Wenn ich das richtig sehe, wurde diese Zusammenstellung von Liebesgedichten des chilenischen Autors Pablo Neruda dieses Jahr (2023) speziell für die Büchergilde zusammengestellt. (Der Titel stammt dabei aus einem der Gedichte, die in der Sammlung stehen. Das Komma ist dabei wichtig; das lyrische Ich wird nicht vom Du nie in Ruhe, nie allein gelassen sondern es fühlt sich nie alleine, weil das Du immer da ist – es wird also auf den Begriff der ewigen Liebe angespielt.) Bei den Gedichten griff man auf bereits existierende Veröffentlichungen und Übersetzungen zurück.
Gemäß Inhaltsverzeichnis finden wir also:
- Liebesgedichte aus dem Band Dich suchte ich von 2017 (Originaltitel: Tus pies toco en la sombra; übersetzt von Susanne Lange)
- Die Verse des Kapitäns aus dem Band Liebesgedichte Spanisch / Deutsch von 2002 (Originaltitel: Los versos del capitán übersetzt von Fritz Vogelsang)
- 20 Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung wie oben (Originaltitel: 20 poemas de amor y una canción desesperada)
Es handelt sich alles in allem um eher ältere Gedichte Nerudas.
Bei der Lektüre fällt sofort Nerudas Nähe zum Surrealismus auf – im Sinne, wie er von Lautréamont definiert wurde: Er ist schön […] wie die zufällige Begegnung eines Regenschirmes mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch.. Denn diese beabsichtigte Zufälligkeit in der Anordnung der Elemente finden wir auch bei Neruda. Walt Whitmans Leaves of Gras sind ebenfalls zu nennen, auch wenn bei Neruda der unterschwellige Idealismus Whitmans einem marxistischen Materialismus gewichen ist und der (weniger unterschwellige) Patriotismus des US-Amerikaners ebenfalls fehlt, bzw. durch eine ähnlich große Anhänglichkeit an den revolutionären (Guerilla-)Kampf gegen das kapitalistische System ersetzt ist.
Das klingt jetzt nicht unbedingt nach Liebesgedichten und tatsächlich finden wir sehr viel Realität und sehr wenig Abgehobenheit in Nerudas Gedichten. Der Tod (vor allem der Tod im revolutionären Kampf) ist omnipräsent – die Liebe zu einer Frau, überformt in der Liebe zur Revolution, scheint unwiderruflich in den Tod münden zu müssen.
Vielleicht ist es auch deshalb, dass Neruda seinen Frauen in der Lyrik oft Gewalt antut. Dominanz ist ein Phänomen, das unter der Oberfläche immer wieder aufscheint – vor allem die Dominanz des Mannes über die Frau, durchaus mit sadistisch anmutender Gewalt verbunden. Diese Ausrutscher(?) des Sadisten Neruda verleidet einem leider die oft schönen Bilder, die der Surrealist Neruda hinstellt. Wahrscheinlich war das vom Autor beabsichtigt.
Als Zeitzeugnis eines Antifaschisten und des literarischen Geschmacks von vor 50 Jahren (immerhin erhielt Pablo Neruda 1971 den Nobelpreis für Literatur) kann man diese Gedichte sicherlich noch lesen – muss sie vielleicht sogar noch lesen. Wer zum eigenen Vergnügen lesen will, braucht heute, wage ich zu behaupten, Neruda nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.