Adelheid Duvanel: Fern von hier

Adelheid Duvanel (1936-1996) war zu Lebzeiten zwar keine ganz unbekannte Autorin. Sie hatte beim renommierten Luchterhand-Verlag drei Bände mit Erzählungen publiziert, und ein vierter sollte 1997 noch postum erscheinen. An diesen Verlag vermittelt worden war sie von keinem geringeren als von Otto F. Walter. Nicht ganz unbekannt also, aber so richtig bekannt nun auch wieder nicht. Selbst literarisch Interessierte wie meine Wenigkeit hatten damals nicht von ihr gehört – oder wenn, dann so flüchtig und nebenbei, dass der Name nicht hängen blieb. Das vorliegende Buch, das sämtliche von ihr veröffentlichten Erzählungen enthält – die vier Luchterhand-Bände, danach alle in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlichten Einzelerzählungen, die Duvanel nicht mehr in ihre Erzählbände aufgenommen hatte –, soll auf die Vergessene wieder aufmerksam machen, ihr den Platz im Literatur-Parnass zuweisen helfen, den sie nach Ansicht der Herausgeberinnen verdient hätte. (Nehmen wir es vorweg: Ja, sie hat dort einen Platz verdient – einen besseren jedenfalls, als sie aktuell einnimmt.)

Dass sie dies zu Lebzeiten nicht schaffte, hängt wohl weniger von der Qualität ihres Schreibens als solcher ab, sondern von den äußeren Umständen, die auf ihre innere Befindlichkeit trafen. Da ist schon der Umstand, dass Duvanel praktisch nur mit Kurzgeschichten an die Öffentlichkeit trat. Mit Kürzestgeschichten gar – keine Geschichte umfasst mehr als fünf Seiten, manche knapp eine halbe. Mehr noch als mit Lyrik, die immerhin im Publikum den Ruf des Exquisiten und Erhabenen hat, ist es schwierig, mit Kurzgeschichten bekannt zu werden – lange, dicke Romane werden vom ‘normalen’ Publikum ebenso vorgezogen wie von der Literaturkritik und -wissenschaft. Dazu kommt ihre Sprache, die immer wieder mit der von Robert Walser verglichen wird. Das stimmt auch, wenigstens für ihre ersten Erzählbände aus den 1980ern. Der bewusste Gebrauch einer vermeintlich einfachen Sprache und die Verwendung von Helvetismen (zum Beispiel schreibt sie immer Kasten für „Schrank“) sind beiden eigen. Ebenso der Umstand, dass hinter dieser vermeintlich einfachen Sprache Abgründe auch an Ironie und Satire sich auftun. Ihre verschiedenen Schilderungen, wie Figuren ihren Psychiater aufsuchen, sind Satire vom Feinsten; und wenn von einer Protagonistin gesagt wird, sie kenne niemand, und es im nächsten Satz heißt, im Bett im Nachbarzimmer schlafe ihre Freundin, wird mit subtiler Ironie die Einsamkeit der Protagonistin erhellt, weil der nächstfolgende Satz enthüllt, dass es sich bei der Freundin um – das Cello handelt, das die junge Frau als Mädchen gespielt hat. Sie spielt schon lange nicht mehr Cello; sie hat es aber nun zu ihrer Freundin gemacht, mit der sie regelmäßig spricht. In ihren späteren Werken bewegt sich Adelheid Duvanel stilistisch etwas von Walser hinweg, ich bin versucht zu sagen, zu jenem anderen Robert der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin: Musil. Oder auch Richtung Kafka. (Teilweise klingt auch der ganz frühe Böll an – der mit den Kurzgeschichten um Dr. Murkes gesammeltes Schweigen.)

Duvanel hatte eine Zeitlang intensiv die französischen Existenzialisten gelesen. Davon merkt man in ihren Erzählungen allerdings wenig. Ihre Gestalten sind nicht welche, bei denen man sagen könnte, dass ihr Leben gleichbedeutend mit ihrer Existenz sei. Sie sind beschädigt worden, haben sich von dieser Welt sozusagen verabschiedet und leben nun in einer eigenen. Das erinnert – auch wegen der Kürze der Texte – ein wenig an Hemingway. Nur war es dort eine ganze Generation, die beschädigt wurde und sich verlor. Und wenn man von Hemingways Protagonisten sagen kann, dass sie zwar existieren, aber kein Leben haben (oder wenn, dann nur ein kurzes, dafür ein glückliches), so gilt für Duvanels Figuren das Umgekehrte: Sie haben keine Existenz, aber viele haben ein Leben außerhalb dieser Welt – fern von hier. Dieses Leben ist manchmal sogar ein wenig glücklich – aber nicht immer. Viele Figuren Duvanels suchen den Ausweg daraus im Selbstmord. Andere sterben bei Unfällen. In den Geschichten der 1990er sind dann viele dieser AußenseiterInnen Drogenabhängige.

Duvanels Personen sind aus Sicht der Welt an eben dieser zerbrochen. In vielen Fällen kann man das, so man will, auf ein zerrüttetes Elternhaus der Figuren zurückführen. Vor allem die Väter glänzen in vielen Fällen durch Abwesenheit – physisch und / oder emotional. So sind viele Geschichten welche von enttäuschter Liebe – Liebe nicht nur zwischen Mann und Frau, auch zwischen Eltern und Kindern, sogar zwischen Pflege- und Stiefvätern und ihren Schützlingen. (Nein, nichts Verbotenes!) Die Schule trägt ebenfalls Schuld am Scheitern der Personen Duvanels im ‘richtigen Leben’. Oft sind es religiös motivierte, bigotte Erziehende, die die Emotionen der ProtagonistInnen bei Duvanel zerstören. Diese ProtagonistInnen können Männer sein oder Frauen, Mädchen oder Knaben.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt so eine Thematik als überholt. Man hatte dafür seinen Kafka, der viel spannender war, oder seinen Walser, den man gerade eben entdeckte. Dass hinter der vermeintlichen Eintönigkeit in Sprache und Themenwahl bei Duvanel viel mehr steckt, als hinter den meisten Geschichten, die die 1980er oder 1990er erzählten, kann man vielleicht erst heute goûtieren. Ich hoffe es jedenfalls für diese Autorin. Sie hätte einen bessern Platz im Literatur-Parnass wahrlich verdient.


Adelheid Duvanel: Fern von hier. Sämtliche Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Elsbeth Dangel-Pelloquin unter Mitwirkung und mit einem Essay von Friederike Kretzen. Zürich: Limmat Verlag, 32021.

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