Peter Dinzelbacher: Weltuntergangsphantasien und ihre Funktion in der europäischen Geschichte

Peter Dinzelbacher hat eine Unzahl an Büchern geschrieben – über Mentalitätsgeschichte, religionshistorische Themen, hat eine Zeitschrift über Mediävistik herausgegeben, an zahlreichen Universitäten gelehrt. Der Nachteil einer solch umtriebigen Publikations- und Lehrtätigkeit macht sich allerdings immer wieder bemerkbar: Redundanz und eine gewisse Beliebigkeit, eine enzyklopädische Aufbereitung, die nicht immer in den Bann zu ziehen vermag. Hier aber sollen diese Kritikpunkte außen vor bleiben trotz ihrer Berechtigung, es ist vielmehr die etwa 50seitige Zusammenfassung und Interpretation, die verstört.

Der erste, umfangreichere Teil bringt einen historischen Überblick: Von der in der klassischen Antike häufig anzutreffenden Version der ewigen Wiederkehr (sodass Weltuntergangsphantasien in einen natürlichen Kreislauf eingebettet scheinen) bis zu den durch den Monotheismus geprägten Varianten eines Weltgerichts (jede Form von Unendlichkeit ist für einen Schöpfergott ein Unding), bei dem die Menschen einer Be- bzw. Verurteilung unterzogen werden. Solche Eschatologien haben sowohl Ursache als auch Ausführung betreffend einen sehr ähnlichen Charakter: Zum einen ist der Mensch als solcher schuldig, er wird für ein bewusstes oder unbewusstes Fehlverhalten bestraft und diese Strafe hat den Charakter von Naturkatastrophen: Sintflut, Erdbeben, Feuersbrünste, glühende Meteore, Krankheiten und andere Kalamitäten müssen für den Untergang dieser sündhaften Menschheit sorgen. Dass es im übrigen diesen Schuldgedanken in der Antike nicht gegeben habe (wie der Autor insinuiert) ist fragwürdig: Deukalion und Pyrrha überleben eine solche Katastrophe in ganz ähnlicher Weise wie weiland Noah (wobei dieser Mythos in unzähligen Varianten in zahlreichen Kulturen erzählt wird und man nicht zu eruieren imstande ist, wer da was von wem übernommen, abgeschrieben hat).

Dass eschatologische Szenarien von jenen, die derlei propagieren (im MA sowohl von der offiziellen Kirche als auch den einzelnen Propheten), häufig zur Machterhaltung bzw. zum Machterwerb eingesetzt we(u)rden, ist eine eher triviale Erkenntnis. Menschen in Angst zu versetzen (das muss nicht immer gleich das Weltende sein, dazu können auch Fremde, Flüchtlinge dienen, die den hart arbeitenden Einheimischen etwa die wohlverdiente Zahnarztbehandlung verunmöglichen) war schon immer ein probates Mittel, um herrschaftliche Strukturen zu festigen – vor allem dann, wenn man die Lösung für das (vorgebliche) Problem gleich mitliefert. Und so gerät die Darstellung dieser Historie zu einer (nicht immer uninteressanten) Auflistung der verschiedensten Endzeitvorstellungen, der Motive (die sich oft ähneln oder nur marginal unterscheiden: Ob da noch ein 1000jähriges Reich angekündigt wird oder das Gericht ohne Verzögerung stattfindet, ob der Messias nun alsbald selbst erscheint, am Kampf zwischen Gut und Böse sich beteiligt oder aber Satan zwischendurch die Macht erlangt, dürfte für die Empfänger der Botschaft nur selten von Bedeutung gewesen sein).

Im letzten Teil des Bches (die als psychohistorische Analyse figuriert) wird es dann – wie schon erwähnt – allerdings seltsam. Denn nachdem Dinzelbacher einmal ein bestimmtes Schema erkannt zu haben glaubt (das Bedürfnis nach Macht, wobei er sich auf Alfred Adler beruft*), glaubt er derartige Tendenzen überall erkennen zu können und vergleicht Umweltschützer oder die Angst vor einem atomaren Krieg mit jenen Endzeitszenarien, die religiösen Institutionen in der Geschichte gute Dienste geleistet haben. Dabei bedient er sich zum einen einer Ausdrucksweise, die schlicht dümmlich und eines Historikers unwürdig ist (ich würde all jenen, die – wie Dinzelbacher – von „Ökoterrorismus“ sprechen, eine Unterhaltung mit tatsächlich von Terrorismus betroffenen Menschen anempfehlen – wie den „Spaziergängern“ während der Corona-Epidemie, die da allüberall einen faschistoiden Staatsapparat am Werke sahen und die offenbar den Geschichtsunterricht erfolgreich geschwänzt haben) – und er betreibt zum anderen eine jedem populistischen Politiker zur Ehre gereichende, argumentationslose Polemik: So sei weder das angekündigte Waldsterben eingetreten noch gesundheitliche Schäden durch das Ozonloch nachgewiesen. Und während man über das Waldsterben (bzw. das Ausbleiben desselben) noch diferenziert diskutieren könnte, ist letzteres schlicht eine schwachsinnige Behauptung, von deren tatsächlicher Unsinnigkeit der Autor selbst wissen dürfte.

Und auch die Klimaerwärmung hält Dinzelbacher für eine Mär, die er mit den Untergangsszenarien von Endzeitpropheten gleichsetzt. Dabei bedient er sich all jener Argumente, die von den Verfechtern der Wirtschaftswachstumsfetischisten bis zum Erbrechen wiederholt werden (trotz ihrer nachweislichen Unsinnigkeit – ähnlich wie weiland der Marlboro-Man die Ungefährlichkeit des Rauchens propagiert hat, bis dem der Lungenkrebs ein letales Ende gesetzt hat): Sonnenfleckenaktivität, historische Schwankungen, Vulkanismus etc. Dass es auch im Rahmen der Umweltbewegung zu Manipulationen von Daten kommt (gekommen ist), dass auch hier wenig altruistische Motive wirksam werden können, steht außer Frage: Dass aber die menschengemachte Erderwärmung eine auf Fakten basierende Problematik größten Ausmaßes darstellt, ist ebenfalls evident. Dabei geht es gar nicht um den Untergang der Menschheit, sondern um die Folgen der Vernichtung der Artenvielfalt oder Anbauflächen, um die ökonomischen Konsequenzen, die vor allem die ärmeren Bevölkerungsteile betrifft und die zu Fluchtbewegungen (und den damit verbundenen sozial-politischen Auswirkungen in den reicheren Staaten) führen werden, die jene von 2015 als lächerlich erscheinen lassen und die mit einem plakativen „wir schaffen das“ nicht zu bewältigen sein werden.

Wenn Dinzelbacher auf die oft zur Schau gestellte moralische Superiorität von Klimaaktivisten hinweist und diese mit jener von religiösen Führern gleichstellt, so mag ein solcher Vergleich eine gewisse Berechtigung haben. Nicht aber verglichen werden kann die dem Ganzen zugrunde liegende Sache selbst: Zwischen Endgericht, Armageddon oder chiliastischen Träumereien und konkreten Gefahren wie Atomkriegen oder Erderwärmung besteht ein faktenbasierter Unterschied. Mögen die Verhaltensweisen einzelner Protagonisten Ähnlichkeiten aufweisen (die Verzicht und Kasteiung propagieren ob der vergangenen Sünden), so sind diese in der menschlichen Natur begründet. Und von wegen „Verzicht“: Auch hier bedient sich Dinzelbacher eines platitüdenhaften Populismus‘, der für jemanden, der ein Mindestmaß an intellektuellem Anspruch stellt, peinlich anmutet. Ökoparteien würden Forderungen stellen, die den Askesevorschriften religiöser Führer nicht nachstünden, u. a.: „Verzicht auf Technik, Konsum (eingeführte Lebensmittel) und Lebensqualität (Auto) in Analogie zu Fasten und Kasteiungen“. Dass man umweltbewusst und technik- bzw. wissenschaftsaffin sein kann kommt ihm nicht in den Sinn – und auch nicht, dass die Lebensqualität mitnichten von neuseeländischen Kiwis oder dem neuesten SUV abhängig sein könnte. Ein „Verzicht“ auf viele unserer Konsumgewohnheiten ist keineswegs mit Darben und Askese verbunden – im Gegenteil: Sondern mit der Erleichterung verschaffenden Erkenntnis, dass diese Form von „Luxus“ vielmehr versklavt, einengt, uns Lebenszeit raubt und uns durch ihre ökonomischen Zwänge der Freiheit beraubt. Es sind dies die einfältigen Argumente jener, die ihre Nachbarn (oder den prospektiven Geschlechtspartner) durch Äußerlichkeiten zu beeindruchen suchen – und deren Scheitern vorprogrammiert ist. (Will man tatsächlich einen Partner, der einen wegen der Rolex am Handgelenk und dem neuerstandenen Maserati nimmt – will man ein Ansehen, dass sich auf extensive Konsumgewohnheiten stützt? Das sollte doch spätestens nach der Adoleszenzphase einem weniger testosterongesteuerten Weltbild weichen.)

Das ist alles schlicht dumm und eigentlich einer so ausführlichen Besprechung gar nicht wert. Problematisch aber sind solche Aussagen, wenn sie von „anerkannten“ Intellektuellen kommen, weil dann Populisten jedweder Couleur sich dieser Leute als Gewährsmänner für ihr machtpolitisches Interesse bedienen. Ich glaube im übrigen, Dinzelbacher (vor vielen Jahren) an der Universität bei Vorträgen gehört zu haben (ohne jeden persönlichen Kontakt) und hätte nicht erwartet, derart peinlich anmutendes Geschwafel in einem Buch von ihm lesen zu müssen. „Vielleicht ist ihm seine Frau mit einem strickenden, vollbärtigen Ökofritzen durchgegangen?“ – die Vermutung eines Bekannten. Das wäre eine Erklärung – und so auf die Schnelle fällt mir auch keine bessere ein. – Im übrigen kann ich mich an keine andere Publikation von ihm erinnern, in der er ähnliche Flachheiten von sich gegeben hätte.


*) Solche Theorien (wie jene Adlers über die Macht, die Freuds über die Bedeutung der Sexualität in allen Lebensbereichen) sind völlig inhaltsleer, weil sich – ein wenig Kreativität vorausgesetzt – mit ihnen alles und jedes erklären lässt. Sie sind unspezifisch, nicht falsifizierbar und dadurch unbrauchbar, Küchenpsychologie mit vermeintlichem Anspruch. Selbstverständlich sind im menschlichen Leben allüberall Machtstrukturen auszumachen, jedes Verhalten kann als Kompensation (oder Überkompensation) von Minderwertigkeitsgefühlen angesehen werden – und das hinwiederum als ein Machtstreben. Bei Freud muss man sich ein wenig mehr verbiegen, aber da die Bedeutung der Sexualität ebenfalls enorm ist, lassen sich auch hier Anknüpfungspunkte finden – nebst einer Bemühung des Todestriebes (denn Menschen ganz ohne destruktive Eigenschaften sind ebenfalls selten, weshalb man eine solche Hinneigung zum Tode unschwer wird bei fast allen konstatieren können). Aber das Ganze ist nichts anderes als eine intellektuelle Turnübung (mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden) ohne irgend von Relevanz zu sein.


Peter Dinzelbacher: Weltuntergangsphantasien und ihre Funktion in der europäischen Geschichte. Aschaffenburg: Alibri Verlag 2014.

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