibhaftig! Hat ihn der Afrikakoller erwischt? Andersons Verwirrung wächst, als er Sewe Akashi begegnet, Millers junger Assistentin.

Das klingt nach Indiana Jones bzw. dessen literarischem Vorbild Allan Quatermain des Engländers Henry Rider Haggard. Der Roman ist in vier Großabschnitte unterteilt, und wenn wir dann noch erfahren, dass Sewe Akashi von den Einheimischen als Hexe in positivem Sinn betrachtet wird, beginnen wir uns bereits auf eine moderne Version des Romans Sie einzustellen. Am Ende des ersten Großabschnitts stirbt Miller an der Malaria. Das gibt zwar Sewe Anlass zu einigen Ausführungen über eine zusehende Versteppung der Erde in Folge des Klimawandels und mit der Konsequenz, dass solche Krankheiten auch in Europa überhand nehmen werden, ist aber an und für sich unspektakulär, weil der eigentliche Tod in Abwesenheit des Protagonisten Anderson stattfindet. Dieser erhält dann aber über geheimnisvolle Umwege ein Manuskript des alten Professors, in dem dieser noch einmal berichtet, wie er sich in der Steppe der Serengeti verirrt hat und halb verdurstet dieser Australopithecus-Familie begegnet sein will, die übrigens offenbar recht intelligent war, konnte sie ihm doch zeigen, welches Gras er essen sollte, wollte er nicht verdursten oder Hungers sterben. Mit dem alten Holländer, der das Manuskript aufbewahrte, gibt es dann noch eine Diskussion über Sinn und Zweck der Wissenschaft. Anderson und der holländische Dominikaner (um einen solchen handelt es sich nämlich) kommen überein, dass die moderne Wissenschaft in allem darauf hinweist, dass eine höhere Macht da sein muss, die hinter allen Naturgesetzen stehen muss. Die beiden strapazieren dafür Descartes (als Initiator der modernen Naturwissenschaften), Thomas von Aquin und den alten Plato (dessen Ideenlehre hier natürlich perfekt passt); ja, selbst Heisenbergs Unschärferelation muss als Beweis herhalten, indem sie der Form zitiert wird, dass das Auge des Beobachters das Beobachtete immer verändert. Nunmehr erwarten wir also einen Wissenschafts-Thriller mit Einschlägen von Fantasy und / oder Science Fiction – wenn auch die bisher zitierte Wissenschaft bzw. Philosophie nicht zu 100 % korrekt ist. Der Schluss des ersten Großabschnittes ist dann, dass Anderson, in einem Anfall von Ich -weiss-nicht-was, bei Nacht und Nebel alleine in einem Jeep an den Ort fährt, an dem Miller seine Urmenschen gesehen haben will, und dabei schwer verunglückt. Nur zufälligerweise finden ihn seine Mitarbeiter und können ihn retten.

Ein geheimnisvolles Manuskript, eine geheimnisvolle Erscheinung, ein Toter und ein schwerer Unfall. Auch wenn der Autor zu viel Zeit braucht, um dahin zu kommen, so könnte sich doch ein spannendes Abenteuer entfalten.

Der zweite Großabschnitt spielt dann fünf Jahre später in Addis Abeba. Anderson hat Millers Professur im holländischen Leiden angenommen; jetzt ist er ein von seinen bürokratischen Aufgaben überlasteter und unbefriedigter Professor, der an einer wissenschaftlichen Tagung ein Referat hält. Millers geheimnisvolles Manuskript ist nur noch dazu da, als elektronisch gespeicherter Text von Anderson zu einer Publikation vorbereitet zu werden. In Äthiopien aber will Anderson nicht nur sein Referat halten, sondern auch an dem Ausgrabungsort, an dem Lucy, bzw. die Erste Familie gefunden wurden, weitere Forschungen treiben. (Sein eigentliches Forschungsgebiet ist mir, offen gesagt, so unklar geblieben, wie der Ort, wo er nun in Äthiopien forschen will, ebenso wie Sinn und Zweck des ganzen Romans. Anderson nennt sich Anthropologe, scheint in Äthiopien als Archäologe tätig werden zu wollen, und ist mit seinem Interesse am afrikanischen Urmenschen in meinen Augen am ehesten so etwas wie ein Paläoanthropologe.) Doch aus der Feldarbeit wird nichts; in Äthiopien bricht ein Bürgerkrieg aus. Der Europäer muss auf Schleichwegen nach Kenia flüchten.

Am Ende treffen wir ihn wieder, wie er irgendwo in Sansibar am Strand des Meers hockt und überlegt, was er den Studenten und Studentinnen beibringen soll, die sich eingeschrieben haben an seinem Institut, das ihm die Schwedische Akademie gestiftet hat, und wo er im Grunde genommen tun und lassen kann, was er will – Hauptsache, sein Name und was er lehrt, ziehen Interessent:innen an. In Sansibar läuft ihm auch Sewe wieder über den Weg, die in den letzten beiden Großabschnitten keine Rolle gespielt hatte. (Also auch um einen Liebesroman handelt es sich hier nicht, auch wenn nun auf Sansibar die beiden für kurze Zeit zusammen kommen. Es ist im Gegenteil Eglund zu Gute zu halten, dass er darauf verzichtet, Sewe ihre Tätigkeit in den Slums aufgeben und als Assistentin / Geliebte zu Anderson ziehen zu lassen.) Millers Manuskript ist nun fertig für eine Publikation – das ist dann die einzige Rolle, die es spielen sollte. Auch sonst erlebt Anderson nichts mehr und spekuliert mit Freunden und Bekannten allenfalls noch, mehr oder weniger wissenschaftlich fundiert, über den Anfang und den Sinn des Lebens. Da Anderson und wohl auch der Autor hier ihre angestammten Berufsfelder verlassen, darf es nicht erstaunen, wenn diese ihre Spekulationen welche von Amateuren sind – und damit wenig interessant.

Was will uns also der Autor – außer den gerade genannten Spekulationen – nun mitteilen? Das einzige, was mir aufgefallen und somit in den Sinn gekommen ist: Es wird immer mal wieder (schon im Titel!) die Metapher verwendet, dass der Mensch als solcher ein Nomade ist, der aber nun endlich zur Ruhe zu kommen habe – als biologische Art ebenso wie als Einzelwesen. Anderson zumindest scheint am Schluss zur Ruhe gekommen zu sein. (Aber, seien wir ehrlich. Wenn uns jemand ein großzügiges Gehalt spendiert und eine Arbeitsstätte, an der wir mehr oder weniger tun und lassen können, was wir wollen, und die wir sogar noch errichten können, wo wir wollen – also zum Beispiel in der Wärme Afrikas und in der Nähe eines schönen Sandstrands, wo wir uns in einen Liegestuhl fläzen, an einem kühlen Drink nippen und auf einem Notebook mehr oder minder wissenschaftliche Arbeiten eintippen können: So könnten wir auch zur Ruhe kommen. Wie überhaupt auffällt, dass der Roman zwar in Afrika spielt, Anderson aber sich vorwiegend in Luxushotels aufhält, wo reichliches Essen und stets eisgekühlte Getränke eine Selbstverständlichkeit sind – noch als der Bürgerkrieg draußen bereits tobt, wird in Andersons Hotel in der äthiopischen Hauptstadt das Frühstückbuffet neu aufgedeckt. Und die Eingeborenen sind meist untergeordnete Personen – Kellner, Barmänner, Ranger etc. Die weiße Vorherrschaft auch im heutigen Afrika wird von Anderson wie von seinem Autor offensichtlich als ganz selbstverständlich angenommen.)

Und dann ist da noch etwas anderes: Eglunds Sprache, sein Stil. Der Autor liebt Adjektive. Praktisch jedes vorkommende Substantiv wird mit einem Adjektiv präzisiert. Es ist, wie wenn Eglund der Phantasie seines Publikums nichts zutrauen würde. Und wenn’s dann mal keine Adjektive zu Substantiven sind, dann präzisiert er halt seine Verben mit Adverbien. Und bei den Verben scheint es sowieso sein Motto zu sein, von drei mehr oder weniger passenden das unpassendste und am meisten preziöse zu verwenden. Kitsch.

Als Beispiel möge der allererste Abschnitt des Buchs dienen. Der allererste deshalb, weil er mir gleich zu Beginn einen ziemlichen Schrecken eingeflößt hat.

Heiß zitterte die Luft. Feinster Staub mischte sich in den dunstigen Hauch, der von Westen über die karstige Ebene zwischen dem Krater des Ngorongoro und der Serengeti trieb. Wie weißes Porzellan glänzte der Himmel und um die blassgrüne Caldera des erloschenen Vulkans ballten sich drohende Wolken. Stumm teilte ein Blitz den Horizont. An den saftigen Hängen des Ngorongoro regnete es bereits, doch die benachbarte Hochebene weiter nordwestlich lag unberührt und verdorrt. Tief fiel das Plateau in eine schmale Schlucht ab, deren trockene Sohle rötlich schimmerte. Das war Olduvai, der Riss am Fuße des Kraters, und die Luft war schwanger von heißer, erbarmungsloser Elektrizität.

Ich hätte aus Lokalpatriotismus gerne etwas anderes gesagt, denn es handelt sich hier um Buch aus einem Kleinverlag, der quasi bei mir um die Ecke zu Hause ist. Aber der Autor wollte ganz eindeutig zu viel in seinen Roman packen, zu viel Disparates, und so ist mein Fazit absolut keine Leseempfehlung. Daran ändern auch die Zitate nichts, mit denen Eglund seine Großabschnitte einführt. Es handelt sich dabei um Ausschnitte aus Gedichten von Blake, Coleridge oder John Donne. Ja, es ist der berühmte Satz, der da mit Kein Mensch ist eine Insel anfängt – allerdings zitiert Eglund aus diesem Vers nur den ersten Teil; die unmittelbare Fortsetzung, in der Donne dann vom Tod spricht, davon, dass der Tod eines jeden mich ganz persönlich anzugehen hat, weil ich als Mensch nicht weiß, nicht zu wissen brauche, für wen das Totenglöcklein bimmelt, wem die Stunde schlägt, weil sie immer für mich schlägt. Diese Fortsetzung fügte sich offenbar bedeutend weniger in Eglunds Konzept. Aber Johannes Mario Simmel passt nicht schlecht zu unserem Autor hier. Besser als Hemingway, obwohl der US-Amerikaner mehr über Afrika geschrieben hat als der Österreicher.


H. S. Eglund: Nomaden von Laetoli. Niederhasli: Vicon-Verlag, 2021

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