Ältere Übersetzungen ins Deutsche dieses Romans (des zweiten Teils der U.S.A.-Trilogie von John Dos Passos) tragen zum Teil andere Titel; die deutsche Erstausgabe hieß zum Beispiel Auf den Trümmern. Das ist nicht völlig falsch, legt aber das Gewicht auf etwas, das der Autor eher nebenbei thematisiert – bewusst nebenbei thematisiert. Will sagen: Trümmer gibt es nur nebenbei im Roman; noch dazu sind es welche, die die Protagonisten und Protagonistinnen kaum kümmern.
Im Großen und Ganzen verwendet Dos Passos dieselbe Konstruktionstechnik wie im ersten Band der Trilogie: Newsreels (das sind Zitate aus der Zeitung – im zweiten Band ist dies die New York World aus Chicago, unterdessen verschwunden – durchmischt mit Ausschnitten aus damals gerade populären Liedern), längere oder kürzere Abschnitte, in denen wir einer der fiktiven Figuren durch ihr Leben folgen, und das Camera Eye, die als Bewusstseinsstrom erzählte Autobiografie von John Dos Passos.
Beim Camera Eye muss allerdings gesagt werden, dass der Bewusstseinsstrom viel gelenkter und bewusster daher kommt als noch im ersten Band. Das liegt vor allem wohl daran, dass der Mann hinter dem Bewusstseinsstrom älter geworden ist, weniger von Thema zu Thema springt. Die Autobiografie wird so nun auch zu einem Künstlerroman.
Prominenter (in jedem Sinn des Wortes) sind nun auch die eingestreuten Kurzbiografien. Da werden politische Schwergewichte vorgestellt wie die beiden Präsidenten Roosevelt und Wilson oder der Banken-Tycoon J. P. Morgan. Auch John Doe (oder, wie wir hierzulande sagen würden: der Unbekannte Soldat) wird eines Artikels gewürdigt (wo Dos Passos dann schon recht satirisch beschreibt, wie eine größtenteils von einer Bombe zerfetzte und deshalb unidentifizierbare Leiche so präpariert wird, dass man sie dem Volk als stellvertretend für alle im Krieg Gefallenen präsentieren kann).
Doch mit John Doe sind wir schon fast am Ende des Romans, der – wie auch sein Vorgänger – im Großen und Ganzen die Weltgeschichte chronologisch aufrollt, immer aus der Sicht einzelner Protagonisten. Ganz konsequent ist Dos Passos nicht, denn er geht zu Beginn von Nineteen Nineteen noch einmal zurück in die Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des „Großen Kriegs“, den man später den Ersten Weltkrieg nennen würde. Der Matrose der Handelsmarine Joe Williams (Bruder einer weiblichen Figur, die wir schon im ersten Band getroffen haben) eröffnet den Reigen der fiktiven Biografien. Williams ist einer, der gewisse Dinge nur langsam begreift, wenn überhaupt. Nachdem wir in seinem Leben bis zum Ausbruch des Kriegs gelangt sind (allerdings noch vor dem Eingreifen der USA in diesen), sehen wir ihm zu, wie er in Buenos Aires von Bord geht. Er sucht an Land die für Matrosen üblichen Distraktionen: Frauen und Schnaps. Darüber verpasst er sein Schiff und muss auf einem anderen anheuern. Als dieses nun in England anlegt, will Williams wiederum an Land nach Frauen und Schnaps suchen. Dieses Mal allerdings verhaftet ihn die englische Polizei. Was Williams nicht realisiert hat: Als Mann ohne Papiere, der dazu noch in Buenos Aires angeheuert hat, einer Hochburg deutscher Spione, ist er äußerst verdächtig. Es gelingt dem US-amerikanischen Konsul zwar, ihn loszueisen, aber Williams steht einführend und stellvertretend für alle folgenden Gestalten (die ja auch alle US-amerikanischer Herkunft sind): Er begreift im Grunde genommen das Weltgeschehen gar nicht, noch realisiert er, dass er sich außerhalb der USA bewegt und dass dort andere Regeln gelten könnten.
Das gilt, wie gesagt, auch für alle anderen Figuren des Romans. Zwar sind viele schon vor dem offiziellen Eingreifen der USA in das Kriegsgeschehen darin involviert. Es ist aber eher Abenteuerlust als wirklich karitatives Denken, das sie (Männlein wie Weiblein) dazu verführt, als beim Roten Kreuz in Spanien oder Frankreich anzuheuern. Sie sehen ihren Einsatz vor allem darin, erotische Abenteuer zu erleben und – sich mit dem lokalen Wein volllaufen zu lassen. Dass sie bei den Einheimischen damit anecken, stört sie kaum. Selbst die Trümmer, auf denen sie feiern, und die dem ersten deutschen Übersetzer so wichtig waren, werden kaum wahrgenommen. Und noch als die Friedensverhandlungen stattfinden, agieren die US-amerikanischen Soldaten und Soldatinnen recht unbekümmert.
Während des Ersten Weltkriegs werden im Roman kaum sozialistische oder gewerkschaftliche Aktivitäten geschildert. Dieses Thema taucht erst nach Kriegsende wieder auf. Selbst die Russische Revolution von 1917 wird praktisch nur in (oft auch auf Falschmeldungen beruhenden) Schlagzeilen der Zeitung erwähnt.
Trotz diverser Schauplätze in Europa ist dieses Buch zu Recht Teil einer Trilogie, die den Titel U.S.A. trägt – denn seine Figuren sind nicht in der Lage, über den US-amerikanischen Tellerrand und das eigene Vergnügen hinaus zu schauen. Eine bissige und pessimistische Analyse von John Dos Passos – aber sie gilt auch noch im 21. Jahrhundert.