«Shitstorm für Anfänger*innen»

Ausschnitt aus der Fassade des Gebäudes, in dem das Casinotheater Winterthur zu Hause ist. (Ansicht von hinten, weil: von vorne kann jede*r).

Kevin (Aaron Hitz) arbeitet als Fundraiser bei der NGO Green Forest. Als frischgebackener Nationalrat der Grünen wird er von den Medien mit Vorschuss-Lorbeeren überhäuft. Auch im Job steht bei ihm alles auf Erfolg. Zwei Tage vor dem grossen Spenden-Dinner stossen seine Chefin Dunja (Julienne Pfeil), der Projektleiter Patrice (Foscky Pueta) und Ruben (Diego Valsecchi), der PR-Verantwortliche, mit Kevin auf seine Beförderung zum neuen Geschäftsführer an. Am gleichen Morgen taucht in den Medien ein Foto auf. Es zeigt Kevin an einer privaten Party, als James Brown verkleidet und mit braunem Gesicht. Patrice – selber Person of Colour – bringt es auf den Punkt: Das ist Blackfacing! Das Bild geht viral. Kevin steht in der Öffentlichkeit als Rassist da und inmitten eines Shitstorms. [Aus der Homepage des Casinotheaters Winterthur, wo diese Komödie gerade aufgeführt wird.]

Aus der Homepage des Casinotheaters Winterthur, in dem diese Komödie gerade aufgeführt wird.

Die vier leiten den Schweizer Zweig einer NGO, die in Afrika Wiederaufforstungen unterstützen will. Aber das Problem der vier ist nicht nur Kevin, der sich weigert, etwas Schlechtes darin zu sehen, dass er sich das Gesicht mit Mousse au Chocolat hat einschmieren lassen und mit seinem vorlauten Mundwerk von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt. Das Problem ist auch Kevin, der mit jeder der anderen drei Personen in je spezieller, aber jedes Mal komplexer Beziehung steht. Das Team besteht aus Frauenhelden, Frauen, Farbigen, Schwulen und Unbelehrbaren. Das Problem ist auch die zunehmende Toxizität von Twitter, auf dem der Shitstorm stattfindet, und wo es nur noch darum geht, den anderen niedermachen zu wollen. Das Problem ist aber auch, dass sie als mustergültige links-grüne NGO, die sie sein wollen, selbst untereinander Probleme haben mit richtiger Anrede, Vermeiden von rassistischen Äußerungen (die dann natürlich doch fallen) und ähnlichem. Das Problem ist, dass sie als links-grüne NGO im kapitalistischen Karpfenteich der Spenden aus der Bevölkerung irgendwie bestehen müssen, ohne sich allzu viel zu vergeben. Aber was ist „allzu viel“? Sie organisieren gerade eine Spendengala, aber gegen einen der eingeladenen Promis – einen alten weißen Mann – sind gerade Vorwürfe laut geworden, er hätte mehrere Frauen belästigt. Soll man ihn ausladen? Aber er hat immer noch eine große Lobby hinter sich. Soll man ihn vom prominenten Tisch in der ersten Reihe versetzen an einen weiter hinten? Aber was wird er dazu sagen? Dann ist da die halbe Million von Frau Escher, einer millionenschweren Erbin, hätte man früher gesagt – aber heute sind Millionen ja nichts mehr. Auf jeden Fall ist sie schwerreich. Das Problem ist, dass sie eine Nachfahrin von Alfred Escher vom Glas ist, dem bekannten Eisenbahnbaron Zürichs. Dieser war tatsächlich sehr reich und er hat auch tatsächlich, meine ich, wie es im Stück behauptet wird, seinen Reichtum nicht nur mit seinen Eisenbahnen erwirtschaftet, sondern auch mit Finanzspekulationen im großen Stil – Spekulationen, die auch Firmen betrafen, die an der Arbeit von Sklaven verdient wurde. Im Grunde genommen kann eine links-grüne NGO, die etwas auf sich hält, das Geld von Frau Escher nicht annehmen, denn es klebt Sklavenblut daran. Andererseits: eine halbe Million! Wie viele Bäume könnte man dafür in Afrika pflanzen! Ja, das Leben ist nicht einfach für unsere vier und ich will hier auch gar nicht verraten, ob und wie sie ihre Probleme lösen.

Dafür noch eine persönliche Bemerkung. Ich weiß nicht, ob der Effekt von den beiden Autoren Roman Riklin und Michael Elsener beabsichtigt war oder nicht. Aber ich habe bei mir bemerkt, wie ich einen Augenblick innerlich zusammen zuckte, als der dunkelhäutige Fabrice zu sprechen begann. Er sprach lupenreines Zürichdeutsch! Nun besteht kein Grund, warum das nicht so sein sollte, aber nach all den Jahren und den vielen Immigranten aus allen Herren Ländern, von denen zum Teil schon längst die zweite oder dritte Generation hier leben, die alle perfekt die Mundart beherrschen, war es für mich doch noch nicht ‚normal‘, dass ein dunkelhäutiger Mensch fließend Zürichdeutsch spricht. Der Effekt, den ich meine, ist dann aber ganz am Ende eingetreten, das Stück war fertig, der Schlussapplaus entgegengenommen, als Diego Valsecci, der Schauspieler des Ruben, noch einmal kurz um Aufmerksamkeit bat und eine kleines Statement abgab mit der Bitte, doch den Alltagsrassismus nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Und noch einmal zuckte ich innerlich zusammen – nicht wegen des Inhalt des Statements, nein. Aber der Schauspieler, der das ganze Stück hindurch astreines Zürichdeutsch sprach, verwendete nun plötzlich den Dialekt seiner Heimat: Walliser Deutsch. Und das war für mich denn auch die wichtige Erkenntnis des Abends: Selbst bei Weißen formen wir sofort Vorurteile …

Das Stück läuft noch bis zum 26. März im Casinotheater Winterthur; ich kann einen Besuch nur empfehlen.

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