Ifni heißt eine Region Afrikas, zu finden an der westafrikanischen Atlantikküste auf der Höhe der Kanarischen Inseln, südlich von Agadir. Heute Teil des Staates Marokko, war Ifni mit Unterbrechungen seit 1476 spanische Kolonie. Zuletzt war Ifni bei einer Aufteilung Marokkos unter Frankreich und Spanien in einem Vertrag von 1860 wieder offiziell spanische Kolonie geworden. Es war dann zu Beginn der 1930er, also bereits zur Zeit der kurzlebigen (Zweiten) Spanischen Republik, als Manuel Chaves Nogales über Ifni berichtete. Er fasste die Geschichte der Kolonie Ifni folgendermaßen zusammen:
Schon seit mehr als vier Jahrhunderten erheben wir Spanier Anspruch auf das Territorium von Ifni. Aber in all dieser Zeit ist es uns nie in den Sinn gekommen, diesen geltend zu machen. Denn Spanien, die vornehme Dame, war mit breiteren kolonialen Unternehmungen beschäftigt und verschmähte diesen schmalen Streifen am Rande der Sahara wie eines der wertvollen Dinge, die, ausrangiert, auf den Dachböden reicher Häuser von Motten zerfressen werden. Doch unser koloniales Imperium ist untergegangen. Wie die Monarchie, die es ersann, verwirklichte und wieder verspielte. Und die Republik, dieses aufrechte Geschlecht der Mittelklasse, die sich den Luxus vergangener Kostbarkeiten auf dem Dachboden nicht leisten kann, findet nun diesen kolonialen Überrest, pustet den Staub herunter, und fragt sich: Können meine Kinder etwas damit anfangen?
Jedenfalls machte die Republik den Versuch, Ifni nicht nur nominell, sondern auch reraliter als Kolonie zu behalten. Es wurden Soldaten hingeschickt – nicht allzu viele, das konnte sich der arme Staat nicht leisten. Über diese Bestrebungen Spaniens aber, sich die Kolonie Ifni zu erhalten, berichtete Anfang der 1930er der Journalist Manuel Chaves Nogales in der Zeitschrift AHORA, deren Vizedirektor er damals war. Chaves war ein strammer Republikaner, was ihm das Exil in Paris eintrug, als Franco seine Diktatur errichtete. Sein Name wurde unter dem Caudillo tot geschwiegen und wird erst jetzt langsam wieder entdeckt.
Das vorliegende Buch enthält alle Berichte, die Chaves in der AHORA veröffentlichte – unterteilt in drei Abschnitte.
Im ersten Abschnitt untersucht Chaves das in Spanien kursierende Gerücht, bei der letzten spanischen Militärexkursion in Ifna seien 300 Militärs, vom einfachen Soldaten bis zum General, in die Hände aufständischer Berber geraten. Chaves hält das Gerücht für falsch und beweist das mit verschiedenen Mitteln. Einerseits gelingt es ihm die Zahl der angeblichen Augenzeugen auf eine einzige Person zu reduzieren – und die ist aus verschiedenen Gründen wenig glaubwürdig. Außerdem weist er darauf hin, dass es wenig stimmig wäre, wenn ein armer Berberstamm am Rand der Wüste über Jahre hinweg 300 Gefangene herum schleppen würde, die er zusätzlich zu den eigenen Leuten zu ernähren hätte. Sollten – so Chaves – tatsächlich 300 Mann in Gefangenschaft der Rebellen sein, so wäre es in deren ureigenstem Interesse, so rasch wie möglich ein Lösegeld zu erhalten. Wir sehen: Fake News gab es schon vor 100 Jahren.
Der mittlere und größte Abschnitt dieses Buchs schildert dann, wie Chaves die spanischen Truppen begleitet, die Spaniens Herrschaft über Ifni festigen sollen. Einerseits tut er dies, um mehr über jene 300 Gefangenen zu erfahren, andererseits (und dieser Aspekt nimmt im Laufe der Berichterstattung immer mehr zu), um diese Militärexkursion zu dokumentieren. Chaves konnte regelmäßig von Ifni nach Spanien rapportieren. Diese Berichte sind in elegantem Stil geschrieben, unaufgeregt und vor allem hält sich Chaves als Person größtenteils aus seinen Berichten heraus. So stelle ich mir guten Journalismus vor. (Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass Chaves offenbar die Berechtigung Spaniens, jene westafrikanischen Berberstämme zu unterwerfen, in keiner Sekunde anzweifelt. Auch dass die Männer der befreundeten Stämme eingezogen und zu einer Art einheimischer Milizarmee gedrillt werden, ist für ihn offenbar das Normalste der Welt.)
Einzig im dritten Teil, einer Art abschließender Analyse der Exkursion, scheinen bei ihm Zweifel durch – weniger allerdings am Kolonialismus als solchem, aber an der Sinnhaftigkeit, diesen kahlen Fleck Land, der ökonomisch keinen Wert hat, ja, der im Gegenteil (das sieht Chaves voraus) für den Rest seiner Existenz als spanische Kolonie von den Kanarischen Inseln aus ernährt werden muss, ohne eine andere Gegenleistung erbringen zu können als der, an Stelle des französischen Agadir als Zwischenlandungsplatz für die Flugzeuge von Spanien zu eben diesen Kanarischen Inseln zu dienen.
Alles in allem: Journalismus vom Feinsten – ein Lesevergnügen.
Manuel Chaves Nogales: Ifni, Spaniens letztes koloniale Abenteuer. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Frank Henseleit. Köln: Kupido-Verlag, 2021.
Das Buch ist Teil einer geplanten Werkausgabe auf Deutsch (14 Bände in 16 Büchern). Diese Werkausgabe ist unterteilt in Abteilung 1: Reportagen & Journale und Abteilung 2: Das erzählerische Werk. Genauer ist es Band 2 der Reportagen & Journale und der erste überhaupt erschienene Band dieser Werkausgabe. (So reizvoll ich es mir vorstelle, diese Werkausgabe zu verfolgen: Ich werde mir das Vergnügen verkneifen müssen – zu viel anderes steht an, zu wenig Zeit, die mir dafür bleibt.)
Schön gestaltet ist diese Ausgabe jedenfalls: Halbleinen mit Fadenheftung und Lesebändchen, großzügiger Satzspiegel, die Texte untermischt mit Reproduktionen der Original-Artikel bzw. -Fotos.
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.