Paul Valéry: Poésies

Teil eines Gemäldes mit einer harfespielenden nackten Frau. Man sieht den Kopf und einen Arm. Ausschnitt aus Buchcover.

Paul Valéry war der letzte französische Lyriker, der vom Ertrag seiner Gedichte leben konnte, der letzte europäische Lyriker vielleicht und wohl auch der letzte der Welt. Er war schon zu Lebzeiten nicht nur als Dichter, sondern auch als Denker hochgeachtet, weit über die Grenzen des französischen Sprachraums hinaus. Rilke und Celan übersetzten Texte von ihm ins Deutsche. Dabei gab es einen Punkt in seinem Leben, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, an dem Valéry ganz und gar mit dem Schreiben (von Gedichten) abgeschlossen hatte.

Valéry begann, wie so viele seiner Generation, mit symbolistischen Gedichten. Sein Vorbild, Lehrer und Mentor war Mallarmé, den er auch persönlich kennen gelernt hatte. (Und hinter Mallarmé wiederum standen natürlich auch für Valéry die großen Vorbilder des Symbolismus überhaupt: Charles Baudelaire und, durch Baudelaire vermittelt, Edgar Allan Poe.) So entstanden, hauptsächlich zwischen 1891 und 1893, Gedichte, die in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden und Valérys Ruhm begründeten. Gesammelt erschienen diese Gedichte erst 1920 unter dem Titel Album de vers anciens. „Alte Verse“ also, was durchaus einen Sinn ergab, hatte doch Valéry bereits die lyrische Produktion wieder aufgenommen und 1917 eine erste Sammlung von neuen Sachen unter dem Titel La Jeune Parque („Die junge Parze“) erscheinen lassen, in der der Bruch mit dem symbolistischen Dichten bereits evident war.

Anders als andere Autoren des Symbolismus aber bewegte sich Valéry nicht hin zu freien Rhythmen bzw. Prosa-Versen – von Experimenten wie Dada oder Surrealismus ganz zu schweigen. Er kehrte im Gegenteil zu strengen klassizistischen Formen zurück und belebte zum Beispiel Racines Alexandriner neu. Inhaltlich stand mehr und mehr die Sprache im Vordergrund – weniger semantische Zusammenhänge, mehr assoziativ über Wortklänge gesteuerte Verbindungen. Deswegen wurden seine Gedichte keineswegs sinn-los, aber der Sinn war zusehends hinter Assoziationen verborgen, die zunächst aufgelöst sein wollten. Valéry war zugleich zum modernen, intellektuellen Lyriker geworden, der sein Publikum mit strengen Formen begeisterte, und zu einem nicht-mystischen, an der Klassik orientierten, hermetisch dichtenden Autor der Renaissance. Nicht umsonst ist eine der Hauptfiguren von Valérys Lyrik der in sich selbst verliebte, jede ihm von außen erwiesene Liebe heftig zurückweisende Narziss.

Besser noch als an der eigentlichen Lyrik lässt sich der Hermetiker Valéry in den beiden Libretti finden, die Valéry 1931 (Amphion) und 1934 (Sémiramis) verfasste. Die Musik schrieb in beiden Fällen Arthur Honegger, aber die Zusammenarbeit der beiden funktionierte letztlich weder inhaltlich noch persönlich. Von den Hauptfiguren her sind beide „Opern“ zunächst an klassischen Vorbildern orientiert, beide handeln von Menschen, die am Leben scheitern, weil sie und ihre Wünsche jedes Maß überschreiten – antike Vorwürfe in modernem Gewand, denn Valéry überfordert (zum Beispiel mit lebenden Steinen) die damalige Bühnentechnik um ein Vielfaches.

1929 veröffentlichte Paul Valéry zum ersten Mal das Büchlein Poésies als Sammlung seiner drei bis dahin veröffentlichten Lyrik-Bände. (Zu den oben bereits genannten kam noch Charmes [wie er selber klar machte: von lateinisch „carmina“ – Gesänge] von 1922 hinzu.) Das Buch wurde noch ein paar Mal vom Dichter selber erweitert, bis es 1942 als eine Art von Valéry autorisierte Ausgabe letzter Hand seiner lyrischen und dramatischen Werke da stand.

Gelesen habe ich Poésies in folgender Ausgabe:

Paul Valéry: Poésies. Album de vers anciens / La jeune parque / Charmes / Pièces diverses / Cantate du Narcisse / Amphion / Sémiramis. Présentation, notes, dossier, chronologie, bibliographie par Jean-Michel Maulpoix. Paris: Flammarion, 2018.

[Ein weiteres Beispiel dessen, um wie viel höher Frankreich seine klassischen Lyriker hält als Deutschland. Taschenbücher mit einem derart ausführlichen Apparat findet man im deutschen Sprachraum außer für Goethe und Schiller kaum. Selbst unter den – im Übrigen, seien wir ehrlich, ziemlich hässlichen – Reclam-Heften finden wir nur selten etwas Ähnliches.]

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