Jean de La Fontaine: Sämtliche Fabeln

Auf weißem Hintergrund gezeichnet ein Storch, ein Fuchs und eine Gans bei einem Trinkgelage an einem Tisch. Auf dem gewählten Ausschnitt aus dem Buchcover sieht man nur die Köpfe der Tiere und die Hälse von drei Flaschen, die Gans trägt eine riesige vierte.

Von allen Mitgliedern der ‚Quatre amis‘, der Gruppe von vier Freunden, die die Offenheit des gerade volljährig gewordenen Louis XIV nutzen wollten, um die französische Literatur auf neue Beine zu stellen – neben ihm waren das Molière (der schon bald ausscheren und seine eigene Agenda verfolgen sollte), Racine und Boileau – ist Jean de La Fontaine auf gewisse Weise der merkwürdigste. Obwohl als Schriftsteller durchaus anerkannt, hatte er doch – selbst in den Augen seiner Zeitgenossen – nie dasselbe hohe Ansehen, wie diese es erlangen sollten. Selbst sein Freund Boileau, der sich in seinen theoretischen Schriften gern und oft mit Racine beschäftigte, erwähnt La Fontaine kaum – und wenn, nur versteckt. Dafür sind La Fontaines Schriften heute am weitesten in der Welt herumgekommen und auch bei ansonsten literaturgeschichtlich wenig Interessierten bekannt.

Wenn wir heute von La Fontaines Schriften reden, meinen wir selbstverständlich seine Fabeln – praktisch das einzige Werk von ihm, das die Zeit überdauert hat. Dafür aber gründlich. Bis heute sind seine Fabeln beliebte Lektüre. Natürlich hat er, gerade zu Beginn seiner Karriere als Fabel-Dichter, viele davon aus Äsop genommen und aus Phädrus. Später verwendete er auch Geschichten aus Boccaccio, Theokrit oder Ovid. Aber von Anfang an pflegte er nicht nur zu übersetzen sondern auch, wo nötig, von Prosa in Verse umzusetzen. Mehr und mehr kamen auch eigene Fabeln hinzu – die heute vorliegenden 12 Bücher sind das Werk mehrerer Jahre. Einige seiner Fabeln handeln auch nicht von Tieren, die meisten allerdings schon.

Dass wir ihn heute noch so gern lesen, beruht meiner Meinung nach zum Teil auf einem Missverständnis. La Fontaine Selbstverständnis beim Schreiben seiner Fabeln war es, zu jener Gruppe von ‚moralistes‘ gezählt zu werden (auch wenn die Bezeichnung und Einteilung erst lange nach seinem Tod durchgeführt werden sollte – einige Beispiele waren schon da und er wollte ihnen folgen), die mit oft satirischen kurzen Geschichten Wesen und Handlungen der Menschen kommentierten, und die man mit Fug und Recht als frühe Aufklärer auffassen kann. Dem großen Vorbild La Rochefoucault sind sogar zwei Fabeln persönlich gewidmet. Die ‚moralistes‘ schildern bzw. karikieren sowohl die oberen Stände wie die unteren. Aber Jean de La Fontaine beging den „Fehler“, im Vorwort zum ersten Buch sein Vorgehen zu rechtfertigen, indem er festhielt, dass es einfacher sei, einer moralischen Geschichte zu folgen, wenn nicht zuerst noch viel erklärt werden müsse über Stand und Charakter der Protagonisten. Was ja bei der klassischen Fabel, wo wir alle wissen, dass mit dem Löwen der König gemeint ist, mit dem Esel eine nicht so intelligente Person etc. etc., nicht nötig ist. Für uns Lesende hat La Fontaines Vorgehen den Vorteil, dass jede der kurzen Geschichten in medias res springen kann, was die Lektüre seiner Fabeln zu einem nachgerade spannenden und kurzweiligen Erlebnis macht. Aber es hat auch einen Nachteil, und La Fontaine war so ungeschickt, das in seiner Vorrede ebenfalls zu erwähnen. Kurze Texte, spannende allegorische Geschichten – das würde sogar, meinte La Fontaine, einem Kind das Verständnis der Text erleichtern. Bis heute krankt das Verständnis La Fontaines nun daran, dass er als Autor eines Kinderbuchs gilt … Noch Lessing wusste es besser, als er seine eigenen Fabeln oft diejenigen La Fontaines konterkarieren ließ. (Nebenbei gesagt, wählte La Fontaine seine Tiere – gerade wo er eigene Fabeln schrieb – typologisch durchaus geschickt. Größere Tiere sind meistens die weniger netten, egoistischen (wie es ja auch bei den größeren Tieren der Menschheit der Fall ist); kleinere Tiere sind zwar netter und umgänglicher, neigen aber auch zur Gemütlichkeit, die bis zur Dumpfheit gehen kann.

Noch ein Wort zu meiner Ausgabe:

Ich habe eine deutsche Übersetzung gelesen, ein 2002 bei Patmos erschienenes Hardcover, erschienen beim Imprint namens Albatros-Verlag, 2003. Das Ganze ist ursprünglich 1978 beim Artemis-Verlag erschienen. Die Übersetzung stammt von Ernst Dohm und Gustav Fabricius und versucht, La Fontaines Verse nachzubilden. Das macht die Lektüre oft schwierig, weil offenbar beide Übersetzer so ihre Probleme haben beim Umsetzen von französischer in deutsche lyrische Sprache. Es finden sich in meiner deutschen Ausgabe (zumindest einige) Illustrationen von Grandville, die der französische Lithograph für eine französische Ausgabe der Fables von 1837 erstellt hatte, was meine Ausgabe dann wieder etwas aus dem Mittelmaß herausreißt.

Summa summarum muss man aber La Fontaine nicht empfehlen, denke ich.

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