Heidrun Eicher / Matthias Perkams / Christian Schäfer (Hrsg.): Islamische Philosophie im Mittelalter. Ein Handbuch

Auf dem Cover des Buchs ist ein Bild vom Unterricht in einer Medresse (Origianl von Al Wasiti) wiedergegeben: In einem Halbkreis sitzen Männer in orientalischen Gewändern mit Turban bekleidet um einen erhöht sitzenden Lehrer. Der von mir gewählte Ausschnitt zeigt die 10 Männer im Vordergrund, alle von hinten oder halbseitlich von hinten. Man sieht also nur Rücken und Turbane, ein paar Gesichter von der Seite.

Dieses Handbuch gliedert sich, grob gesagt, in zwei Teile. Da ist zunächst ein Allgemeiner Teil, das ist, wiederum grob gesagt, ein philosophiegeschichtlicher Abriss über die ganze Epoche. Dann folgen die Einzelnen Denker und Werke. Da die einzelnen Aufsätze von verschiedenen Leuten stammen, kann es zu inhaltlichen Überschneidungen kommen, aber das macht gar nichts.

Ganz zu Beginn des Allgemeinen Teils erklären bzw. definieren die drei Herausgebenden noch den Titel des Handbuchs. Genauer gesagt: Das Wort ‚Philosophie‘ wird nicht definiert; offenbar gehen sie davon aus, dass über dessen Bedeutung hier, in einem Handbuch zur Rezeption und Weiterentwicklung des aristotelischen Denkens in einem bestimmten Kontext, mehr oder weniger Konsens herrscht. Darüber könnte man nun streiten, aber wir schauen uns lieber die beiden anderen Begriffe an, die den Kontext definieren sollen.

Diese nämlich müssen für den Laien bzw. Personen vom Fach genauer erläutert werden. ‚Islamisch‘ – und das geht an ein Laienpublikum wie mich, der ich im Studium nie mit dieser Philosophie in Berührung gekommen bin (so wenig wie mit der Scholastik, quant à ça) – wird hier bewusst statt des allgemein üblichen ‚arabisch‘ verwendet, weil die wenigen arabisch schreibenden Christen und Juden in der Darstellung weggelassen wurden (außer natürlich Maimonides, der zu wichtig ist, als dass man ihn hätte ganz unerwähnt lassen). Ein Hauptthema nämlich, das sich durch die gesamte Darstellung der islamischen Philosophie in diesem Handbuch zieht, ist die andauernde Auseinandersetzung aller dieser Denker, von al-Kindī bis zu Ibn Chaldūn, mit dem Verhältnis von Philosophie und Theologie, der islamischen natürlich.

Die andere Präzisierung richtet sich wohl eher an Kollegen und Kolleginnen, die meckern könnten, dass der Begriff ‚Mittelalter‘ im arabisch-islamischen Kontext keinen Sinn ergibt. Das ist so. Da aber das Handbuch auf Deutsch verfasst wurde und sich somit primär an ein deutschsprachiges Publikum wendet, wurde der Begriff dennoch verwendet, weil er diesem Publikum sofort einen zumindest ungefähren Begriff vom Zeitraum gibt, der hier behandelt werden soll.

Dieses Handbuch taugt sowohl als Nachschlagewerk zu einzelnen Themen / Philosophen, oder man kann man es von vorne nach hinten lesen, wie ich es gemacht habe, und hat dann eine knappe, aber ausgezeichnete Geschichte der islamischen Philosophie im Zeitraum von ungefähr 850 u.Z. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts vor sich. (Nebenbei hat diese Lektüre bei mir auch ein Vorurteil vernichtet, da ich bisher immer der Meinung war, auch die islamischen Philosophen hätten sich in ihrer Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie ähnlich zurückhalten müssen wie die zeitgenössischen Scholastiker. Dem war aber offenbar nicht so. Lange Zeit galten Philosophie und Theologie als gleichwertige Wege zur Wahrheit – nur, dass die Theologie, i.e. die Religion, mit göttlicher Erleuchtung im Koran, später auch in der mystischen Erfahrung eines Sufi, den einfachen und schnellen Weg darstellte, die Philosophie aber mit harter und langwieriger denkerischer Arbeit zum Ziel fand. Erst ganz am Ende der hier behandelten Epoche verschiebt sich offenbar das Gleichgewicht zu Gunsten der Theologie.)

Das Interesse der islamischen Philosophie an der antiken Philosophie galt zunächst und vor allem Aristoteles, und dort wieder in gleichem Maß dem Logiker und Metaphysiker wie dem Naturwissenschaftler. Vor allem auf dem Gebiet der Metaphysik gingen die islamischen Denker aber von Anfang von einer Einheit der antiken Philosophie aus. So kam es, dass sie zwar weniger Platon selber, vielmehr viel Neuplatonisches (Plotin, Porphyr) rezipierten, aber in aristotelischer Terminologie formulierten. (Was beim berühmten Liber de causis dazu führte, dass es bei der Aufnahme im Abendland zunächst als ansonsten verschollenes Werk zur Metaphysik des Aristoteles galt. (Allerdings bemerkte bereits Thomas von Aquin die große Ähnlichkeit zu den Enneaden des Plotin.)) Dieses breit gefächerte Spektrum führte dazu, dass alle antiken philosophischen Probleme von den ‚Arabern‘ wieder aufgenommen wurden – viel mehr als es zunächst in der christlichen Philosophie jener Zeit der Fall war. Auch konnten die islamischen Philosophen rationalistischer und weniger spitzfindig zu Wege gehen wie die Scholastiker, hatten sie doch keine theologischen Seltsamkeiten wie die Dreieinigkeit Gottes zu erklären.

Die wichtige Rolle der Übersetzung(en) wird hier in verschiedenen Aufsätzen ebenfalls zum Thema. Da fällt auf, dass nicht nur Muslime sondern auch Juden und (syrische) Christen viel dazu getan haben, dass antike Texte den ‚arabischen‘ Denker auf Arabisch zur Verfügung standen. (Auch wenn, vor allem in der Frühzeit, der eine oder andere von diesen Denkern auch noch selber übersetzt hat.) Es gab an verschiedenen Orten Philosophen- und Übersetzer-Schulen, und oft war die eine auch das andere.

So geht es weiter; es ist unmöglich ein Handbuch zu einem derart komplexen Thema auch nur ansatzweise zusammen zu fassen. In einem Anhang ganz am Schluss wird auch noch das – ich möchte fast sagen: gegenläufige – Thema der Rezeption der arabischen Philosophie im Westen aufgenommen. Die Übersetzung arabischer Texte ins Latein hatte im Hochmittelalter seinen Höhepunkt und ebbte dann langsam ab. Aber noch in der Renaissance wurden arabische Texte übersetzt. Lag zu Beginn das Schwergewicht noch auf den arabischen Übersetzungen der antiken Philosophie (oder eben vermeintlicher solcher Texte, wie dem Liber de causis), so wurde dies mit dem wachsenden Zufluss griechischer Handschriften abgelöst von einem Interesse an dem Denken der grossen arabischen Philosophen wie Avicenna oder Averroës selber.

Summa summarum: Dieses Handbuch ist absolut empfehlenswert, ja wohl unumgänglich, für alle an ‚arabischer‘ Philosophie Interessierten. Mir hat es jedenfalls sehr viel gebracht.


Heidrun Eicher / Matthias Perkams / Christian Schäfer (Hrsg.): Islamische Philosophie im Mittelalter. Ein Handbuch. Studienausgabe, 2. Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2017.

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