Roger Graf: Üble Sache, Maloney!

Silhouette einer Sonnenbrille auf ockerfarbigem Hintergrund. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney heißt eine Hörspiel-Reihe, die von 1989 bis 2019 jeweils Sonntags im Morgenprogramm von SRF3, später DRS3, dem dritten Programm des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz, lief. Nicht jeden Sonntag natürlich, aber im Laufe der Zeit sind doch 404 Folgen, jede ungefähr eine Viertelstunde lang, zu Stande gekommen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Philip Maloney in der Schweiz das besitzt, was man im Allgemeinen ‚Kultstatus‘ zu nennen pflegt. Ob er allerdings, wie es die Verlagswerbung behauptet, auch in Deutschland ‚Kult‘ ist oder gerade zu ‚Kult‘ wird, wage ich zu bezweifeln. Es sind vor langer, langer Zeit mal ein paar Folgen im Südwesten Deutschlands und in Belgien ausgestrahlt worden, aber ich kennen niemand – Schweizer:innen ab rund 40 Jahren ausgenommen – dem diese Hörspiel-Reihe etwas sagt. Dieses Aperçu ist also für einmal fast ausschließlich an unser Schweizer Publikum adressiert.

Die Hörspiel-Reihe entstand, als ein Radio-Mitarbeiter der Abteilung „Wort-Unterhaltung“ (nein, nicht Dr. Murke sondern Roger Graf) den Auftrag erhielt, für eine Sonntagmorgen-Sendung in Hörspiel-Form ein paar Parodien auf gängige Unterhaltungsliteratur zu verfassen. Es wurden alle ausgestrahlt. Heute kennt kein Mensch mehr die anderen Parodien, wahrscheinlich nicht einmal mehr deren Verfasser. Philip Maloney aber schlug beim Publikum ein und wurde zu einer Reihe ausgebaut.

Nachdem Graf zu Beginn noch etwas experimentierte, war schon bald die definitive Form für Philip Maloney gefunden. Der Name des Protagonisten, mit seinem Anklang an Philip Marlowe, zeigt schon an, was hier parodiert werden soll: der hardboiled detective US-amerikanischer Provenienz, der einsam für Gerechtigkeit kämpfende Wolf. Tatsächlich ist Maloney wie Marlowe Privatdetektiv mit mäßigem Erfolg. Öfters knapp bei Kasse, übernachtet er auch schon mal in seinem Büro, unter dem Schreibtisch. Praktisch in jeder Folge bändelt er mit einer Frau an oder versucht es wenigstens. In vielen Folgen werden ihm seine Auftraggeber:innen ermordet, bevor er auch nur einen Vorschuss erhalten hat, in anderen vergisst er, einen einzufordern. Manchmal allerdings kriegt er auch Geld. Das einzige Getränk, von dem wir erfahren, dass er es trinkt, ist Whisky (im Gegensatz zu Marlowe aber offenbar in jeder Ausführung). In den frühen Folgen rauchte er; das hat später aufgehört, ohne dass es meines Wissens thematisiert wurde. Der Ort der Handlung wird nie namentlich genannt, außer, dass es sich um eine Stadt handelt. Da es Folgen gibt, die am See spielen und andere am Fluss, vermute ich, dass da ganz vage Zürich Pate gestanden hat, von wo aus (zumindest noch 1989) auch die Reihe ausgestrahlt wurde. Diese Stadt verlässt Maloney nur selten.

Neben Maloney gibt es nur noch eine Figur, die in allen Folgen (außer der allerersten) auftritt: der Polizist. Er ist namenlos. Wir wissen von ihm (weil er davon erzählt), dass er verheiratet ist, offenbar aber keine Kinder hat. Seine Lieblingsbeschäftigung im Büro ist nicht das Lösen von Kriminalfällen sondern von Kreuzworträtseln. Außerdem macht er gern bei jeder Form von Gewinnspiel mit. Er rühmt immer mal wieder den Korpsgeist seiner Polizei – wobei nur selten je ein anderer Polizist zu Wort kommt. Ansonsten scheint er nicht die hellste Kerze am Baum zu sein; ohne Maloney könnte er keinen einzigen Fall lösen. Zwischen ihm und Maloney besteht eine Hassliebe; die beiden frotzeln sich gegenseitig, was sie können. Dabei fallen auf beiden Seiten immer wieder dieselben Sätze, stehende Redewendungen – die nur jeweils eine andere Fortsetzung finden. Im Laufe der Zeit prägten sich die beim Publikum ein, und so warteten die Hörer:innen bald gespannt auf diese Sätze – und deren jeweilige Fortsetzung. Die Handlung zwischen den Dialogen wird von Maloney erzählt – eine Stimme aus dem Off gibt es nur für den Vorspann („Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney“ + Titel der jeweiligen Folge, von Musik unterlegt).

Nachdem seit 2019 keine neuen Folgen mehr produziert wurden und der Sprecher des Philip Maloney, Michael Schacht, 2022 verstarb, beschloss Roger Graf, dass es nun definitiv keine neuen Folgen der Reihe mehr geben würde. Tatsächlich war Schacht – der zu Beginn der Reihe nicht der einzige Sprecher des Maloney war – mit seiner markanten Stimme Teil des Unternehmens geworden, ebenso wie übrigens der Sprecher des Polizisten, Jodok Seidel. Auch dessen Stimme erkannte man sofort, wodurch es sich erübrigte, ihn jedes Mal einzuführen. Im Übrigen gab es keine weiteren durchgehenden Rollen. Die Gastrollen wurden von verschiedenen Sprecher:innen verkörpert. Zumindest bei den frühen Folgen war es so, dass Leute genommen wurden, die sowieso schon im Radiostudio herum wuselten, weil sie als Moderator:innen für andere Sendungen amteten. (Solche Leute hatten damals noch eine Schauspiel- oder Sprechausbildung!) So ist das Anhören alter Folgen – jedenfalls für welche meiner Generation – immer auch eine Reise zurück in eine Zeit, als man die Radio-Menschen noch beim Namen kannte bzw. an der Stimme erkannte. Die meisten Träger:innen dieser Stimmen sind schon lange verstorben …

Unterdessen gibt es den Maloney auch in Buchform. Roger Graf hat nicht nur zwei Romane mit ihm in der Hauptrolle verfasst – es sind auch (neben CDs von vielen, aber nicht allen Folgen) einige der Folgen als Kurzgeschichten veröffentlicht worden. Die Romane kenne ich nicht; die Kurzgeschichten folgen in ihrem schnoddrigen Erzählton ziemlich genau den Hörspielen. Eine Änderung allerdings – die leider viel vom Charme der Original-Hörspiele kaputt macht – hat Graf (offenbar zuerst in den Romanen und dann) in den Kurzgeschichten eingeführt: Der Polizist hat plötzlich einen Namen und heißt nun Hugentobler. Damit hat Graf eines der Alleinstellungsmerkmale der Reihe zerstört. Nicht nur, dass der Name, zumindest in der Schweiz, als typisch für einen Spießbürger empfunden wird, während man in den Hörspielen das nur aus solchen Dingen wie der Vorliebe des Polizisten für Kreuzworträtsel schließen konnte. Als typisch schweizerischer Name lokalisiert er die Handlung, die nun ziemlich sicher in der Schweiz stattfindet – während vorher Maloney, zumindest theoretisch, in jeder Großstadt jeden entwickelten Landes der Welt hätte ermitteln können.

Das vorliegende Buch Üble Sache, Maloney! (eine der stehenden Redewendungen des Polizisten, wenn Maloney auf dem Schauplatz eines Mordes auftauchte – oft noch ohne zu wissen, dass ein Mord stattgefunden hatte) ist dieses Jahr (2023) in Zürich beim Atlantis-Verlag, einem Imprint von Kampa, erschienen. Es handelt sich um eine Auswahl aus zwei früher erschienenen Büchern, Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney und Philip Maloney und der Mord im Theater, 1992 respektive 2000 bei Diogenes erschienen. (Daniel Kampa scheint nicht nur Simenon aus seinem ehemaligen Verlag mitgenommen zu haben.)

Ein Buch für Hardcore-Fans. Wegen der oben geschilderten Änderungen bin ich persönlich nicht ganz glücklich damit und werde weiteren Büchern mit Maloney wohl aus dem Weg gehen.

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