Mungo Park: Reisen ins Innerste Afrikas 1795-1806

Auf einer hellblauen Fläche ist ein bisschen rechts von der Mitte, dunkelblau gedruckt, der Kopf eines Schwarzafrikaners, der einen riesigen Elefantenzahn hält. Reproduktion eines Holzschnitts der deutschen Übersetzung von 1799. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Cum grano salis könnte man behaupten, dass für Europa in Bezug auf Entdeckungsreisen das 18. Jahrhundert das Jahrhundert der Weltumsegelungen war, während im 19. Jahrhundert dann andere Forschungsreisen überhand nahmen. Ende des 18. Jahrhunderts war den Europäern die Oberfläche des Globus mehr oder weniger bekannt; man kannte die Umrisse aller Kontinente; die Terra incognita australis war unterdessen entdeckt (und hatte sich als deutlich kleiner entpuppt denn gedacht); allenfalls waren noch kleine Inseln noch nicht oder falsch kartografiert, z.B. in der Südsee. Weitere Weltumsegelungen (wie diejenige des in russischen Diensten segelnden Otto von Kotzebue mit Chamisso an Bord) konnten hier nur noch nachbessern, aber der große Ruhm der Reisen eines Bougainville oder Cook blieb ihnen versagt.

Dafür wandte sich das Interesse der Europäer dem Inneren der beiden Kontinente Südamerika und Afrika zu. In Afrika war es vor allem Großbritannien, das Handelsplätze und Handelsmöglichkeiten suchte. 1788 wurde in London The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa (kurz African Association) ins Leben gerufen, dem der durch seine Teilnahme an der ersten Weltumsegelung Cooks bekannte Joseph Banks als Schatzmeister diente. Es handelte sich um eine private Vereinigung. Ihre Mittel waren daher beschränkt; die Expeditionen, die sie ins Innere Afrikas schickte, waren allesamt Ein-Mann-Veranstaltungen. Entsprechend mager waren die Resultate. Einzig Mungo Park, einem jungen schottischen Arzt, gelang es, vorzeigenswerte Ergebnisse nach Hause zu bringen. Es ging bei seiner Reise primär darum, den Verlauf des Niger zu erkundigen. Sekundär wollten die Briten herausfinden, wo und wie denn nun die fabelhafte Stadt Timbuktu gelegen sei – und last but not least suchte man Handelswege. Es ist der African Association zu Gute zu halten, dass für sie dieser Handel für Indigene wie für Europäer profitabel sein sollte. Auch war man zwar durchaus der Meinung, dass die Afrikaner „zivilisiert“ werden sollten, aber das Ganze eigentlich ohne Zwang oder gar Gewalt. In der kurzen Zeit ihres Existierens waren denn auch immer mehr Abolitionisten Mitglieder geworden – und gerade Mungo Park sollte daran mit seinen Schilderungen von Sklaven-Karawanen nicht unschuldig sein. (Sklaven wurden damals in Afrika weniger von Weißen gehalten, sondern von Schwarzen und Mauren – die übrigens Park, wie auch sein Übersetzer, säuberlich auseinander hält; auch wenn er die Schwarzen im Gebrauch der Zeit noch Neger nennt, war das bei ihm kein Schimpfwort.)

Park reiste zwei Mal ins Innere Afrikas, beide Male auf einer sehr ähnlichen Route von der Küste Gambias aus, bis er den Niger erreicht hatte und feststellen konnte, dass er ostwärts floss und nicht gegen Westen, wie bis dahin die Schulmeinung gewesen war. Auf seiner ersten Reise (1795-1797) wurde Park vier Monate lang von den Tuareg gefangen gehalten; es gelang ihm zu entkommen, aber er hatte keine Lust und weder gesundheitliche noch finanzielle Ressourcen mehr, dem Lauf des Niger weiter zu folgen. So kam es, dass er Timbuktu auf seiner ersten Reise nicht sah. Doch schon seine Entdeckung des Laufs des Niger war eine Sensation. In Zusammenarbeit mit dem Sekretär der African Association verfasste er einen Bericht über seine Reise, den er 1799 in Buchform veröffentlichte und damit großen Erfolg hatte. So großen Erfolg in der Tat, dass noch im selben Jahr eine deutsche Übersetzung erschien (ohne Angabe des Übersetzers, aber mit einem Motto von Vergil auf der Titelseite).

Park ließ sich in seiner Heimatstadt Selkirk als Arzt nieder, heiratete und bekam Kinder. Finanziell hatte er durch sein Buch ausgesorgt. Jeder andere an seiner Stelle hätte nun wohl den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und sich schön ruhig verhalten, als die britische Regierung 1803 anfragte, ob er Lust hätte, eine weitere Niger-Expedition zu leiten. Zumal ihm sogar sein Nachbar, Walter Scott, davon abriet. Politische Querelen verzögerten das Ganze bis Anfang 1805, aber Park sagte zu. Dieses Mal war es eine staatliche Expedition, das bedeutete auch, dass Geld vorhanden war und mehr Personal aufgeboten werden konnte. Die Regierung ernannte Park zum Hauptmann und damit zum Leiter der staatlichen Expedition. Sein Schwager Alexander Anderson wurde als Leutnant Zweiter in der Rangfolge. Ebenfalls an Bord war als technischer Zeichner George Scott. Zu der Besatzung gehörten noch Leutnant Martyn, zwei Seeleute, ein Sergeant, ein Korporal und 33 einfache Soldaten, die strafversetzt worden waren und mit dem Versprechen, im Anschluss an die Reise begnadigt zu werden, geködert werden konnten. Diese Soldaten zu akzeptieren, war wohl der erste Fehler Parks – man kann sich deren guten Willen, Strapazen auf sich zu nehmen, wohl nur zu genau vorstellen. Sein zweiter Fehler war es, zur Regenzeit aufzubrechen. (Da hatte die Regierung jemand gesucht, der bereits lokale Erfahrung aufwies – und dann dies!) Sein dritter Fehler war es, dass er ohne jede vorhergehende Führungserfahrung diese sehr durchmischte Bande durch außerordentliche Situationen leiten wollte. Es kam, wie es kommen musste: Der große Teil der Weißen, so auch sein Schwager, starb unterwegs nach und nach an diversen Tropenkrankheiten. Wir haben von dieser Reise nur Parks Tagebuch und ein paar Briefe, die den Weg nach England fanden. Park selber kam ziemlich sicher 1806 um, als er sich vor Einheimischen in Sicherheit bringen wollte, die ihm alles andere als freundlich gesinnt waren. Kein Wunder – hatte er doch in einer zusehends paranoid werdenden Angst schon längst auf seiner Fahrt auf dem Niger links und rechts auf alle Menschen schießen lassen, die sich am Ufer zeigten. (Noch runde 50 Jahre später sollte sich der deutsche Forschungsreisende Heinrich Barth darüber beklagen, wie Parks wilde Schießerei alle Indigenen entlang des Flusses gegen die Weißen aufgebracht hatte, so dass noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts keinerlei Freundlichkeit von ihnen zu erwarten war.)

Parks Bericht von seiner ersten Reise ist tatsächlich lebendig geschrieben und liest sich auch heute noch, auch in der Übersetzung, weg wie flüssiger Honig. Das Tagebuch der zweiten Reise ist trockener, aber ebenso interessant. (Er hat, nebenbei, auf der zweiten Reise tatsächlich Timbuktu gefunden und besucht. Allerdings fehlt uns der diesbezügliche Bericht, weil Park irgendwann sein Tagebuch nicht mehr weiter führte. So hat die Ehre, als erster Weißer Timbuktu gesehen und beschrieben zu haben, ein anderer eingeheimst.) Wer klassische Reiseberichte mag, sollte sich den von Mungo Park besorgen.


Ein Wort noch zu meiner Ausgabe.

Vor mir liegt:

Mungo Park: Reisen ins Innerste Afrikas 1795-1806. Herausgegeben von Heinrich Pleticha. Mit 20 zeitgenössischen Darstellungen und 2 Karten. Lizenzausgabe mit Genehmigung des Horst Erdmann Verlages, Tübingen für [und hier kürze ich die Angaben aus dem Impressum ab] u.a. den Bertelsmann Buchclub und den Buchclub Ex Libris. Als ©-Jahr ist 1976 angegeben. Da beide Buchclubs bei ihren Lizenzausgaben eigentlich nur Bucheinband und -umschlag änderten, handelt es sich also noch um die Original-Version des Satzes. Das Buch ist verschiedene Male, zuletzt 2021, in der so genannten „edition erdmann in der marix-verlag gmbh“ neu aufgelegt worden, zuletzt mit dem Untertitel Dem Geheimnis des Niger auf der Spur. Ich habe bei anderen Büchern dieser „edition erdmann in der marix-verlag gmbh“ schlechte Erfahrungen gemacht (schludriger Satz und lieblose Gestaltung), möchte sie also nicht empfehlen. Meine Ausgabe habe ich für CHF 5.00 aus der Grabbelkiste eines lokalen Antiquariats genommen. Das Papier hat zwar fast Löschblatt-Dicke, aber der Satz ist in Ordnung.

Allerdings ist leider der Text im Verhältnis zur Original-Version gekürzt:

Nicht aufgenommen wurden im 1. Teil ein Kapitel mit Nachrichten über die Küstenvölker (ursprünglich Abschnitt 2), einige überholte Aufzählungen afrikanischer Völkerschaften, ein Kapitel über die Sahara und ihre Tiere (ursprünglich Abschnitt 12) und einige Hinweise auf die Vorstellungen der Mandingos von der Erdgestalt.

Einführung des Herausgebers, S. 18

Ich fürchte, hier hat Pletichas Beschäftigung mit Karl May allzu sehr auf ihn abgefärbt; solche Eingriffe kenne ich sonst nur vom gleichnamigen Verlag. Gerade diese Völkerschaften und die Zoologie der Sahara interessieren echt an alten Reise- und Forschungsberichten Interessierte. Deren Fehlen ist bedauernswert, hat aber meiner Lesefreude zum Glück nicht allzu sehr geschadet.

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