Wer von diesem schmalen Büchlein (134 Seiten alles in allem) eine ‚Einführung in die Philosophie‘ erwartet, in dem Sinne, dass zum Beispiel philosophische Begriffe erklärt würden oder philosophische Schulen oder auch nur, was ‚Philosophie‘ überhaupt sei, wird enttäuscht. Für solches verweist Zorn auf das Historische Wörterbuch der Philosophie bzw. den Grundriss der Geschichte der Philosophie. (Man ersieht daraus leicht: Auch wenn Daniel-Pascal Zorn in seiner Einleitung meint, das vorliegende schmale Büchlein könnte auch dem Liebhaber – also: Amateur! – der Philosophie von Nutzen sein, besteht doch sein Zielpublikum eindeutig aus beginnenden Studierenden der Philosophie an einer Universität. Denn in den meisten Fällen werden nur diese problemlosen Zugriff solche mehrbändige Standardwerke in ihrer neuesten Version haben.)
Die Studierenden nun lehrt das Büchlein nicht mit Wörtern oder Begriffen um sich werfen – im Gegenteil. Es will sie lehren, dass gerade dies nicht Philosophie ist. Stark verkürzt zusammengefasst ist Philosophie für Zorn das voraussetzungslose und ergebnisoffene Fragen nach den Grundlagen verwendeter Begriffe – das Paradebeispiel dafür ist der immer wieder erwähnte Sokrates bei Plato (dem frühen Plato wohlgemerkt!). Nicht das Jonglieren von Begriffen will Zorn also lehren, sondern er zeigt Techniken auf und Strategien, wie Studierende ‚philosophisch‘ an einen Text herangehen sollen / können.
Nachdem er sich zu Beginn des Buchs noch ein wenig über die Verschlechterung der Qualität des Philosophiestudiums dank der Bologna-Reform ausgelassen hat, setzt Zorn dann ein, indem er die notwendigen Techniken in drei verschiedenen Teilen des philosophischen Arbeitens darstellt: der Lektüre, des Gesprächs und des Schreibens. Davon wird dem Amateur, der Amatrice, wohl der erste Teil der wertvollste sein, wo Zorn verschiedene praktische Tipps gibt, wie an einen (philosophischen) Text herangegangen werden kann / muss. (Wenn ich gerade ‚philosophisch‘ in Klammern gesetzt habe, dann darum, weil – mutatis mutandis, und es muss sehr wenig mutatis werden – diese Art von sorgfältiger und ergebnisoffener Lektüre im Grunde genommen für alle Geistes- und Sozialwissenschaften gilt, wo die Studierenden sich mit Texten von Vorgängern herumschlagen müssen / dürfen, und ebenso für die Lektüre eines literarischen Werks, das ein wenig mehr Aufmerksamkeit erfordert als das neueste Heft vom Bahnhofskiosk.) Da sind Tipps und Tricks dabei, die ich durchaus auch empfehlen möchte. Ganz besonders aber den, dass man keine Angst haben soll vor dem so genannten Hauptwerk eines Philosophen. Im Gegenteil: Gerade dieses, sorgfältig und kritisch gelesen, ist nach Zorn empfehlenswerter als nachrangige Werke desselben Philosophen oder gar als Sekundärliteratur. Man lernt letzten Endes mehr dabei – über den Primärtext und dessen Autor, aber auch über sich selber und die eigenen, oft uneingestandenen Vor-Urteile.
Teil II, Philosophisches Gespräch, betrifft den Amateur, die Amatrice, weniger. Allenfalls, wenn sie sich (z.B. auf Twitter) in eine philosophische Diskussion einlassen. (Eine solche Diskussion war auch der Ausgangspunkt meiner Beschäftigung mit diesem Büchlein, da es von einem der Diskutanten, nämlich Zorn selber, empfohlen worden war, wenn man wissen möchte, wie Philosoph:innen von Philosophendarsteller:innen unterschieden werden könnten. Welcher Philosophendarsteller gemeint war, spielt hier keine Rolle. Es gibt meiner Meinung nach im deutschen Sprachraum nur zwei oder drei, die bekannt genug sind, um für eine Diskussion auf Twitter in Frage zu kommen.) Viele Tipps, die Zorn in diesem Teil des Buchs gibt, wird übrigens auch ein:e Kommunikationsberater:in einer jeden Person geben, die in Verkauf oder Support direkten Kundenkontakt hat.
Zum Schluss der dritte Teil, das Schreiben, ist noch mehr auf die Situation der Studierenden ausgerichtet, die ihre (erste) Hausarbeit schreiben, obwohl natürlich theoretisch der eine oder andere Tipp auch fürs untere oder mittlere Management brauchbar wären, wenn es darum geht, ein bestimmtes Problem oder eine bestimmte Strategie vorzustellen. Auch hier hat Zorn natürlich bei weitem nicht alle seine Ratschläge selber er- bzw. gefunden – selbst wenn dies schwierig herauszufinden ist, weil (ganz entgegen seinen eigenen Tipps zum Erstellen einer Hausarbeit!) kein Literaturverzeichnis angehängt ist. Was er aber zum Beispiel dazu schreibt, wie man sich über ein Problem klarer werden kann (nämlich, indem man mit jemandem darüber diskutiert), hat schon Heinrich von Kleist ganz ähnlich in seinem Essay Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden festgehalten und findet sein Pendant auch im Prinzip des Quietscheentchen-Debugging, das die Programmierer kennen.
Damit will ich Zorns Arbeit nicht schlecht machen, im Gegenteil. Es ist nicht nur in seiner hoch konzentrierten Form ein gutes (technisches – nicht philosophisches!) Hilfsmittel zum Verstehen komplexer Texte, zu einer echten (weil ergebnisoffenen) Diskussion und für das Abfassen eigener theoretischer Texte. All dies auch außerhalb der Philosophie – auch wenn in dieser natürlich komplexe und abstrakte Texte im Überfluss vorhanden sind und deshalb Zorns drei Punkte in ihr eine speziell große Rolle spielen. Zorn vertritt in diesem Buch, ganz versteckt, aber doch, eine klassische philosophische Position. Der Schlusssatz des Nachworts verrät diese sofort. Nach einem Aufruf, die philosophische Tradition nicht einschlafen zu lassen und sich immer noch und immer wieder mit – auch alten – philosophischen Texten auseinanderzusetzen, lautet der nämlich: Je mehr Mut, desto mehr Mut – je mehr Licht, desto mehr Licht. Und das Licht gewinnt. Möge die Macht mit uns sein.
PS. Man nehme vorliegendes kleines Aperçu nicht zum Maßstab der Qualität der im Buch erteilten Ratschläge – ich habe es ohne deren Berücksichtigung verfasst.
Daniel-Pascal Zorn: Einführung in die Philosophie. Frankfurt/M: Klostermann, 2018. (= Rote Reihe 100)