Thomas De Quincey: Confessions of an English Opium-Eater

Rothaariger junger Mann auf einem Sofa liegend. Ausschnitt aus dem Bild "The Death of Chatterton" von Henry Wallis, verwendet als Coverbild meiner Ausgabe.

Gelesen in der für eine Ausgabe seiner Gesammelten Werke 1856 von De Quincey selber tiefgreifend überarbeiteten Version – was, wie sich im Nachhinein herausstellte, ein Fehler war. Als Entschuldigung kann ich nur angeben, dass ich das Buch noch im letzten Jahrtausend auf einem Grabbeltisch einer Buchhandlung in York gefunden habe, zusammen mit einer ganzen Menge anderer Bücher in der Reihe Wordsworth Classics, und dass es damals noch kein mobiles Internet gegeben hat, so, dass ich rasch hätte nachschlagen können, wie viele Versionen es von den Bekenntnissen eines englischen Opiumessers gibt. Ich habe damals dort ein halbes Dutzend oder mehr Bücher dieser Reihe gekauft, welche weiß ich nicht mehr. Ich besitze auch längst nicht mehr alle, aber an einige Romane von Charles Dickens aus seiner mittleren Periode mag ich mich noch gut erinnern. Ich habe mich nämlich bei deren Lektüre später zu Hause gewaltig an Dickens und seiner Sentimentalität überlesen. (Ähnlich ging es mir ein paar Jahre früher mit den Novellen Theodor Storms, die ich auch alle hintereinander las, und die ich seither auch nicht mehr lesen kann, weil in meiner Erinnerung praktisch in jedem Stück eine Sturmflut, eine Katastrophe und eine Liebestragödie stattfindet.)

Und hiermit habe ich bereits genau gleich gesündigt wie De Quincey bei seiner Überarbeitung der Confessions von 1821. Er hat später nämlich sehr stark in die Struktur seiner Erzählung eingegriffen und den eigentlich autobiografischen Teil, die Erzählung von seiner Kindheit und Jugend, ungefähr verdoppelt – leider aber meist nicht mit weiteren autobiografischen Details, sondern mit Exkursionen und Fußnoten zu solch irrelevanten Dingen wie einer Erwähnung der drei besten Gräzisten seiner Zeit (von denen heute, glaube ich, keiner mehr bekannt ist, wenn man sich nicht auf die Geschichte der englischen Gräzistik spezialisiert hat), wo er sich dann des langen und des breiten über die jeweiligen Qualitäten der drei auslässt. Was für den Rest der Erzählung absolut keine Rolle spielt. De Quincey hat eine ursprünglich packende Erzählung verwässert und damit ruiniert. Auch entpuppt sich der Autor in der Version von 1856 als notorischer Besserwisser und Rechthaber. Gleich zu Beginn des Textes fährt er Coleridge an den Karren, und weiß besser als dieser, wie sie beiden dazu gekommen sind, vom Opium abhängig zu werden. Später, wenn er die Geschichte, auf Grund welcher Beschwerden er ursprünglich zu Opium gekommen ist, im Detail berichtet, weiß er gleich auch ganz genau, wie man den jungen Mann mit seinen Magenschmerzen und seiner Gesichtsneuralgie (De Quincey nennt sie im medizinischen Jargon der Zeit „rheumatische Zahnschmerzen“) wirklich hätte behandeln sollen. Nun gebe ich zu, dass das ausgehende 18. Jahrhundert durchaus noch zu jener Epoche gezählt werden muss, in der die statistische Chance, an seiner Krankheit zu sterben, größer war, wenn man sich einem approbierten Arzt anvertraute als dem lokalen Kräuterweiblein. Aber die von ihm (nachträglich!) vorgeschlagene Kur mit Kalomel, die ihn seiner Meinung nach schon als jungen Mann und für immer geheilt hätte, damit seine Karriere als Opium-Esser unnötig gemacht hätte, lässt uns heute die Haare zu Berge stehen: An Stelle von Opium wollte er sich ganz einfach einer Schwermetallvergiftung aussetzen. (Kalomel war der übliche Name für Quecksilber(I)-chlorid, einem Beruhigungsmittel, mit dem man praktisch zur gleichen Zeit, wenn man dem Pharmakologen Rainer Horowski glauben will, Hölderlin derart sediert hatte, dass er den Eindruck eines Blödsinnigen machte.

Allerdings ist zu sagen, dass, hätte man De Quincey behandelt, wie er es vorschlägt, sein Name heute wohl nicht mehr genannt würde. Seine Bekanntheit beruht nicht auf einem extrem aufregenden Lebenswandel oder anderen literarischen Werken. Anders als bei Coleridge (der seinen Opium-Genuss in der Öffentlichkeit zu verbergen suchte) ist das einzig Nennens- und Lesenswerte bei De Quincey dieses eine Werk. Dabei war Opium zu seiner Zeit noch überall frei erhältlich und dessen Konsum wurde nicht kontrolliert. De Quincey nahm es wie die meisten Leute in flüssiger Form ein, als Laudanum, wie man die Opium-Tinktur damals nannte. Während er seinen Konsum zu Beginn noch im Griff hatte, bewirkte eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, dass er von einem wöchentlichen auf einen täglichen Einnahme-Rhythmus wechselte und gleichzeitig die jeweils eingenommene Dosis erhöhte. Es kam, wie es kommen musste (was man damals allerdings noch nicht allgemein wusste): An die Stelle der schmerzstillenden und die intellektuellen Fähigkeiten stimulierenden Wirkungen (um deren letztere Willen ja auch Glauser Opium nahm, wenn er schreiben wollte / musste), trat ein völliger Stillstand in De Quinceys denkerischen Fähigkeiten ein. Er, der vorher die „deutschen Metaphysiker“, wie er sie nannte (und damit Kant meinte, Schelling und Fichte), gelesen und verstanden hatte, verstand nun keine einzige Zeile von Kant mehr. (Wie gut es um sein Verständnis der „deutschen Metaphysiker“ tatsächlich stand, kann ich nicht beurteilen. Nur so viel: Ganz zu Beginn der Version von 1856 spricht er von seiner Liebe zu Kant, Schelling, Richter [den wir heute als Jean Paul kennen] und – Hamann, den er als eine Art zweiten Jean Paul beschreibt und als einen Hofnarren Kants sieht.)

Das Buch endet mit einer Schilderung der Vergnügen, die ihm Opium gegeben hat, gefolgt von einer der Schmerzen, der schlechten Seiten des Opiums. (Wobei er selbst in diesen die Großartigkeit, die der Opium-Rausch für ihn im Normalfall darstellt, nicht verbergen kann.) Denn ein somnolenter Zustand, begleitet von Alpträumen, war das Resultat seine definitiven Missbrauchs.

Dennoch: Über Charles Baudelaire (Les paradis artificiels) ist De Quincey und ist der Gebrauch von Opium als Stimulans bis ins 20. Jahrhundert getragen worden. Und wenn bei Arthur Conan Doyle der Erzähler Dr. Watson über Coleridge zu Jean Paul und Goethe gelangt sein will, so kann das zwar sehr wohl so gewesen sein. Aber beide, Coleridge wie De Quincey, beschäftigten sich eine Zeitlang intensiv mit den „deutschen Metaphysikern“, wie sie De Quincey nannte, und vielleicht war es der Anblick des sich Kokain spritzenden Holmes, der Dr. Watson an De Quinceys Confessions of an English Opium-Eater erinnerte, was er seinem Freund selbstverständlich nicht gestehen wollte, auch weil es bewiesen hätte, dass der Meister der Deduktion einen blinden Fleck gehabt hätte dort, wo er selber als Mensch in einen Fall verwickelt war.

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