Anfangs gelingt das gut: In fiktiven Dialogen (ein gefährlicher Kunstgriff, der häufig in Peinlichkeiten endet, den Law aber souverän meistert) werden die verschiedenen Aspekte des Gottesglaubens erörtert, dann Kantsche Antinomien, Fragen der KI, der Gentechnik oder relativistische Positionen in ihrer Fragwürdigkeit beleuchtet. Im weiteren Verlauf des Buches aber scheint der Autor ein wenig die Freude an seinen Analysen zu verlieren, er argumentiert nachlässig, beschränkt sich auf das Aufzeigen der Problematiken oder aber ignoriert anerkannte Lösungsansätze.
Paradigmatisch dafür ist seine Behandlung der titelgebenden „lügenden Kreter“, ein Paradoxon, das sich relativ leicht aufgrund der unzulässig kombinierten Metaebenen lösen lässt. (In seinem Gefolge erfährt auch das Problem von wahren und falschen Aussagen eine ansprechende Lösung; erstaunlicherweise wird der Name Tarski von Law aber in diesem Zusammenhang noch nicht mal erwähnt.) Russel hatte bereits Frege auf diese Schwierigkeit hingewiesen (in der eigenen Principia Mathematica war er ganz ähnlichen Einwänden ausgesetzt) und sie durch eine Abgrenzung der Metaebenen einer einigermaßen befriedigenden Lösung zugeführt. In der Mengenlehre noch problematisch, sind sprachphilosophisch hingegen kaum Bedenken erhoben worden: Die Aussage „Dieser Satz ist falsch“ ist in ihrer Widersprüchlichkeit einzig schlampig formuliert (weil Objekt- und Metasprache unzulässig vermischend) und nach der Umformulierung in „die Aussage, ‚diese Ausage ist falsch‘ ist falsch“ auf ebensolche Weise unproblematisch wie die Propositionen nach Tarskis Umformulierung in Bezug auf den Wahrheitsgehalt.
Während also in Bezug auf das Lügenparadoxon uns Law Lösungsansätze vorenthält (man kann diese ja durchaus kritisieren und für nicht zielführend ansehen), sind seine Ausführungen bezüglich einer universellen Moral, einem richtig und falsch in ethischen Fragen, noch seltsamer. Er stellt Moral anfangs als eine (inter-)subjektivistische Sicht des Einzelnen bzw. einer Gemeinschaft dar, als die Form eines „Brillen-Modells“, der außerhalb der Gruppe oder des Individuums keinerlei objektive Wahrheit zukäme. So kann es schließlich zu Aussagen der Form „Mord ist gut (oder böse)“ kommen und damit zu richtigen oder falschen Urteilen. Das aber führt Law zu einer durch nichts zu begründenden und höchst abenteuerlichen Schlussfolgerung: „Die Tatsache, dass wir uns individuell und kollektiv irren können, weist darauf hin, dass moralische Eigenschaften doch objektiv vorhanden sind.“
Unser Philosoph scheint sich weder über die Natur noch über Herkunft unserer moralischen Vorstellungen Gedanken gemacht zu haben: Moral hat etwas mit gesellschaftlich (mehr oder weniger) akzeptierten Spielregeln* zu tun, die ganz offenkundig einem historischen Wandel unterliegen und je nach Gesellschaft differieren. Und sie entsteht weitgehend erst über Gemeinschaften, deren Überleben vom Zusammenhalt innerhalb dieser Gemeinschaft abhängig ist. Diese reglementierte Kooperation, die dem einzelnen Verpflichtungen auferlegt und ein allzu egoistisches Handeln zu verhindern sucht, erweist sich für das Überleben der Gruppe als unerlässlich und hat dem Menschen einen enormen evolutionären Vorteil verschafft. (Die Form dieses „Altruismus“ (wenn es denn einer ist) ist keineswegs auf den Menschen beschränkt, er findet sich bei vielen höheren Säugetieren, Vögel etc.: Moral ist keineswegs spezifisch menschlich.) Wie groß die Bedeutung solcher Regularien in einer Gesellschaft ist, lässt sich bei vielen indigenen Völkern an der Höchststrafe bei Fehlverhalten ablesen: Sie besteht im Ausschluss aus derselben, was fast immer einem Todesurteil gleich kommt. In jedem Fall aber sind „richtig“ und „falsch“ in moralischen Fragen keinesfalls mit einer objektiven Wahrheit verknüpft, sondern immer von informellen und/oder festgeschriebenen Regeln abhängig, die recht unterschiedlich ausgestaltet sein können. Dass es bestimmte Vorschriften und Gesetze in fast allen Gesellschaften zu geben scheint (die stets ein zu egoistisches Verhalten zu sanktionieren versuchen), liegt nicht in der Objektivität derselben, sondern schlicht darin, dass sich die Menschen in Neuguinea, Österreich, im Amazonasgebiet, Grönland oder Luxemburg sehr viel weniger unterscheiden als gemeinhin angenommen wird.
Ähnlich zweifelhaft sind Laws Erörterungen in Bezug auf Humes Problem der Induktion oder aber in Bezug auf die Frage nach dem Wissen bzw. der Sicherheit desselben (ohne jetzt ausführlicher darauf eingehen zu wollen; die Willensfreiheit wird auch en passant erörtert, ihre Schwierigkeiten aber nicht analysiert, sondern bestenfalls ad notam genommen). Besonders kurios fand ich die Literaturhinweise am Ende des Kapitels „Was ist Wissen?“ (zumeist werden da einige englische und deutsche Bücher aufgelistet, wobei ich nicht weiß, ob Law selbst für die deutschsprachigen Werke verantwortlich zeichnet), weil man dort nicht etwa eines der zahlreichen Werke von Hans Albert findet, sondern – Jürgen Habermas‘ „Glauben und Wissen“. Ernsthaft? Ausgerechnet Habermas, dessen Ansichten sich gerade in epistemologischer Hinsicht samt und sonders als inhaltsleeres Gewäsch entpuppten und dem von vorgenanntem Albert diese Inhaltsleere penibel nachgewiesen wurde? – Und so wird das vorliegende Buch – je länger je mehr – zu einem Ärgernis, zu einem oberflächlichen Gerede über vermeintliche Paradoxien (derer sieben führt Law in einem abschließenden Kapitel an nebst „Auflösungen“, die selbst an einem philosophischen Stammtisch für Stirnrunzeln sorgen sollten), sodass man das Buch mit Erstaunen und Kopfschütteln über so viel philosophische Einfalt beiseite legt.
*) Im wörtlichen Sinn: Was einer Schachfigur im Rahmen des Spieles an Möglichkeiten zur Verfügung steht, ist von den akzeptierten Regeln abhängig. Diese können sich ändern (und haben es auch im Laufe der Jahrhunderte), sie sind vielleicht in pragmatischer Hinsicht rational und nachvollziehbar (um das Spiel möglichst interessant, kreativ, spannend zu machen), aber kontingent. Niemand käme auf die Idee, das Richtige oder Falsche eines Springerzugs als objektiv wahr in der Welt verankert zu sehen, die „Richtigkeit“ eines Zuges ist von der Kodifizierung abhängig.
Stephen Law: Warum Kreter lügen, wenn sie die Wahrheit sagen und andere Abenteuer der Philosophie. Frankfurt a. M.: Eichborn 2004.