Jane Austen: Pride and Prejudice [Stolz und Vorurteil]

Goldener Schriftzug auf dunkelblauem Kunstleder: "JANE AUSTEN". - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Vielleicht renne ich ja mittlerweile offene Türen ein und es hat sich herumgesprochen, dass Jane Austen nicht einfach nur Liebesromane geschrieben hat. Ja, ihre Romane handeln immer auch von Liebe – und noch mehr von Heiraten. Aber primär muss man ihre Romane als Gesellschaftsromane auffassen, ja als gesellschaftskritische Romane. Das hängt alles zusammen und hat alles seine Gründe. Die kritisierte Gesellschaft ist natürlich Jane Austens eigene – die der besser gestellten Bürgerlichen und des Gentry, des niederen Adels. Und die behandelte Problematik ist die der (jungen) Frauen dieser Schicht – in Zusammenhang unter anderem mit dem damaligen britischen Erbrecht.

Nämlich Folgendes: Es war für die jungen Damen aus den oben genannten Kreisen nicht nur nicht schicklich, sondern schlicht unmöglich, eine Ausbildung zu erwerben. Schon gar nicht eine, mit der sie sich selbständig ernähren hätten können. Auf der anderen Seite aber gab es viele Besitzungen, die – wie es im Englischen ausgedrückt wird – „entailed“ waren. Sprich: Der Besitz durfte weder aufgeteilt noch in der weiblichen Linie vererbt werden. Was ursprünglich gut gemeint war (weil es eine immer größere Zersplitterung des Landbesitzes verhinderte), entpuppte sich bald als ernsthaftes Problem für alle Kinder außer dem ältesten Sohn der Familie. Es war ihnen nicht erlaubt, einen ‚bürgerlichen‘ Beruf zu erlernen bzw. auszuüben (bei Söhnen hätte es ja Möglichkeiten gegeben, z.B. den eines Kaufmannes), aber standesgemäß leben sollten und wollten sie ja, Männlein wie Weiblein, dennoch. Den jüngeren Söhnen wurde zu Austens Zeit gern eine Pfarre gekauft, weshalb diese dann – mehr schlecht als recht – in Oxbridge Theologie studierten. Die Alternative dazu war der Kauf eines Offizierspatentes. (Ja, beides war damals käuflich.)

Für die Töchter aber gab es nur eine Möglichkeit: Heirat. Jahr für Jahr kamen so neue junge Frauen auf den Markt. Die Konkurrenz war riesig, oft sogar innerhalb der eigenen Familie. Wenn es nun so war, dass in der Familie ein Sohn vorhanden war, bestand immerhin die Möglichkeit, dass eine unverheiratet bleibende Schwester von ihm später in seinem Haushalt mit ernährt wurde und als Gegenleistung die Tante war, die Kinder hütete oder den Haushalt führte. Waren aber der elterlichen Ehe keine Söhne entsprossen und das mütterliche Vermögen klein oder inexistent, so war eine Heirat eine existenzielle Frage. Dieser Frage, dieser Problematik, stellt sich Austen in jedem ihrer Romane – unter jeweils leicht differierenden Gesichtspunkten.

In ihrem ersten vollendeten Roman, Sense and Sensibiliy, wählt Austen als Ausgangssituation diese, dass zwar ein Sohn vorhanden ist, der aber aus der ersten Ehe des Vaters stammt und nach dessen Ableben sein Versprechen bricht, die zweite Frau und ihre Töchter auf dem Besitz weiter leben zu lassen. Hier, in Pride and Prejudice, ist es so, dass Mr Bennets Gattin zwar seine erste ist, der Ehe aber ‚nur‘ fünf Mädchen entsprossen sind. Bennet gehört dem Gentry an; sein Besitz wird nach seinem Tod einem entfernten Cousin zukommen, den die Familie zu Beginn des Romans nur dem Namen nach kennt. Und wenn Mrs Bennet, die als impulsiv, egozentrisch und ein bisschen dümmlich geschildert wird, in ihrer Verzweiflung einmal den Gatten fragt, warum denn ihre Töchter nicht erben könnten, wird sie zwar von ihrem Mann und von ihrer einzigen intelligenten Tochter Elizabeth für diese dumme Frage mit Missachtung gestraft – ich bin aber überzeugt, dass die Autorin Jane Austen diese ketzerische Frage bewusst von einer solchen Person hat stellen lassen. So steht sie im Raum, ohne dass sie allenfalls ernst genommen werden muss. (Mrs Bennets Verzweiflung entsteht übrigens in dem Moment, als der entfernte Cousin seinen Besuch ankündigt – was sie für schlechtes Benehmen hält. Der Cousin entpuppt sich dann als eloquenter aber langweilender Hohlkopf, der von einer Gönnerin eine Pfarre erhalten hat und ihr nun im Gegenzug schmeichelt, wo und wann immer er kann.)

Fünf Töchter: Das gibt Jane Austen Gelegenheit, das Thema ‚Suche nach einem passenden Ehemann‘ in fünf Variationen durchzuspielen – eigentlich sogar sechs, denn die beste Freundin der Protagonistin Elizabeth, Charlotte Lucas, ein wenig älter als Elizabeth, kommt ebenfalls ins Spiel.

Nämlich, Variante 1: Nachdem oben genannter Cousin ausgerechnet Elizabeth einen Heiratsantrag gemacht hat, den diese abweist, stellt er nur drei Tage später ihrer besten Freundin Charlotte die gleiche Frage. Sie nimmt den Antrag – zu Elizabeths Entsetzen und Erstaunen – an. Die Freundschaft wird nie mehr sein, was sie vorher war, aber Elizabeth sieht rational ein, dass Charlotte mit ihren unterdessen 27 Jahren das Haltbarkeitsdatum auf dem Heiratsmarkt längst überschritten hat. Materiell wird sie ihr Cousin ja versorgen können, auch ist er zwar dumm und langweilig, aber nicht bösartig und besitzt keine Laster.

Variante 2: Jane, die älteste Tochter – gutmütig und von allen das Beste denkend, nicht so intelligent und wortgewandt wie Elizabeth, aber nicht dumm. Als ein gewisser Charles Bingley einen Landsitz in der Nachbarschaft bezieht, und Bälle veranstaltet (Bälle! So wichtig für die jungen Leute von Stand damals. Es gab keine andere Möglichkeit, mit dem jeweils anderen Geschlecht in Kontakt und ins Gespräch zu kommen), verlieben sich die beiden sehr rasch ineinander. Einen großen Teil des Romans nimmt dann die Intrige ein, die gegen diese sich anbahnende Ehe geführt wird. Davon abgesehen, handelt es sich hier um eine relativ übliche Beziehung zwischen zwei netten jungen Menschen von annähernd gleichem Stand. Die langweiligste Variante des Romans also, weshalb sie Austen wohl mit einer Intrige aufgepeppt hat.

Springen wir gleich zur jüngsten Schwester, Lydia, für Variante 3: Sie ist knapp 16, aber weil der Vater die Erziehung seiner Töchter völlig vernachlässigt und die Mutter auch nur Bälle, Offiziere und Amouren im Kopf hat, in Bezug auf Männer ein bisschen frühreif. Heute würde man wohl sagen, dass sie ihre Zeit damit verbringt, mit Offizieren eines in der Nähe stationierten Regiments abzuhängen, wenn sie nicht gerade die neuesten Kreationen ihrer Hutmacherin bewundert. Das nutzt ein skrupelloser junger Offizier aus, um sie nach London zu entführen, wo sie bereits zwei Wochen zusammen gelebt haben, bevor Mr Darcy (zu dem unten mehr) sie findet. Der Offizier ist ihm bekannt, er ist mittellos, aber Spieler, und mit ein wenig Geld (für ihn, Mr Darcy, wenig Geld) gelingt es Darcy, den Entführer davon zu überzeugen, die junge Frau doch zu heiraten. Dann wird das junge Paar in den Norden Englands abgeschoben, wo der Offizier in ein anderes Regiment eingekauft wird, dessen Vorgesetzter besser auf ihn aufpassen wird. Die Familie Bennet schrammt so haarscharf an einer gesellschaftlichen Katastrophe vorbei, die jede weitere Chance auf standesgemäße Heirat der übrigen Töchter vernichtet hätte.

Variante 4, Catherine, genannt „Kitty“: N° 4 in der Reihe, also eigentlich älter als Lydia, folgt sie ihr doch in allem nach. Nur als Lydia mit ihrem Offizier nach London entwischt, lässt man sie zu Hause. Zu ihrem gesellschaftlichen Glück, denn mit der Entfernung von Lydia aus dem unmittelbaren Umfeld der Familie gelingt es offenbar, ihren ähnlich flatterhaften Kopf einigermaßen zurecht zu rücken. Mehr erfahren wir aber nicht.

Variante 5, die mittlere Tochter Mary: Sie wird im von Jane Austen als plain beschrieben, also weder hässlich noch hübsch. Im Wissen darum vergräbt sie sich in ihrem Klavierspiel und dem Gesang (in beidem nicht sehr begabt, ist sie mit viel Fleiß ein bisschen vorangekommen, aber keineswegs ein Genie, nicht einmal für eine Amatrice) sowie den Büchern. Sie verschlingt die seltsamsten Texte und ist deshalb im Familienkreis berüchtigt für ihre moralinsauren Kommentare, die sie aus den Schriften alter Prediger genommen hat. Ein typischer Blaustrumpf also, dessen weitere Zukunft ungewiss bleibt. (Auch wenn Jane Austens Neffe, James Edward Austen-Leigh, für Kitty wie für Mary in der Zeit nach den Ereignissen des Romans gut bürgerliche Ehen geschlossen sehen will – offenbar, weil er den Roman als Schlüsselroman interpretiert.)

Last but not least, Variante 6 – Elizabeth Bennet, die Zweitälteste, die Intelligenteste und Scharfzüngigste des Quintetts: Sie ist der Fall einer intelligenten Person, die aber vor sich selber nicht wahrhaben kann, dass sie verliebt ist. Sie beobachtet die Leute scharf und ist sich gewohnt, aus deren Verhalten Schlüsse zu ziehen, die sich meist bewahrheiten, auch (oder weil!) sie meist mistanthropischer Natur sind. In Mr Darcy trifft sie ihr männliches Äquivalent – oder so war es wohl geplant. Da uns Jane Austen aber kaum in das Denken Darcys einlässt, anders als in das von Elizabeth, wirkt er kühl und reserviert – der typische Brite: stiff upper lipp, Stock im Allerwertesten. (Wie immer wieder Leserinnen von diesem Mann schwärmen können – und zwar wirklich von der literarischen Figur und nicht von einer der vielen Verkörperungen in Film, Funk und Fernsehen – wird mir ewig ein Rätsel bleiben.) Beide, Elizabeth Bennet und Mr Darcy haben die Angewohnheit, die Leute um sich herum zu beobachten und aus den Beobachtungen Schlüsse zu ziehen, die beide für richtig halten. Der Titel des Romans bezieht sich denn darauf, dass beide einsehen müssen, dass ihre Beobachtungsgabe sie zu Stolz und Vorurteil verführt haben. Und was die Liebesbeziehung betrifft, haben wir hier die Variante, dass die zwar ‚nur‘ aus dem Gentry stammende Frau (Darcy, wird angedeutet, gehört dem höheren Adel an), die dazu noch kaum über Vermögen verfügt, mit ihrer gut gewetzten Zunge den gesellschaftlich ja eigentlich überlegenen Mann um den Finger gewickelt hat. (Allerdings auch selber in ihn verliebt ist.)

Heirat ohne Liebe geht für Elizabeth nicht – insofern mögen jene Recht haben, die dem Roman das Etikett ‚Liebesroman‘ ankleben. Die gesellschaftlichen Probleme konnte man schon zu Jane Austens Zeit als Luxusprobleme abtun (allerdings waren sie wohl genau die Probleme ihrer Leserinnen). Die Schlussfolgerung zum Thema ‚Stolz und Vorurteil‘ klingt ein wenig moralinsauer. Aber das Gesamtpaket vermag auch heute noch zu überzeugen.

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