Mark Twain: Reise durch die Alte Welt [The Innocents Abroad]

Samuel Langhorne Clemens war in den USA bereits ein literarischer Star, der unter anderem mit satirisch-komischen Berichten über seine Fahrten in den USA bekannt geworden war, als ihn die Zeitung Daily Alta California 1867 als Sonderkorrespondenten mit dem Schaufelraddampfer Quacker City (schon damals nicht mehr der Jüngste) auf eine speziell einberufene Gesellschaftsfahrt schickte. Heute würden wir von einer ‚Mittelmeer-Kreuzschifffahrt‘ reden – damals gab es diesen Begriff noch nicht. Man erwartete von Clemens ähnlich komische Berichte, wie er sie schon über seine Reisen in den USA veröffentlicht hatte. Und Clemens (der später als ‚Mark Twain‘ weltberühmt werden sollte) lieferte.

Im Original hieß das aus diesen Berichten entstandene Buch dann The Innocents Abroad, was in den deutschen Übersetzungen meist als Die Arglosen im Ausland oder so ähnlich wiedergegeben wird. Warum der nicht genannte Übersetzer meiner Ausgabe den Titel mit Reise durch die Alte Welt gibt, weiß ich nicht. Aber er hat so Unrecht nicht. Zum einen ist Clemens ja nicht einfach im Ausland unterwegs, sondern eben im Mittelmeer – also in dem Teil der Erde, den man oft ‚die alte Welt‘ nennen hört. Zum andern ist es genau dieser Gegensatz zwischen der alten und der neuen Welt (also den USA), den Clemens immer wieder evoziert. Meist nicht explizit, aber sein Humor beruht in vielen Fällen darauf, dass er etwas komisch findet und sich darüber lustig macht, das in der alten Welt halt eben anders geregelt ist als in seiner Heimat Missouri. Manchmal lobt er auch Dinge, zum Beispiel den sehr ruhig und geregelt ablaufenden Eisenbahnverkehr in Frankreich.

Im Übrigen reist er nicht nur mit Kreuzschifffahrt-Touristen (die meist ein Stück älter sind als er, der damals 32-Jährige), er benimmt sich auch wie einer. Genauer gesagt: Er benimmt sich wie einer, der sich benehmen will wie einer, der sich eben nicht so benimmt wie einer, und den Umstand, dass er sich halt doch so benimmt, zu kaschieren versucht, indem er sich über den typischen Touristen und den typischen Einheimischen lustig macht. Er spaziert mit der Zigarre im Mund durch die Straßen Italiens oder Palästinas – und kann sein Entsetzen darüber, dass man dem reichen Touristen nachläuft und auch gern so eine Zigarre hätte, nur mühsam hinter scherzhaft gemeinten Ausdrücken verstecken. Und wenn er an der Weltausstellung in Paris zufällig Napoléon III. in einer Halle entdeckt, schwärmt er wie ein Fan-Boy der Gegenwart von ihm. Hinter die dekorativen Kulissen des Zweiten Kaiserreichs zu blicken, war ihm nicht gegeben. Sehr hochnäsig und unhöflich benimmt er sich gegenüber seinen Reiseführern. Sie wissen – wenn wir seinen Schilderungen glauben sollen – prinzipiell nichts, versuchen aber ebenso prinzipiell, den Touristen übers Ohr zu hauen. Nun, einen, der alle Reiseführer – egal in welcher Stadt, egal welchen Aussehens – prinzipiell Ferguson nennt, weil er zu faul und zu wenig interessiert ist, sich den richtigen Namen zu merken: So einen würde auch ich nach Möglichkeit zu schröpfen suchen …

Ansonsten ist die Reiseroute – für die Clemens nun allerdings nichts kann: er muss dorthin, wo alle anderen hinwollen – ist die Reiseroute also typisch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Baedeker könnte sie entworfen haben:

Start in New York. Zwischenhalt auf den Azoren (von denen er schwärmt). Dann Gibraltar. Marokko. Frankreich, wo Clemens den Dampfer kurzzeitig verließ und mit der Bahn von Marseille (das ihm nicht gefiel) nach Paris an die Weltausstellung fuhr (s. oben). In Italien: Genua, Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel (mit allen Kirchen und Museen, die ‚man gesehen haben muss‘). In Athen dürfen sie nicht an Land, weil das Schiff wegen der herrschenden Cholera unter Quarantäne gesetzt ist; ein paar Wagemutige (darunter Clemens) schmuggeln sich aber doch auf die Akropolis. Konstantinopel (wo Clemens das Osmanische Reich schlecht macht). Ein Abstecher ins Schwarze Meer bis nach Jalta. Dann Beirut, Damaskus, Jerusalem, Kairo – das Heilige Land war für eine Expedition christlicher US-Amerikaner natürlich ein obligatorischer Punkt auf der Reiseroute; Clemens hält sich dementsprechend zurück und äußert kaum Kritik an den merkwürdigen Sehenswürdigkeiten, die die Frömmigkeit über Jahrhunderte dort aufgebaut hatte – einzig die riesige Zahl an Reliquien, die es (so Clemens) erlaubt hätten, den einen oder anderen Apostel auch zwei oder drei Mal zu rekonstruieren, weckt seinen Spott.

Zwischendurch packt unseren Autor auch der literarische Ehrgeiz. An Hand ihrer Grabstätte auf dem Friedhof Père Lachaise erzählt er die Geschichte von Heloisa und Abaelard nach (muss allerdings aus Dezenz die Bestrafung umschreiben, die Heloisas Vater dem Räuber der Ehre seiner Tochter angedeihen lässt – was dann nun wieder (unfreiwillig) komisch und das Beste der ganzen Erzählung ist). Gerade noch, dass er sich enthalten kann, anlässlich seines Besuchs von Château d’If sämtliche dort handelnden Räuberpistolen von Dumas dem Älteren nachzuerzählen.

Summa summarum: Wir finden ein paar schöne Vignetten, vor allem in den Beschreibungen seiner US-amerikanischen Mitreisenden. Wir finden aber auch viel Herablassung und krampfhafte Versuche, komisch zu sein. Clemens stand hier noch am Anfang seiner Karriere – er sollte es später besser können.

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