Paola Morpheus: Just Mary

Links zwei Männer mit Bart, der linke der beiden mit grauem Haar und weißem Bart, der rechte dunkelhaarig (= Gottvater und -sohn), weiter rechts sieht man einen Teil der Beine einer weiblichen Gestalt (der Jungfrau Maria) in rosa Jogging-Hosen, dahinter (schwarz) einen Teil ihres wehenden Schleiers. Zeichnung von Paola Morpheus. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Graphic Novels (oder, im vorliegenden Fall, im Grunde genommen Graphic Short Stories, wenn nicht gar Graphic Aperçus) werden hier relativ selten besprochen. Als mir aber die Pressereferentin des Verlags Edition Faust in einem Mail dieses Buch als Rezensionsexemplar anbot mit den Worten so hat man Maria von Nazaret noch nicht gesehen: Auf der Jagd nach Nike Sneakern, ziemlich genervt, wenn Söhnchen Jesus sie bei „Killing Eve“ unterbricht und überhaupt so ziemlich gegen den Strich gebürstet und ich dann in der Kurzvorschau noch gesehen hatte, dass Harald Lesch einen Kurzauftritt im Buch hat, wusste ich, dass ich das sehen wollte.

Paola Morpheus arbeitet hier als Zeichnerin großflächig, mit starken schwarzen Konturen um ihre Figuren. Maria ist bei ihr eine moderne, emanzipierte und immer noch junge Frau. Sie legt sich innerhalb der Heiligen Familie so ziemlich mit jedem an – allen voran mit Gott-Vater. Sie lehrt ihn das Fürchten, indem sie nur schon das Wort Menstruation ausspricht. Sie rechnet ihm vor, dass – weil ja Gott-Vater, Gott-Sohn und der Heilige Geist nur eine Person sind – bei ihrer Befruchtung durch den Heiligen Geist Gott-Sohn auch sein eigener Vater geworden ist, schlimmer noch: auch sein eigener Großvater. Und da der Heilige Geist in Form einer Taube auftritt, haben wir gleich auch noch einen Fall von Zoophilie. Und dass sie ihre Leihmutterschaft ungefragt übernehmen musste, hat sie Gott-Vater auch noch nicht verziehen, bei aller Liebe zu ihrem Sohn. Und sowies ist das ‚traditionelle Familienmodell‘, das die Konservativen so gern anrufen und sich dabei auf die Bibel berufen, gerade in der Heiligen Familie alles andere als ‚traditionell‘. So sagt Maria zu Gott-Vater – nein sie schreit ihn an: Und du sagst ja selbst, dass mein süßer Jesus drei Väter hat. Dich als göttlichen Vater, den Heiligen Geist als geistigen und Joseph als irdischen. Und das soll den “Heiligen Werten der traditionellen Familie“ entsprechen??? Wir sehen: Diese Maria kümmert sich nicht um die feinsinnigen philosophisch-theologischen Distinktionen der Scholastik sondern stellt die Dinge dar, wie sie sind. Und genau das macht Morpheus’ Buch zu einer äußerst gelungenen Satire über den Machismo – vor allem der katholischen Kirche, aber auch ganz Italiens. (Und ja: Auch andere in christlichen Traditionen Aufgewachsene dürfen sich von dieser Kritik eine gehörige Scheibe abschneiden.)

Ich will hier gar nicht das ganze Buch nacherzählen. Es gibt viele kurze Vignetten, in denen Maria das Patriarchat (der Kirche) frontal angreift. Sie besucht auch Papst Franziskus – und schenkt im ein paar neue Sneaker, die mit dem Wappen des Vatikanstaats versehen sind. Dem Teufel (einem netten, im Moment gerade komplett verheulten, rothaarigen Jüngelchen) zeigt sie, was wirklich teuflisch ist. Sie ruft ihren unendlichen und ultraterrestrischen Herrn, ihren einzigen Gott und Verbreiter der Wahrheit um Erleuchtung an beim unmöglichen Problem der ewigen Jungfräulichkeit, und es erscheint – Harald Lesch. (Ich wüsste gern, welche Figur im italienischen Original da erscheint. Man sieht von Lesch nur den Kopf, aber vom Zeichenstil her bin ich nicht sicher, ob diesen Kopf nicht jemand anders eingefügt hat. Andererseits muss ein gewisser Wiedererkennungswert gegeben sein … es kann sein, dass Paola Morpheus hier selber nach einer Fotografie allzu detailgetreu gearbeitet hat. Im Übrigen ist Lesch zwar im deutschen Sprachraum unterdessen wohl tatsächlich der Guru der Wissens- und Wissenschaftsvermittlung, dennoch finde ich einen bekennenden Protestanten als Verkörperung des wissenschaftlichen Denkens im vorliegenden Zusammenhang etwas seltsam. Und – wenn wir schon bei Seltsamem sind – das Zitat aus Let it be auf der Umschlagrückseite ist, nicht nur weil es aus einer ganz anderen Epoche stammt, auch etwas unstimmig. Mother Mary comes to me speaking words of wisdom. Let it be!! Denn genau das macht unsere Maria hier nicht: Sie lässt nichts auf sich beruhen – abgesehen davon, dass wir heute die Aussage von Paul McCartney haben, dass er bei diesem Text an seine eigene Mutter, Mary, gedacht habe.)

Doch das ist Jammern auf einem ziemlich hohen Niveau. Das ganze Buch, 135 Seiten, viel Bild, wenig, aber witziger Text, ist ein Genuss. Ein ideales Weihnachtsgeschenk. Für alle Katholikinnen. Und Katholiken. Den Papst. Sowie Protestantinnen und Protestanten. Atheistinnen und Atheisten würden sich sicher auch darüber freuen und bei der Lektüre auf den Stockzähnen grinsen. Überhaupt sollte jeder Mann und jede Frau das Büchlein lesen und im Nachttischlein neben die Bibel legen, oder welche Heilige Schrift da immer liegt …


Paola Morpheus: Just Mary. Herausgegeben von Michele Sciurba. Aus dem Italienischen von Andrea Richter. Frankfurt/M: Edition Faust, 2023.

Mit bestem Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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