Meine Generation verbindet mit Gustav Schwab vor allem Die schönsten Sagen des klassischen Altertums – sein wohl bekanntestes Werk. Auch ich habe ihn damit kennen gelernt – allerdings in einer gekürzten Fassung. Schwab hat in diesem Buch die Mythen der Antike zusammenfassend nacherzählt und gleichzeitig auch ‚normalisiert‘ – will sagen: Widersprüche eliminiert, indem er bei verschiedenen Fassungen sich immer für eine entschied und diese so kanonisierte fürs deutsche Publikum. (Ob es an meiner gekürzten Fassung lag – die eine für die Jugend war – oder ob es tatsächlich an Schwab lag, dass auch Gewalt und Sexualität im Vergleich zu den originalen Mythen stark reduziert waren, kann ich nicht sagen.)
Um eine Nacherzählung handelt es sich auch beim Herzog Ernst. Ein unbekannter Autor des Mittelalters verfasste um 1180 einen mittelhochdeutschen Versroman, der unter diesem Titel überliefert wurde. Den Protagonisten und titelgebenden Helden gab es wirklich; es handelt sich um Herzog Ernst II. von Schwaben aus dem Geschlecht der Babenberger. Dieser Herzog empörte sich tatsächlich gegen Kaiser Konrad II. Der Rest der mittelhochdeutschen Spielmannsdichtung ist dann allerdings genau das: Dichtung. Eine Variante des überlieferten Textes war dann die Quelle eines Volksbuchs mit dem gleichen Titel. Da ich keine weiteren Angaben zu Schwabs Quelle gefunden habe, ist nicht ganz klar, welchem Text er genau folgt, vermute aber das Volksbuch, denn im Grunde genommen ist nur noch die grobe Struktur des Versromans bei Schwab zu erkennen:
- Aufstieg und Fall im eigenen Land → Flucht aus dem Land (in der mittelalterlichen Spielmannsdichtung als Kreuzzug)
- Abenteuer an der Grenze (Bewährung; Versündigung) → Buße
- Abenteuer in der Fremde (Bewährung und Wiedererlangung von Ansehen) → neuer Kreuzzug, Rückkehr
In der vorliegenden Nacherzählung sind die Kreuzzüge nur noch angedeutet als Besuche des Herzogs Ernst bei den jeweiligen christlichen Herrschern von Konstantinopel und Jerusalem. Das mittelalterliche Ethos, das in der Spielmannsdichtung zu finden ist, fehlt vollständig. Zwar kämpft unser Herzog Ernst hier ebenfalls mit ein paar treuen Gefährten (die Schwab oder das Volksbuch etwas verwirrend Diener nennen; es handelt sich aber schon um Gefolgsleute, die selber dem Rittertum angehören) gegen ein muslimisches Volk, aber er sammelt nebenbei auch Menschen ein, die einer rein sagenhaften Welt angehören: Riesen ebenso wie welche mit nur einem Auge oder einem riesigen Fuß, den sie sowohl als Boot auf dem Wasser wie (auf dem Rücken liegend) als Sonnenschirm benützen können. Auch die Themenfelder von ‚ere‘ (Ansehen) und ‚triuwe‘ (Treue des Gefolgsmannes) sowie allgemein verhaltensorientierte Konzepte rund um ritterliche Gewalt sind kaum mehr zu finden – wir sind mit Schwabs Text irgendwo zwischen der Odyssee und einem phantastischen Ritterroman im Stile des Rasenden Roland angesiedelt. Da ich das Volksbuch nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, ob Schwab tatsächlich diesem folgt oder ob er selber beschlossen hat, diese schon im 19. Jahrhundert nur schwer vermittelbaren mittelalterlichen Konzepte in seiner Nacherzählung der Spielmannsdichtung wegzulassen. Auf Grund des Kontexts der Ausgabe (s. unten) tippe ich auf ersteres.
So oder so haben wir hier ein Beispiel dafür, wie der Einsatz für die mittelhochdeutsche Literatur, den Bodmer und Breitinger geleistet haben, bereits wenige Jahrzehnte später Früchte trug und sich die Romantiker nicht nur mit mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Originalen auseinander setzten, sondern die alten ‚Mären‘ auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen suchten.
Noch ein Wort zu meiner Ausgabe:
Vor mir liegt Band III der Reihe Meisterwerke deutscher Klassik mit folgendem Inhalt gemäß Untertitel:
- Volksbücher des Mittelalters II [Schwab wird erst in der Überschrift der beiden Volksbücher genannt, was mich, wie oben geschrieben, vermuten lässt, dass Schwab die Fassung des Volksbuchs nacherzhählt hat, er dieses zusammenfasste – es ist auch noch ein Doktor Faustus zu finden]
- Hans Sachs, Auswahl aus seinen Werken
- Friedrich Logau, Sinngedichte (Auswahl)
Die Texte wurden gemäß Verlagsangaben aus Meyers Klassiker⸗Ausgaben ausgewählt.
Der Verlag selber firmiert als Verlag für Militärgeschichte und Deutsches Schrifttum Fürstenwalde / Spree; das Buch ist 1943 erschienen, wenn ich mich nicht täusche. Verlagsname und Erscheinungstermin suggerieren einen Nazi-Verlag; tatsächlich ist auf dem vorderen Buchdeckel nebst dem Reihentitel auch eine Swastika in einem Eichenzweig abgebildet. Allerdings nicht in der üblicherweise von den Nazis verwendeten Gestaltung – die äußeren Füßchen des Kreuzes sind tatsächlich als eine Art Füße ausgelegt, man kann drei Zehen erkennen. Ein Versuch, Probleme zu vermeiden, ohne sich ganz zum Nazi-Gedankengut zu bekennen? Die Texte des Buchs sind jedenfalls nicht kontaminiert. Über den Verlag habe ich im Internet nichts gefunden; die Deutsche Nationalbibliothek scheint nichts von ihm zu führen. Im einen oder anderen Antiquariatskatalog findet man aber hin und wieder Bände aus der Reihe Meisterwerke deutscher Klassik; diese scheint sich seinerzeit nicht schlecht verkauft zu haben.
Wie dem auch sei: Für das Beitragsbild habe ich einen unproblematischeren Ausschnitt aus dem Buchdeckel gewählt …
3 Replies to “Gustav Schwab: Herzog Ernst”