H. G. Wells: The Island of Doctor Moreau

Vor etwas mehr als drei Jahren hat mein Kollege scheichsbeutel das Buch hier schon einmal vorgestellt und ist dabei auch auf das (heute – hoffentlich – immer seltsamer wirkende) Bild des Tiers als einer Art Verkörperung des Bösen (im Menschen?) eingegangen, ebenso auf Wells‘ Rassismus und seinen Sozialdarwinismus, der Darwins Evolutionstheorie auf den Kampf aller gegen alle reduzierte. Dazu will ich dann auch nichts mehr sagen; ich gehe darin völlig mit scheichsbeutel konform. Auch wenn es darum geht, den Schluss, den viele aus dem Roman (explizit oder implizit) ziehen, nämlich dass die Wissenschaft an sich ein Übel ist, und als solche bekämpft werden müsse, was scheichsbeutel dort kritisiert, kann ich meinem Kollegen nur zustimmen. Es ist dieselbe Interpretation, die solche Wissenschaftskritiker Wells angedeihen lassen, die man auch zu Mary Shelleys Frankenstein lesen und hören kann.

In beiden Fällen ist es aber nicht ganz so einfach, wie das die Wissenschaftskritiker haben möchten. Wohl sind beide Wissenschaftler, Frankenstein wie Moreau, Beispiele eines wissenschaftlichen Genies, das in seiner Hybris Grenzen überschreitet, die die bürgerliche Moral gesetzt hat. Frankenstein allerdings, hierin echter Romantiker, verwirft das Resultat seiner Arbeit – aus ästhetischen Gründen. Dr. Moreaus Gestalten sind vielleicht noch hässlicher als Frankensteins Monster, aber Dr. Moreau kennt keine Gefühle, und schon gar keine ästhetischen. Dass er seine Tiere ohne Narkose operiert, hat wissenschaftliche Gründe; er ist kein Sadist. Dass weder sein Assistent Montgomery noch der auf die Insel verschlagene Schiffbrüchige Premdick die Schmerzensschreie des gerade operierten Puma-Weibchen zu ertragen vermögen, weist dann wieder auf einen gerade einsetzenden Kampf in England hin – den gegen Vivisektion an Tieren. Was heute auch wissenschaftlicher Standard ist, nämlich dass Tieren bei Versuchen an ihnen keinen Schmerz erleiden dürfen, war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch unbekannt, wo Tiere im Gefolge der christlichen Doktrin und der Ansichten des Wissenschaftstheoretikers Descartes nur als biologische Maschinen betrachtet wurden. In diesem Aspekt des Romans finden wir Wells also auf einer, was humanitären Fortschritt betrifft (so es denn dieses gibt), ‚progressiven‘ Seite.

Dass zum Schluss sich Premdick von der Menschheit praktisch völlig zurückzieht, weil ihn jeder Mensch, den er sieht oder auch nur hört, an die Tiermenschen auf Dr. Moreaus Insel erinnert, und er befürchtet, sie würden eines Tages sich zu ebensolchen Wesen ‚zurück‘ entwickeln, ist einerseits falsch verstandener Darwinismus (allerdings eine zu seiner Zeit oft gehörte Theorie – Wells hat diese Furcht nicht erfunden, sein Protagonist treibt sie nur auf die Spitze), andererseits ein äußerst pessimistischer Schluss, der weit über Arthur Schopenhauer hinaus geht. (Der ja bekanntlich nicht nur seine Pudel liebte, sondern ein früher Verfechter des Tierschutzes war.) Wells zeigt hier ein Misstrauen in die Menschheit, das zwar eine falsche wissenschaftliche Begründung hat, aber psychologisch meiner Meinung nach nicht ganz ungerechtfertigt ist.

Im Übrigen hat Wells dieses Buch, wie alle seine frühen Werke, noch so ziemlich ‚aus dem Bauch‘ geschrieben. Die hier geschilderten Ängste und der Horror sind genuin, was das Buch bis heute faszinierend macht. Später sollte er reflektierter schreiben – aber auch langweiliger.

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