Maurice Leblanc: Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner

Arsène Lupin ist im französischen Sprachraum was man gemeinhin eine Kultfigur nennt; im deutschen ist er zwar auch kein ganz Unbekannter, aber er nimmt doch eine eher untergeordnete Stellung in unserem Pantheon der großen Figuren der Kriminalliteratur ein. Das liegt wohl daran, dass, was an der Wurzel der Geschichten um Arsène Lupin liegt, im deutschen Sprachraum keine Rolle spielt: Einerseits lässt uns die jahrhundertealte Rivalität zwischen England und Frankreich eher kalt; andererseits ist die gallische Liebe zur subtilen Subversion, ja zum Anarchismus, beim Germanen bedeutend weniger entwickelt.

Dies aber – die Rivalität Frankreichs mit England und der subversive Charakter eines Anarchisten – sind die Ursprünge der Figur Arsèn Lupin. Denn zum einen wurde Lupin ganz bewusst als direkter Kontrahent und Pastiche des englischen Detektivs Sherlock Holmes kreiert. Die beiden gleichen sich in vielem. Wie Holmes verfügt Lupin über einen analytischen Scharfsinn, mit dem er seine Umgebung immer wieder verblüfft und beherrscht. Wie Holmes ist er Meister verschiedener Kampfsportarten, wie Holmes ist er Meister der Verkleidung und Verstellung. Anders als Holmes setzt er seine Fähigkeiten aber nicht ein, um Recht und Ordnung zur Geltung zu verhelfen. Hierin eher Robin Hood gleichend, verbringt er sein Leben damit, den Reichen zu nehmen – ohne allerdings das Genommene den Armen zu geben. Das behält er lieber selber. Auch ist Lupin gegenüber weiblichen Reizen nicht so unempfindlich wie der offenbar völlig asexuelle Holmes.

Das andere Vorbild Lupins könnte – auch wenn Maurice Leblanc dies immer bestritt – der französische Anarchist und Volksheld Alexandre (alias Marius) Jacob gewesen sein. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Jacob kam schon früh in anarchistische Kreise und wurde gar zum ‚Illegalisten‘ – einem Anhänger jener anarchistischen Richtung, die auch illegale Aktionen wie Raub und Diebstahl als zulässige revolutionäre Mittel betrachtete. Jacob wurde zu einem genialen Einbrecher und Verkleidungs- und Verstellungskünstler. Dazu verfügte er über einen ausgeprägten Sinn für Humor und konnte sich seinen Opfern gegenüber auch recht großzügig zeigen – alles Charakterzüge, die auch Arsène Lupin aufweist. Und beiden ist auch eigen, dass sie sehr ungern (wenn überhaupt) Blut vergossen. Sie arbeiteten mit Köpfchen, nicht mit Muskelkraft oder Schießeisen. Dies machte sie, den einen in der Realität, den andern in der Fiktion, zu gallischen Volkshelden. (Diese Liebe zur Subversion ist ja auch einer der Gründe, warum die Geschichten um Asterix und Obelix so rasch so berühmt geworden sind.)

Lupin führt die Polizei mit stupendem Geschick an der Nase herum. Selbst aus dem Gefängnis organisiert er noch Einbrüche. Und als die Polizei glaubt, ihm auf die Schliche gekommen zu sein, weil ein Wärter zufällig gesehen hat, wie er in seiner Zelle etwas in die Schublade seines Tisches zurückgeworfen hat – die Polizei hat regelmäßig alle Wände, Decke und Boden nach Ritzen abgesucht, in denen Lupin etwas versteckt haben könnte, aber das Offensichtliche, den Tisch, als allzu offensichtlich nie untersucht (Leblanc kannte auch seinen Edgar Allan Poe!) – als die Polizei also den Inhalt der Schublade untersucht und dabei auf eine Zigarre stößt, glaubt sie Lupin auf die Schliche gekommen zu sein. Denn als der Inspektor die Zigarre an sein Ohr hält und sie mit sanftem Druck in seinen Fingern kreisen lässt, weil man so die Qualität einer Zigarre eruieren könne (Kann man das? Ich habe nie davon gehört und es nie so gemacht), da zerbröselt das Ding und in seinem Inneren findet sich ein Behälter mit einem Fluchtplan. Die Polizei beschließt, schlau zu sein, den Fluchtplan wieder in eine gleich präparierte Zigarre zurück zu stecken und Lupin zu verfolgen, wenn er nach ausgeführter Flucht zu seiner Bande zurück kehrt. Alles läuft bestens für die Polizei, bis Lupin, soeben in Freiheit gekommen, schnurstracks zum Gefängnis zurück geht und sich wieder selber einliefert. Es war die ganze Zeit von ihm geplant, dass ihm die Polizei auf die Schliche kommen sollte und das Ganze war ein riesiger Scherz Lupins. (Er würde am Ende der Geschichte dann schon aus dem Gefängnis entkommen – aber auf eine ganz andere Weise.)

Man sieht: Anders als die Geschichten um Sherlock Holmes, der als pedantischer Besserwisser und Sonderling angelegt ist, kaum Humor hat, sind Leblancs Erzählungen von Arsène Lupin witzig und spannend zugleich. Ja, Leblanc scheut sich auch nicht, Holmes direkt mit Lupin zu konfrontieren. Im vorliegenden Buch (das die frühesten Geschichten um Arsène Lupin enthält) ist das vor allem die neunte und letzte Geschichte, Herlock Sholmes kommt zu spät. Nein, der Name des englischen Detektivs ist nicht verschrieben. Nachdem Leblanc in der Erstveröffentlichung der Kurzgeschichte in einer Zeitschrift noch Sherlock Holmes verwendet hatte, musste er für die Buchveröffentlichung aus urheberrechtlichen Gründen den Namen verfremden und verwendete von da an immer die Form Herlock Sholmes (manchmal auch Sholmès geschrieben), wenn der englische Detektiv auftrat. In der vorliegenden Geschichte endet das Duell der beiden Meister-Analytiker in einer Patt-Situation – mit leichtem Vorteil für Lupin.

Arsène Lupin ist sicherlich keine „große“ Literatur. Aber die Figuren sind voller Witz und die Geschichten spannend. Eine ideale Lektüre für ein düsteres November-Wochenende (denn länger als zwei Tage wird man daran nicht zu lesen haben).


Gelesen in folgender Ausgabe:

Maurice Leblanc: Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner. Übersetzt von Martin Barkawitz nach der englischen Ausgabe, aber (der Verlag scheint dann doch etwas kalte Füsse bekommen zu haben ob dieser heute verpönten Gewohnheit früherer Zeiten, nicht aus dem Original, sondern aus einer Übersetzung zu übertragen) neu durchgesehen und überarbeitet unter Einbeziehung der französischen Originalausgabe Arsène Lupin, Gentleman Cambrioleur von 1907. Frankfurt/M, Wien, Zürich: Büchergilde, 2021.

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