Darüber, ob die ‚Verkürbisung des Claudius‘ wirklich von Seneca stammt, ist sich die Philologie nicht einig. Während offenbar die meisten Vertreter:inen dieser Zunft eine Zuschreibung an Seneca vornehmen, gibt es ein paar, die dies abstreiten. Seneca selber erwähnt diese Satire nirgends in seinen übrigen Schriften, was zu der Spekulation führte, dass er sich später ihrer geschämt hätte. Ja, es wird berichtet, er habe sogar versucht, alle im Verkehr stehenden Abschriften davon aufzukaufen. Das Werk muss 54 u.Z. entstanden sein (kurz nach dem Tod des Kaisers Claudius), aber erst rund 150 Jahre später finden wir die erste Zuschreibung an Seneca – bei Cassius Dio, wo es zugleich zum ersten Mal seinen Titel der Apocolocyntosis (‚Verkürbisung‘, Verwandlung in einen Kürbis, eine Koloquinte) aufweist. Die meisten Philolog:innen gehen davon aus, dass Seneca diesen kurzen Text verfasste, um sich nach dem Tod des Kaisers Claudius bei dessen Nachfolger Nero einzuschmeicheln. Das im Nachhinein zu überprüfen, ist schwierig. Immerhin hatte ja Nero persönlich die Vergöttlichung seines Stiefvaters und Vorgängers auf dem römischen Kaiserthron angeordnet. Auch war Seneca beim Tod des Claudius seit bereits vier Jahren Erzieher Neros gewesen – ein offenbar sehr geschätzter, denn in den ersten fünf Jahren von Neros Kaiserzeit war Seneca (zusammen mit dem Gardepräfekten Sextus Afranius Burrus) De-facto-Regierungschef, und Nero handelte noch sehr gemäßigt – so gemäßigt gar, dass Trajan diese Jahre später als das „glückliche Jahrfünft“ des Römischen Reiches bezeichnen sollte. Wozu hätte diese in Stil und Inhalt doch wohl eher kontraproduktiv wirkende Satire gut sein sollen?
Im Übrigen ist sie als Satire nicht wirklich geglückt, weil ungeheuer plump gehalten. Wir finden gleich zu Beginn einen pubertären Fäkalwitz und durchgehend eine Darstellung des Herakles als tumben Kraft- und Sexualprotz, wie er ansonsten in der volkstümlichen Komödie gang und gäbe war. Formal ist die Apocolocyntosis durch ihre Mischung von Prosa und lyrischen Partien der menippeischen Satire zuzurechnen. Wir kennen diese Form vor allem aus der antiken griechischen Literatur (Lukian – der allerdings eine bedeutend feinere satirische Klinge führt!); in der antiken römischen Literatur ist die Apocolocyntosis das einzige (fast) vollständig erhaltene Beispiel dieser Satirenform. Stilistisch-technisch muss man also deren Verfasser ein gewisses Können zuschreiben.
Seneca war zweifellos ein kühl berechnender Machtpolitiker. Man konnte im Alten Rom ohne diesen Charakterzug nicht als reicher Mann im innersten Zirkel egal welchen Kaisers zumindest für einige Zeit überleben. Claudius galt den Zeitgenossen als dumm und kränklich, mit einem Sprachfehler behaftet. Die Mehrzahl der Senatoren war ihm feindlich gesinnt, und auch die spätere römische Geschichtsschreibung (die ja allesamt von Senatoren stammte!) behielt dieses negative Bild bei. Erst die heutige Historik zeichnet ein besseres Bild des Claudius. Nero hingegen versprach zu Beginn seiner Herrschaft tatsächlich ein guter Kaiser zu werden. Daran, dass die Apocolocyntosis aus dem Kreis der damaligen Senatoren stammt, darf wohl nicht gezweifelt werden. Dass sie von Seneca sein soll, vermag ich hingegen nicht zu glauben. Es bestand für ihn, im innersten Zirkel der Macht, kein Grund, von der durch die Vergöttlichung Claudius durch Nero offiziell festgelegten Richtlinie abzuweichen. (Wenn wir davon ausgehen, dass mächtige Männer in ihren Meinungen und Stimmungen zwar schwanken, aber nicht darauf hingewiesen werden wollen, war so etwas im Grund genommen sogar gefährlich.)
Zusammengefasst: Als Satire, als Literatur, ist die Apocolocyntosis vernachlässigbar, als Einblick in das Räderwerk der frühen römischen Kaiserzeit, und somit für die Geschichtsschreibung, sicherlich aber interessant.